Nach Marcel Hirscher, Lucas Pinheiro Braathen und Lindsey Vonn will nun auch der Oberwalliser Jahrhundert-Sportler Pirmin Zurbriggen in den Ski-Zirkus zurückkehren. Logischerweise wird der 61-Jährige nicht mehr selber die langen Abfahrtslatten anschnallen. Aber der erfolgreichste Rennfahrer in der Swiss-Ski-Geschichte agiert als Berater des Weltcup-OKs Zermatt-Cervinia.
Nachdem die Zweiländerabfahrt auf der Gran Becca trotz eines Fünfjahresvertrags aus dem Weltcupkalender gestrichen wurde, präsentieren die Mattertaler dem internationalen Skiverband mit der Gornergrat-Abfahrt eine spektakuläre, geschichtsträchtige Alternative. Das Gornergrat-Derby war bis 1967 ein Fixpunkt im internationalen Rennkalender. Die Strecke war damals sechs Kilometer lang, der Waadtländer Speed-Spezialist Jean-Daniel Dätwyler (79, Olympia Bronze-Gewinner 1968) benötigte bei seinem Streckenrekord vor 57 Jahren sechs Minuten und zehn Sekunden.
In der Zwischenzeit hat Olympiasieger Bernhard Russi (75), der sich nach seiner glorreichen Karriere als Abfahrer auch als Pistenbauer einen grossen Namen gemacht hat, den Zermattern eine neue Abfahrtsstrecke designt. Die oberen zwei Drittel sind neu, das letzte Drittel entspricht der alten Streckenführung. «Die neue Variante der Gornergrat-Abfahrt ist jetzt rund 3000 Meter kürzer. Aber ich möchte euch jetzt beweisen, dass die Piste nichts an Attraktivität verloren hat – ganz im Gegenteil», sagt Zurbriggen schmunzelnd und macht sich mit der Crew des Blicks auf den Weg zur Streckenbesichtigung.
Der Steilhang ist dreimal länger als auf der Streif
Auf 2850 Metern über Meer, wo der Blick aufs Matterhorn einem Postkartenfoto gleichkommt, bleibt der vierfache Gesamtweltcupsieger erstmals stehen. «Hier ist der Startbereich geplant. An diesem Punkt hat es neben der traumhaften Aussicht auch jede Menge Platz, um den Athleten, Betreuern und Helfern eine optimale Infrastruktur zu gewähren.»
Nach dem Start geht es in ein Gleitstück, bis die Abfahrer nach rund zwanzig Fahrsekunden so richtig gefordert werden. «Nach der Einfahrt in den Steilhang folgen sechs Kurven, die immer schwieriger werden», erklärt Zurbriggen. Weil diese atemberaubende Passage genauso steil, aber dreimal länger ist als der berüchtigte Steilhang auf der Kitzbüheler Streif, drängt sich für den Laien die Frage auf, ob das nicht zu gefährlich ist. Der Abfahrtsolympiasieger von 1988 schüttelt den Kopf: «Wenn die besten Abfahrer der Welt am Start stehen, muss man denen etwas Besonderes bieten, die wollen richtig gefordert werden. Zudem kann das Tempo mit der richtigen Kurssetzung dosiert werden.»
«Diese Bilder werden um die Welt gehen!»
Die grösste Pointe dieser Gornergrat-Abfahrt kommt aber unmittelbar nach dem Steilhang: Während die Abfahrer am Lauberhorn durch den Eisenbahntunnel donnern, sollen Marco Odermatt und Co. in Zermatt in Zukunft über die Galerie der Gornergratbahn springen. «Wir werden an dieser Stelle Sprünge sehen, die bis 100 Meter weit gehen können», glaubt Zurbriggen, der in seiner glorreichen Rennfahrerlaufbahn ein einziges Mal die Hunderter-Marke geknackt hat: «Das war im Dezember 1986 im Abfahrtstraining in Val d’Isère, als ich in der Bosse à Collombin weit in die Fläche hinuntergesprungen bin, wo es mich brutal zusammengefaltet hat. Das wird beim Sprung über die Galerie nicht passieren. Hier werden die Rennfahrer im Steilen landen.»
Der vierfache Weltmeister erwähnt das enorme Vermarktungspotenzial dieses Galerie-Sprungs. «Die TV-Kameras können hier genau so aufgebaut werden, dass neben den spektakulären Sprüngen der Rennfahrer gleichzeitig das Matterhorn zu sehen sein wird. Diese Bilder würden um die Welt gehen, sie wären beste Werbung für unseren Sport.»
Der letzte Abschnitt benötigt einen Feinschliff
Nach dem Mega-Sprung folgt ein kurzes Flachstück. Dann wird es wieder steil mit technisch sehr anspruchsvollen Passagen, bis die Rennfahrer die alte Gornergrat-Derby-Strecke erreichen. Das darauffolgende letzte Drittel bis ins Ziel braucht noch einen Feinschliff. Die lang gezogenen, schnellen Kurven passen wunderbar, aber die eine oder andere Stelle ist zu eng. «Da werden wir ganz sicher noch Anpassungen vornehmen müssen», ist sich Zurbriggen bewusst. «Aber das sind Dinge, die wir problemlos in den Griff bekommen werden.»
Das Ziel liegt auf Schweigmatten-Furi auf 1860 Metern. Zurbriggen, der zwischen 1982 und 1990 vierzig Einzelweltcupsiege eingefahren hat, spricht nach dieser Streckenbesichtigung besondere Worte aus: «Es gibt im aktuellen Weltcupkalender keine Abfahrt, die mehr Facetten beinhaltet als die Gornergrat-Piste. Man kann sie mit der anspruchsvollen Streif in Kitzbühel vergleichen. Oder mit der Lauberhorn-Abfahrt, die mit ihrer Länge, dem Hundschopf und dem technisch so schwierigen Brüggli-S etwas Grossartiges darstellt. Auf der Gornergrat-Abfahrt kommt der besonders mutige Athlet aber genauso auf seine Rechnung, wie der geniale Techniker und der begnadete Gleiter. Und deshalb hätte ich mir als Rennfahrer genau diese Piste im Weltcupkalender gewünscht.»
Noch ist unklar, ob und wann am Gornergrat, wo sowohl Spektakel als auch Tradition zur Geltung kommen, Weltcuprennen ausgetragen werden. Eine Vorentscheidung dürfte im Januar fallen, wenn die hohen Herren der FIS in Zermatt eine weitere Inspektion vornehmen.