Salzburg, Juli 2022: Marco Odermatt sitzt im Biergarten vom Gasthof Brandstätter mit Hermann Maier (51). Der Superstar vom Vierwaldstättersee führt mit Österreichs Jahrhundert-Sportler ein launiges Gespräch über Gott und die Ski-Welt.
Irgendwann kommt die Marke von 2000 Weltcuppunkte zur Sprache, die der Herminator in der Saison 1999/2000 geknackt hat. Maier winkt ab: «Sehr viel wertvoller als die 2000 Punkte ist der Gewinn von vier Weltcupkugeln in einem Winter. Ich habe das 1999/2000 und 2000/01 geschafft. Für mich hat es am Ende der Saison kein schöneres Gefühl gegeben, als wenn ich meine Kugeln nach der finalen Siegerehrung nicht mehr alle selber ins Hotel tragen konnte.»
Die ganz grossen Emotionen fehlen
Nachdem Odermatt im letzten Winter Maiers Punkterekord von 2000 auf 2042 verbessert hat, weiss er seit gestern auch, wie sich ein derart historischer Kugelhagel anfühlt. In Saalbach, nur eine knappe Autostunde vom Maiers Wohnort in Flachau entfernt, sichert sich der Nidwaldner nach dem Gewinn vom Gesamtweltcup, der Riesen- und der Super-G-Wertung auch den Disziplinensieg in der Abfahrt.
Obwohl der 26-Jährige die kleine Abfahrts-Kugel zum ersten Mal in Empfang nehmen darf, bleiben die ganz grossen Emotionen aus. Grund: Die letzte Abfahrt dieses Winters kann aufgrund von Neuschnee und Wind gar nicht erst gestartet werden. Frankreichs «Skidane» Cyprien Sarrazin wird damit von Petrus um die Chance gebracht, die 42 Punkte Rückstand auf Odermatt wettzumachen. Der zweifache Kitzbühel-Sieger hadert aber keine Sekunde mit diesem Entscheid. «Unter diesen Bedingungen war kein Rennen möglich, die Sicherheit der Rennfahrer wäre nicht gewährleistet gewesen.»
Dann verrät der 29-Jährige ein bemerkenswertes Detail aus dem Gespräch, das er unmittelbar nach der Absage mit Odermatt geführt hat. «Marco sagte mir, dass es für ihn schon ein bisschen komisch sei, diese Kugel ohne dieses Rennen zu gewinnen. Aber ich habe ihm gesagt, dass das Teil des Spiels und für mich ganz normal sei.»
Dem väterlichen Idol auf den Fersen
Die finale Saison-Bilanz von Odermatt ist aber definitiv abnormal. Abnormal stark! Obwohl er aufgrund der wetterbedingten Absagen acht Rennen weniger als geplant bestreiten kann, gewinnt der Buochser wie im Vorjahr 13 Weltcuprennen. Und vier Kristallkugeln in einem Winter hat vor ihm erst ein Schweizer gewonnen: Pirmin Zurbriggen (61) in der Saison 1986/87. Der Walliser hält mit 40 Triumphen nach wie vor den Schweizer-Rekord bezüglich Weltcup-Einzelsiegen. Mit 37 Triumphen ist Odermatt dem Abfahrts-Olympiasieger von 1988 aber auch in dieser Wertung auf den Fersen.
Weil sein Vater Walti seit jeher ein eingefleischter Fan von Zurbriggen ist, ist Marco dem grossen Pirmin schon als kleiner Bub erstmals begegnet. Bevor Odermatt Senior 2002 gemeinsam mit Paul Schmidiger im Nidwaldner Ski-Verband neue Strukturen für eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit geschaffen hat, hat er sich in Zermatt von Zurbriggen beraten lassen. «Ich habe den damals fünfjährigen Marco zu meiner Verabredung mit Pirmin mitgenommen. Aber während wir Pirmin die wertvollsten Inputs für die optimale Nachwuchsförderung geliefert hat, ist Marco zwischen uns eingeschlafen», erinnert sich Walti.
Der Start in den nächsten Speed-Winter soll anders werden
Nach diesem Winter wirkt Odermatt aber überhaupt nicht müde. «Die Saison hat mit den Absagen in Zermatt und Beaver Creek komisch angefangen und geht mit einer weiteren Absage komisch zu Ende. Somit hat es dazwischen immer wieder Phasen gegeben, in denen ich mich erholen konnte.»
Wenn es nach FIS-Präsident Johan Eliasch geht, wird der Start in die kommende Saison anders verlaufen. Der schwedisch-britische Milliardär hat bei der letzten Mannschaftsführersitzung am Samstagabend verlauten lassen, dass er im nächsten Weltcup-Kalender auf das Speed-Opening in Zermatt-Cervinia verzichten möchte. Diese Nachricht kommt deshalb überraschend, weil Eliasch im Gegensatz zu den FIS-Rennleitern noch vor ein paar Wochen für die Zweiländerabfahrt in der Matterhorn-Region plädiert hat.
Odermatt neutral zu Zermatt eingestellt
Doch nachdem sich ein Grossteil der Rennfahrer anlässlich der Sitzungen in Kvitfjell und Saalbach dagegen ausgesprochen haben, ist nun auch der FIS-General eingeknickt. Was sagt Marco Odermatt dazu? «Niels Hintermann und ich haben bei diesen Sitzungen die Schweiz vertreten, beim Thema Zermatt haben wir uns neutral verhalten. Als Schweizer haben wir den Vorteil, dass wir auch im Sommer in Zermatt Abfahrtschwünge trainieren können. Die meisten anderen Nationen können das nicht, deshalb wollen sie im November lieber ein Trainingsblock in Nordamerika, als ein Wettkampf in Zermatt absolvieren.»
Aufgrund dieser Tatsache will Eliasch die kommende Saison mit drei Technik-Events in Sölden (Ö, Riesenslalom Männer und Frauen), Levi (Fi, Slalom Männer und Frauen) und Gurgl (Ö, Slalom Männer und Frauen) lancieren. Die Speed-Spezialisten sollen Ende November erstmals einen Super-G in Cooper Mountain bestreiten, danach soll in Beaver Creek neben der obligaten Abfahrt und dem Super-G auch ein Riesenslalom ausgetragen werden. Fix ist dieses Programm aber noch nicht. Der präsidiale Vorschlag muss zuerst vom Council vom internationalen Ski-Verband abgesegnet werden.