An Geburtstagen liefert Beat Feuz besonders starke Leistungen ab. Im Vorjahr hat er sich in St. Moritz zum Dreissigsten WM-Gold in der Abfahrt geschenkt. Seinen letzten Podesplatz im Super-G hat er im letzten Winter in Kitzbühel am dreissigsten Wiegenfest seiner Freundin Katrin gefeiert. Gestern zelebriert Beats schwangere Herzdame ihren Geburtstag schon wieder in Kitzbühel, diesmal will der Lauberhorn-König seiner Prinzessin die goldene Abfahrt schenken.
Nachdem er trotz dunklen Schatten über der «Streif» mit der Startnummer 7 seinem auf dem Papier stärksten Widersacher Svindal fast eine Sekunde abknöpft und den Österreicher Hannes Reichelt vom Leader-Thron verdrängt, scheint der Kugelblitz diese tierisch schöne Trophäe schon im Sack zu haben.
Doch nach der Startnummer 15 taucht plötzlich die pralle Sonne über dem Hahnenkamm auf.Während Österreichs Vincent Kriechmayer diese Bedingungen mit der 16 trotz klarer Bestzeit am Hausberg wegen eines Linienfehler im Schlussstück nicht ausnutzen kann, fährt Thomas Dressen mit der 19 den ersten deutschen Hahnenkamm-Sieg seit Sepp Ferstl 1979 ein.
Österreichs Altmeister Hans Knauss, der 1999 auf der Streif triumphierte, sagt zu SonntagsBlick: «Der Thomas ist ein genialer Skifahrer, der die Bedingungen genial ausgenutzt hat. Aber natürlich darf man Beat Feuz als moralischen Sieger bezeichnen, er hat bei deutlich schlechterem Licht eine grandiose Leistung abgeliefert.» Anstelle der goldenen Gams überreicht Beat seiner Katrin den Blumenstrauss für den zweiten Rang und erscheint dann zum Interview mit SonntagsBlick.
BLICK: Beat, Hans Knauss bezeichnet Sie als moralischen Hahnenkamm-Sieger. Fühlen Sie sich auch so?
Beat Feuz: Schön, wenn der Hans das so sieht. Aber der Sieger heisst nun Mal Thomas Dressen. Aber wenn ich in Betracht ziehe, dass ich im letzten Jahr bei der Abfahrt im Fangzaun gelandet bin, kann ich mit dem zweiten Rang sehr gut leben. Zumal mir bei nicht einfachen Bedingungen eine Bomben-Fahrt geglückt ist. Dass zwischen Nummer 18 und 20 dann auch noch die Sonne so richtig durchscheint, kann ich nicht beeinflussen. Aber wie gesagt: In Kitzbühel musst du als Abfahrer immer dankbar und glücklich sein, wenn du gesund das Ziel erreichst.
Viele Abfahrer haben zugegeben, dass sie es vor allem bei ihrer ersten Begegnung mit der «Streif» so richtig mit der Angst zu tun bekommen haben. Wie war das bei Ihnen?
Ich war 2010 erstmals in Kitzbühel. Nachdem ich im Teamhotel eingecheckt habe, musste ich mir von den Routiniers erstmals einige Räubergeschichten anhören. Einer hat mich aufgefordert, den Koffer gar nicht erst auszupacken, weil ich ja sowieso bald im Spital landen würde. Über solche Sprüche konnte ich noch lachen. Weil ich vor meinem ersten Trainingslauf auf der Streif einen Anfängerfehler begangen haben, ist mir das Lachen aber schnell vergangen.
Was haben Sie gemacht?
Neben dem Start steht das Athletenhaus mit einem Balkon. Von hier aus hat man den sehr wahrscheinlich krassesten Blickwinkel in die berüchtigte Mausefalle. Mein Fehler war, dass ich mir von hier aus den Mann mit der Startnummer 1 angeschaut habe. Dieser Anblick ist mir brutal eingefahren. Ich habe mir gedacht, dass man nicht ganz Dicht sein kann, wenn man hier voll auf Zug hinuntersticht. Ich habe mir deshalb auch überlegt, ob ich nicht besser mit der Gondel ins Tal fahren soll. Ich konnte mich dann doch überwinden, aber ich war bei der ersten Fahrt komplett überfordert. Deshalb habe ich nach meiner Zielankunft auch nicht wie sonst üblich als erstes auf den Zeit-Monitor geschaut. Meine Zeit war in diesem Moment meine kleinste Sorge.
