Yannick Chabloz (24) gehört zweifelsfrei zu den grössten Abfahrtstalenten der Welt. In diesem Winter heizt der Nidwaldner mit Waadtländer Wurzeln aber nicht über die Weltcuppisten. Stattdessen bringt er als Teilzeit-Skilehrer an der Skischule Château-d'Oex Anfängern den Stemmbogen bei.
Wie kam es dazu? Der Reihe nach.
Im Dezember 2021 donnert der ältere Bruder von Freeride-Weltmeister Maxime Chabloz (22) in Gröden (Ö) bei seinem zweiten Weltcup-Einsatz in die Top-13. Sieben Wochen später stürzt der Senkrechtstarter bei den Olympischen Spielen in Peking jedoch ein erstes Mal heftig – bei einem Crash in der Kombinationsabfahrt erleidet er Brüche am Schulterblatt, Handgelenk, an der Mittelhand und an einem Finger.
Chabloz benötigt ein halbes Jahr, bis er sich vollständig von seinem unschönen China-Trip erholt. Am 26. Dezember 2022 liegt er schon wieder im Rettungsschlitten: Im zweiten Training auf der brutal selektiven Pista Stelvio in Bormio (I) erleidet er einen Dornfortsatzbruch sowie Impressionsfrakturen in der oberen Brustwirbelsäule.
Heftiger Rückschlag im November
Nach den beiden üblen Stürzen wird der einstige Draufgänger im vergangenen Sommer im Gletscher-Training von seinem Unterbewusstsein ausgebremst. Das grösste Problem macht sich aber im November im Vorbereitungs-Camp im kanadischen Panorama bemerkbar. Nach wenigen Trainingstagen muss der Speed-Spezialist, der in Beckenried NW unweit von Marco Odermatt (26) wohnt, aufgrund von schweren Rückenbeschwerden die Heimreise antreten.
Und dieses Problem hat Chabloz bis heute nicht gelöst. «Ich kann zwar beschwerdefrei Freizeitsport betreiben. Aber als ich im Januar mit den Riesenslalom-Ski wieder einmal ans Limit gehen wollte, ist es mir richtig übel in den Rücken hineingeschossen.» Deshalb hat Chabloz in diesem Winter kein einziges Wettkampf-Aufgebot erhalten. Sein Trainer Vitus Lüönd (39) sagt: «Yannick muss wieder der Alte werden. Solange er nicht komplett schmerzfrei Ski fahren kann, sind für ihn Einsätze auf selektiven Weltcup-Pisten völlig sinnlos.»
Das medizinische Dilemma
Um auf andere Gedanken zu kommen, hat Lüönd seinem Schützling den Übergangsjob als Skilehrer empfohlen. Chabloz übt diese Tätigkeit auch mit grosser Leidenschaft aus.
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Seine Laune wird jedoch getrübt, wenn er sich bei Fachleuten erkundigt, wie er sein Rückenproblem in den Griff bekommen könnte. «Ich habe in den letzten Wochen mehrere Meinungen eingeholt. Ein Arzt glaubt, dass ich meine Rennfahrer-Karriere nur fortsetzen kann, wenn ich zwei Rückenwirbel versteifen lasse», Chabloz ist sich jedoch nicht sicher, ob er für Rettung seiner sportlichen Laufbahn einen derart radikalen Eingriff in Kauf nehmen will. «Auf der einen Seite kann ich mir nicht viel Schöneres vorstellen als ein Leben als Skirennfahrer. Anderseits kann mir niemand garantieren, dass ich nach der Versteifung der Wirbel nicht noch mehr eingeschränkt bin. Und weil das Leben nach dem Skisport normalerweise wesentlich länger dauert als eine Weltcup-Karriere, bin ich mir wirklich nicht sicher, ob ich das Risiko eines solchen Eingriffs auf mich nehmen will.»
Chabloz wird bis Ende März eine Antwort auf diese schwierige Frage haben müssen. Bis dahin wollen Trainer und Ausrüster Klarheit haben, ob sie die Zukunft mit oder ohne Yannick Chabloz planen können.