Ski-Boss Lehmann zieht Bilanz
«Österreich hat immer noch mehr Geld als wir»

Seit zwölf Jahren ist Urs Lehmann (50) bei Swiss Ski an der Spitze – und so erfolgreich wie nie. Aber wie lange bleibt er? Lehmann spricht über seine Lust am FIS-Präsidium und sagt, wie er die Ski-Zukunft sieht.
Publiziert: 14.03.2020 um 12:54 Uhr
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Aktualisiert: 14.03.2020 um 15:00 Uhr
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Erstmals seit 31 Jahren holt die Schweiz den Nationencup der Alpinen.
Foto: keystone-sda.ch
Mathias Germann

Urs Lehmann, nach 31 Jahren ist die Schweiz wieder die Nummer 1 der Skiwelt. Treten Sie jetzt zurück?
Urs Lehmann: Sollte ich?

Mehr können Sie nicht erreichen.
Ich war als Athlet der Ansicht und rate es unseren Athleten, dass sie nicht auf dem Höhepunkt abtreten sollten. Und ich habe es jetzt auch nicht vor. Man sollte dann abtreten, wenn man seine Leistung nicht mehr ab­rufen kann.

Haben Sie nach zwölf Jahren als Präsident Ermüdungserscheinungen?
Ich freue riesig über den Sieg im Nationencup. Er ist die Konsequenz jahrelanger, harter Arbeit – nicht nur von mir, sondern des ganzen Teams. Aber wir haben spannende Zeiten und Projekte vor uns. Gestern sassen wir zwölf Stunden mit dem Präsidium und der Geschäftsleitung zusammen. Dabei haben wir in allen elf Disziplinen analysiert und besprochen, was wir bis 2025 machen müssen, um besser zu werden oder oben zu bleiben.

FIS-Präsident Gian Franco Kasper tritt zurück. Sie gelten als Topfavorit für seine Nachfolge.
Das weiss ich nicht. Grundsätzlich ist das FIS-Präsidium eine spannende Aufgabe. Ich würde die Zukunft des Schneesports gerne mitgestalten.

Die Bewerbung läuft bis 22. April. Haben Sie Ihr Dossier eingereicht?
Nein. Ohnehin ist es der nationale Verband, der einen Kandidaten portiert. Aufgrund der Corona-Krise wissen wir nicht, ob der Kongress im Mai stattfinden wird. Es gilt darum, abzuwarten.

Haben Sie Kontakt zu Kasper?
Ich habe gestern mit ihm tele­foniert. Es gibt verschiedene Szenarien, wie es weitergeht.

Eine Verschiebung der Wahl in den Herbst wäre nicht ideal.
Als Präsident geht es oft um langfristige Planungen. Daher wäre das nicht entscheidend. Swiss-Ski hat gefestigte Strukturen.

Wie sehen Sie Ihre Chancen?
100 geteilt durch die Anzahl Kandidaten. Und das in Prozent.

Wie müsste sich die FIS reformieren?
Die FIS hat in der Vergangenheit vieles richtig gemacht. Und doch gibt es einiges zu tun. Im alpinen Bereich gibt es die Diskussion um die Parallel-Events, die nicht etabliert sind. Und auch die Kombination ist nicht ausgereift.

Sollten die Parallel-Rennen abgeschafft werden?
Der Parallel-Riesenslalom sicher. Er ist gefährlich und ohne Re-Run unattraktiv für Zuschauer.

Weil meist ein Kurs schneller ist.
Genau. Sobald der Zuschauer dies merkt, ist das Rennen tot. Den Parallel-Slalom mag ich. Bei der Kombi hat man den Start­modus im zweiten Lauf geändert, der Schnellste des Speed-Laufs fährt im Slalom zuerst. Bei den Männern klappte das gut, bei den Frauen nicht – da ist der Spannungsbogen nicht lang genug.

Die FIS gilt als verstaubt. Wie würden Sie dies ändern?
Der Skisport muss moderner werden, die Jungen abholen. Ein Beispiel: Die Formel E hat es in die E-Sports-Welt geschafft. Da kann man virtuell im Rennen mitfahren, gegen den Ersten kämpfen. Das ist eine meiner Visionen. Viele unserer Sportarten wären dafür prädestiniert – Ski alpin, Skicross oder Skispringen.

Punkto Klimaerwärmung gab die FIS zuletzt kein gutes Bild ab.
Erst nachdem man angeschossen wurde, machte man im letzten Herbst ein Forum dazu. Meiner Meinung ist die FIS viel zu oft im Verteidigungsmodus. Sie sollte proaktiver werden.

Haben Sie ein weiteres Beispiel?
In Kvitfjell hatte man keine Kristallkugeln für Beat Feuz in der Abfahrt und Mauro Caviezel im Super-G dabei. Henrik Kristoffersen lieh eine seiner alten Kugeln für die Fotos aus. Die FIS muss wieder vermehrt das Steuer übernehmen. Es braucht keine Revolution, aber ein bis zwei Evolutionsschritte, um den Sport attraktiver zu machen.

Wie haben Sie den Verband in Ihren zwölf Jahren nach oben gebracht?
Als ich 2008 anfing, war Swiss-Ski finanziell am Abgrund, machte eine halbe Million Verlust. Das Eigenkapital betrug weniger als 100 000 Franken. Die Strukturen mussten angepasst werden – überall. Der Verband ist heute viel dynamischer unterwegs und finanziell breiter abgestützt.

Der Sieg im Nationencup bringt eine halbe Million Franken. Wie wird sie investiert?
Es ist nicht ganz so viel, aber es ist schöne Summe. Jeder Betreuer im Trainerstab bekommt einen Batzen. Und dann geben wir einen Teil an die Basis in die Regionalverbände. Die Leute an der Front haben dies verdient. Nachwuchs ist unsere Zukunft, dort wird er generiert.

Es dauerte 31 Jahre, bis wir den Nationencup wieder gewinnen konnten. Ist das nicht etwas peinlich?
Das ist jetzt typisch schweizerisch, im Moment der Freude das Haar in der Suppe zu suchen. Wir haben nie gesagt, dass Ski alpin ein Weltsport ist. Aber wo sind wir sonst die Nummer 1?

Aber das Budget von Swiss-Ski war immer etwa gleich hoch wie jenes von Österreich, das stets gewann.
Stimmt nicht. Als ich 2008 anfing, lagen wir massiv hinten.

Wie viel?
Wir hatten etwa die Hälfte des Geldes. Jetzt ist Österreich finanziell immer noch vorne, aber nicht mehr viel.

Sie haben einmal gesagt: «Erfolg kostet.» Ist es so einfach?
Ja, es ist immer eine Huhn-oder-Ei-Frage. Muss man zuerst Erfolg oder Geld haben? Jede Mass­nahme hat ein Preisschild. Ein Camp in Südamerika etwa kostet 300 000 Franken. Wir müssen dann die Mittel mit Sponsoren und Partnern generieren.

Bleibt die Schweiz die Nummer 1?
Das ist das Ziel. Vor einigen Jahren war das eine Vision, jetzt ist es die Realität. Das garantiert nicht für die Zukunft. Aber es ist unser Anspruch, das zu halten oder uns zu verbessern.

Was lehrt uns die Corona-Krise?
Dass wir demütig sein müssen. Immer. Und dass unsere globale Gesellschaft extrem anfällig ist.

Ich wette, dass Sie bald FIS-Boss sind. Wäre mein Geld gut angelegt?
Ich schlage eine andere Wette vor – dass ich nächstes Jahr ein spannendes Engagement im Skisport habe.

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