Der Franzose David Poisson hatte im vergangenen November im Training in Nakiska weniger Glück. Haben Sie den Eindruck, dass sein Tod im Ski-Zirkus zu schnell in Vergessenheit geriet?
Wir Athleten haben ihn ganz sicher nicht vergessen.
Aber könnte es sein, dass ihn die Kitzbühler vergessen haben? Sie selber haben die Sicherheit bei den Sprüngen nach dem ersten Kitzbühel-Training stark kritisiert.
Ich denke, dass das eine Momentaufnahme war. Aber was bis und mit dem ersten Training hier in Kitzbühel abgegangen ist, war meiner Meinung nach wirklich total unnötig, die Sprünge waren wirklich schlecht gebaut. Nach meinen kritischen Aussagen sind gewisse Schlaumeier daher gekommen und haben gesagt: «Kitz ist halt eben Kitz. Und Kitzbühel muss auch Kitzbühel bleiben.» Auch ich bin der Meinung, dass Kitzbühel einen besonderen Status hat. Es soll eine besonders schwierige Abfahrt bleiben. Das heisst aber noch lange nicht, dass man hier böse Stürze herausfordern muss. Aber die Kitzbühler haben ja dann sehr gut auf die Kritik reagiert, die Sprünge wurden perfekt bearbeitet.
Sie haben auch bei den ausländischen Teams viele Freunde. Wie schwer sind Ihnen nach Poissons Tod die Begegnungen mit seinen Teamkollegen gefallen?
Extrem schwer. Als Poisson in Nakiska verunglückt ist, waren wir nicht nur auf derselben Piste – wir wohnten auch im selben Hotel wie die Franzosen. Jedes Mal wenn mir ein Teammitglied im Frühstücksraum begegnet ist, habe ich automatisch an Poisson gedacht. Besonders heftig war es, wenn dir derjenige über den Weg gelaufen ist, mit dem Poisson das Zimmer geteilt hat. Deshalb waren ein paar meiner Teamkollegen und ich der Meinung, dass wir sofort von diesem Ort verschwinden und uns auf einer anderen Piste auf die Rennen in Lake Louise vorbereiten. Die Teamleitung hat in dieser Situation sehr gut reagiert und hat uns diesen Wunsch erfüllt.
Sie werden im kommenden Sommer erstmals Vater. Glauben Sie, dass sich die Geburt Ihres Kindes auf die Leistungen und ihre Gedanken auf einer gefährlichen Abfahrt auswirken könnte?
Ich weiss es nicht. Bei Ex-Abfahrtsweltmeister Michael Walchhofer war es ja so, dass er an Renntagen keinen Kontakt mit den Kindern haben wollte, weil er sonst Schwierigkeiten gehabt hätte voll ans Limit zu gehen. Mein Ex-Teamkollege Didier Défago hat es dagegen richtig genossen, wenn er seine Familie auch noch kurz vor dem Start sehen konnte. Ich kann beide verstehen, obwohl ich das Gefühl habe, dass ich diesbezüglich eher wie Défago reagieren werde. Aber vielleicht denke ich dann auch ganz anders, wenn das Kind da ist.
Viele Männer nehmen vor der Geburt Ihres Kindes an einem Wickelkurs teil. Sie auch?
Diesen Gedanken hatte ich noch nicht, aber vielleicht sollte ich das tatsächlich tun. Sattelfest bin ich in der Disziplin Windelnwechseln auf jeden Fall noch nicht.
Worauf werden Sie bei der Erziehung ihres Kindes besonders achten?
Mein Kind soll möglichst normal aufwachsen. Es soll nicht zu verwöhnt werden, aber es soll auch nicht so herumlaufen müssen, damit es von anderen Kindern wie ein Aussenseiter behandelt wird. Das Kind soll höfliche Umgangsformen lernen, es soll seinen Mitmenschen freundlich guten Tag und guten Abend sagen. Und ganz wichtig: Es soll möglichst viel Zeit mit seinen Kollegen draussen an der frischen Luft verbringen. Ich werde auch überhaupt nichts dagegen haben, wenn es mit komplett verdreckten Kleidern nach Hause kommt.
