Mauro (29) und Gino Caviezel (24) stehen auf einer Klippe in Ponte Brolla. Die stärksten Alpin-Brüder der Schweiz wirken an diesem Sommertag ähnlich angespannt wie jeweils im Januar, wenn sie in Kitzbühel vor dem Sprung in die furchterregende Mausefalle stehen.
Jetzt blicken die beiden Bündner mit Respekt hinunter in die reisserische Maggia, die mit ihrer starken Strömung schon einige Menschenleben verschluckt hat. «Im letzten Frühling sind hier zwei Männer beim Canyoning tödlich verunglückt», berichtet Gino und legt nach: «Ich habe hier schon die Schreie von einem Kind gehört, das fast ertrunken wäre, weil es irgendwo im Wasser ein Bein eingeklemmt hatte. Zum guten Glück konnte es dann doch noch gerettet werden.»
Südländischer Lifestyle
Trotz diesen unschönen Gedanken im Kopf können sich die Caviezels dann doch noch zum Absprung von der rund acht Meter hohen Klippe in den Tessiner Fluss überwinden. Ihre Flüge enden ohne Turbulenzen, die Welt von Mauro und Gino ist nun wieder komplett in Ordnung.
«Nach einem harten Trainingstag im Swiss-Olympic- Zentrum in Tenero gibt es nicht viel Angenehmeres als eine Abkühlung in der Maggia», schwärmt Mauro, der bei der letzten WM in St. Moritz sensationell Kombi-Bronze gewonnen hat. Und dann liefert er die Erklärung, warum er sich mit seinem Bruder immer öfter im Heimatkanton von Lara Gut aufhält. «Wir haben eine Wohnung in Minusio. Aufgrund des milderen Klimas hat man hier unten speziell während dem Aufbautraining im Frühling mehr Möglichkeiten als im Rest der Schweiz.»
Am Eingang des wildromantischen Maggiatals steht Caviezels Stamm-Grotto – das Ristorante da Enzo. Dieses Edelgrotto wird von den Eltern und des Bruders von Patrick Küngs Freundin Bianca Andreatta geführt. Mauro und Gino kehren hier ganz dem südländischen Lifestile entsprechend mit ihren Rollern ein.
Bei feinster Pasta sinniert Mauro über seine bewegende Vergangenheit. «Ich hatte einige wirklich schwere Verletzungen. Aber rückblickend darf ich behaupten, dass ich mit jeder Verletzung etwas ganz Wichtiges lernen konnte. Ich habe gelernt, besser auf meinen Körper zu hören, bin geduldiger geworden und habe meine innere Ruhe gefunden. Und die ist in unserem Business ziemlich matchentscheidend.»
Gino nickt seinem Bruder zu: «Ich bin viel extrovertierter als du, manchmal bin ich zu ungeduldig.»
Neue Riesenslalom-Regeln
Aber eine Regeländerung beruhigt den Riesenslalom-Spezialisten: «Die FIS hat die Radien der Riesenslalom-Ski von 35 auf 30 Meter reduziert. Das kommt meinem von starken Innenlagen gekennzeichneten Fahrstil sehr entgegen, ich freue mich sehr auf die Olympia-Saison.»
Darum fällt ihm in diesen Tagen der Schritt von der Maggia ins Schnee-Camp nach Neuseeland auch nicht schwer. Big Brother Mauro bereitet sich mit der Speed-Gruppe auf den Walliser Gletschern auf den kommenden Winter vor.