Früher konnten sie sich nicht ausstehen, jetzt sind sie ein Herz und eine Seele: Camille Rast (24) und Mélanie Meillard (25). Beim Slalom in Jasna (Slk) fahren die Walliserinnen mitten in die Weltspitze – Rast wird Vierte, Meillard Fünfte. «Es ist super, dass wir so kompakt vorne dabei sind», sagt Rast und meint damit auch Michelle Gisin (30), die Sechste wird.
Einerseits erstaunt die Kompaktheit, mit der die Schweizer Slalom-Asse auftreten. Kaum jemand hätte ihnen dies nach dem Ausfall von Teamleaderin Wendy Holdener (30) im Dezember zugetraut. Man ging von einem tristen, helvetischen Slalom-Winter aus. Andererseits deutete sich der Erfolg an – Gisin schaffte es in Lienz (Ö) aufs Podest, Rast wurde in Kranjska Gora (Sln) Vierte. Und Meillard? Sie zeigte je länger, je mehr, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Grosse Rivalität als Kinder
Doch wie war das mit Rast und Meillard, die sich einst nicht ausstehen konnten? Um das zu verstehen, muss man auf ihre JO-Jahre zurückblicken. Rast war 8, Meillard 9 Jahre alt. Die beiden trainierten nicht zusammen, kreuzten ihre Klingen aber in den Rennen und waren erbitterte Rivalinnen.
«Da war man auch mal neidisch, wenn die andere gewann», so Meillard. Neidisch? Das war eine Untertreibung. «Wir haben uns gehasst», gibt Meillard schmunzelnd zu. Rast: «Es war zu Beginn wirklich keine grosse Liebe zwischen uns. Aber das ist lange her, wir sind längst Freundinnen.»
Nicht nur das. Meillard und Rast sind nach Holdeners Ausfall auch die einzigen verbliebenen Fahrerinnen in der ersten Technik-Weltcupgruppe bei Swiss-Ski. «Mélanie und ich pushen uns im Training. Mal ist sie schneller, mal ich – das ist super», sagt Rast. Meillard ergänzt: «Es ist schön, eine Freundin im Ski-Zirkus zu haben, mit der man über alles reden kann – und wir lachen auch viel.»
Für Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor ist klar: «Wendy fehlt uns. Gleichzeitig hat sich eine Sogwirkung eingestellt – Mélanie und Camille haben die Situation angenommen. Sie wussten, dass sie liefern mussten und genau das tun sie.»
Körper stiess Sehne eines Toten ab
Sowohl Meillards als auch Rasts Stern am Ski-Himmel ging früh auf, verglühte aber ebenso schnell. Meillard riss sich 2018 das Kreuzband. Sie entschied sich, die Sehne eines Toten für die Rekonstruktion einzusetzen. Es war ein Fehler. Ihr Körper stiess das fremde Material ab, sie musste ein Jahr danach erneut unters Messer, verpasste einen weiteren Winter und verlor jegliches Vertrauen.
Rast dagegen litt als Teenager an den Folgen des Pfeifferschen Drüsenfiebers, ehe sie sich im März 2019 das Kreuzband riss. Dazu wagte sie im letzten Winter ein Experiment, das in die Hose ging: Die passionierte Mountainbikerin wechselte von Head zu Salomon. Diesen Fehler korrigierte sie im letzten Frühling und kehrte zu ihrer Jugendmarke zurück.
Meillard: «Der Weg war nicht einfach»
So ähnlich die Karrieren von Meillard und Rast verliefen, so unterschiedlich sind ihre Qualitäten. Meillard gilt als Ski-Mozart. Kaum eine hat ein so gutes Gefühl für den Schnee, nur wenige stehen zentraler über dem Ski. Bei der Schwester von Technik-Ass Loïc Meillard (27) geht alles über den Kopf – traut sie sich, ist alles möglich.
Wie in Jasna. «Diesen fünften Platz nehme ich gerne mit», sagt sie. Er ist wichtig, um eine bessere Startnummer zu haben. Aber auch, damit ich im Kopf weiss, dass es klappt. Ich komme von sehr weit, der Weg war nicht einfach. Nun bin ich sehr glücklich.»
Rast: «Muss zweimal so fahren»
Bei Rast ist es anders: Sie ist feingliedriger, hat aber enorm viel Kraft. Das Training mit Kondi-Guru Florian Lorimier, der auch Justin Murisier (32) schleift, trägt Früchte. «Camille ist zudem sehr detailverliebt», so Tschuor.
Die neun Hundertstel, die ihr in Jasna aufs Podest fehlen, ärgern Rast. Die Laufbestzeit im zweiten Durchgang, wo sie sogar Seriensiegerin Mikaela Shiffrin (sie gewinnt zum 95. Mal im Weltcup) schlägt, gibt aber Mut. «Jetzt muss ich nur noch zweimal so fahren», sagt sie gut gelaunt.
Das erfreuliche Fazit? Die Schweizer Ski-Zwillinge sind zurück – nicht nur ein bisschen, sondern richtig.