Wie weit seit sind Sie mit ihrer Partnerin Katrin auf der Suche nach Vornamen?
Überhaupt nicht weit, weil wir ja noch nicht wissen, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird.
Welche besonderen Erinnerungen sind Ihnen aus Ihrer eigenen Kindheit geblieben?
Sehr speziell war mein allererstes Skirennen. Ein Familien-Rennen im Schangnau. Ich bin als dreijähriger Knirps mit Vater und Mutter an den Start gegangen. Es hat mich bis zur Einfahrt in den Zielhang ungefähr sieben Mal auf die Schnauze gehauen. Nachdem ich im Schlussstück nochmals gestürzt bin, blieb ich auf der Piste liegen und schrie: «Ich fahre keinen Meter weiter!» Obwohl man mich natürlich zur Fahrt ins Ziel überreden wollte, blieb ich stur und habe so mein erstes Rennen nie beendet.
Rund 15 Jahre später haben Sie Ihr erstes Ausrufezeichen bei einer WM gesetzt – nicht in der Abfahrt, sondern im Slalom!
Ja, da habe ich bei der Junioren-WM in Bardonecchia hinter dem Tschechen Filip Trejbal und dem Schweden Mattias Hargin Bronze im Slalom gewonnen. Heute muss ich eingestehen, dass mir damals auf dem Podest nicht ganz geheuer war, weil ich mich vor Trejbal aufgrund seines Aussehens immer ein bisschen gefürchtet habe. Er hatte immer lange Haare, einen ziemlich langen Bart und trug immer so ein Hundehalsband mit Nieten. In seiner Nähe habe ich nie ein böses Wort gesagt, weil ich mir gedacht habe, dass ich im Weglaufen langsamer bin als er in der Verfolgung...
Hat sich Ihr Verhältnis zu Trejbal im Laufe der Jahre entspannt?
Wir haben uns komplett aus den Augen verloren, weil ich mich immer mehr zum Speed-Fahrer entwickelt habe, während er bis zum Rücktritt Slalom-Spezialist blieb.
Können Sie sich vorstellen, dass sie im kommenden Frühling Ihren Rücktritt erklären, wenn sie nach WM- auch noch Olympia-Gold gewinnen?
Lasst mal Olympia an uns vorbeiziehen, dann schauen wir weiter. Obwohl: Eigentlich kann ich schon jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das nicht meine letzte Saison als Skirennfahrer sein wird. Im nächsten Winter findet ja in Are bereits wieder eine WM statt. Die Titelverteidigung reizt mich schon sehr. Ob es danach mit mir noch ein weiteres Jahr als Rennfahrer gibt, ist komplett offen.
Viele talentierte Skifahrer sind bei grossen Rennen am Druck zerbrochen. Sie scheinen genau diese Situationen zu lieben.
Ja, ich finde solche Rennen besonders cool. Man kann die Anspannung im Startgelände bei einer WM, bei Olympia, in Wengen oder Kitzbühel förmlich riechen. Es wird viel weniger gesprochen als bei normalen Weltcuprennen. Das fasziniert mich. Aber ich tanze in solchen Situationen immer ein bisschen aus der Reihe, versuche auch mal einen Konkurrenten, mit einem Spruch zu verunsichern.
Erzählen Sie uns ein Beispiel.
Ich bin hier in Kitzbühel vor dem ersten Training relativ spät an den Start gekommen. Und während Christof Innerhofer schon in kompletter Rennmontur um mich herum getanzt ist, hatte ich noch nicht einmal den Renndress angezogen. Da hat mich der Innerhofer schief angeschaut und gefragt: «Wurde die Startzeit nach hinten verschoben – oder bist du so locker drauf?» Ich habe ihm geantwortet, dass ich noch einigermassen locker sei, obwohl die Nummer 1 meines Wissens soeben gestartet sei. Ich weiss, dass eine solche Haltung einen Gegner ziemlich verunsichern kann. Bei Innerhofer ist mir das in diesem Fall aber nicht gelungen, er hat danach die Bestzeit aufgestellt.