Hatte Mikaela Shiffrin am Freitag eine Vorahnung? Auf ihre unglaublichen Rekorde angesprochen, meinte sie: «Irgendein junges Mädchen wird sie eines Tages brechen. Und das ist auch gut so.» Und nun dies: Die erst 17-jährige Neuseeländerin Alice Robinson heizt ihr in Sölden (Ö) nicht nur ein, sondern schlägt die Ski-Überfliegerin sogar. Im Ziel sagt sie: «Es ist völlig verrückt!»
Noch ist Robinson weit weg von Shiffrins 60 Weltcupsiegen, 5 WM- und 2 Olympia-Goldmedaillen. Aber die Junioren-Weltmeisterin, die neben dem Riesenslalom auch Super-Gs fährt, ist definitiv ein Rohdiamant. Das bewies sie schon beim Weltcupfinale in Soldeu (And) im März, als sie Zweite hinter Shiffrin wurde. In Sölden dreht «Kiwi» Robinson den Spiess um. Damit schreibt sie schon als Teenie Geschichte: Sie ist nach Annelise Coberger (1 Sieg) und Claudia Riegler (4 Siege) in den 90er-Jahren erst die dritte Neuseeländerin, die es aufs oberste Weltcup-Treppchen schafft. Robinson schmunzelnd: «Bloss hat das in Neuseeland kaum einer live miterlebt. Es gibt keine TV-Übertragungen von Weltcuprennen.»
Das ist in ihrem Geburtsland Australien anders. Dort lebte Robinson bis zu ihrem vierten Lebensjahr. «Aber ich fühle mich voll und ganz als Neuseeländerin.» Das geht so weit, dass sie bei Partien der «All Blacks» – so wird das Rugby-Team Neuseelands genannt – richtiggehend mitzittert. Genau das passiert in Sölden zwischen ihren beiden – wobei Neuseeland den WM-Halbfinal gegen England mit 7:19 verliert. «Das war brutal, denn ich bin ein grosser Rugby-Fan. Zum Glück habe ich jetzt trotzdem etwas, worüber ich mich freuen kann.» Viel Zeit zum Feiern hat der Blondschopf jedoch nicht. Der Grund? Sie muss zurück in die Heimat, nach Queenstown (Neus). «Ich habe noch eine Woche Schule. Dann kann ich mich endlich nur aufs Skifahren konzentrieren.»
Shiffrin weiss, was das bedeuten kann. Sie muss auch künftig mit dem neuen Stern am Ski-Himmel rechnen. «Alice fährt unglaublich stark. Ich sehe das Feuer in ihren Augen. Sie erinnert mich an meine Anfangszeit. Damals fuhr ich auch alles oder nichts.» Noch ist Robinson weit davon entfernt, Shiffrin Alpträume zu bescheren. Eine ihrer Marken hat sie aber egalisiert: Der erste Weltcup-Sieg im Alter von 17 Jahren. Und noch etwas verbindet die beiden: Robinson wird von Chris Knight, Shiffrins Erfolgscoach früherer Jahre, gecoacht. Shiffrin blickt bereits voraus: «Ich glaube nicht, dass der steigende Druck Alice Mühe machen wird, sie ist unglaublich cool.»
Shiffrin trauert um Grossmutter
Das gilt auch für Shiffrin selbst. Zumindest gegen Aussen. Doch da ist noch etwas anderes in diesen Tagen von Sölden. Denn: Shiffrin trauert um ihre Grossmutter Pauline Cordon. Die 98-Jährige starb am letzten Dienstag nach langer Krankheit. «Stimmt. Aber sie will nicht darüber reden», bestätigt US-Medienfrau Megan Harrod.
Dazu muss man wissen: Shiffrins Bindung zu ihrer «Nana», wie sie ihre Grossmutter liebevoll nannte, war seit jeher gross. Das spiegelt sich nicht nur in ihrem kompletten Namen Mikaela Pauline Shiffrin wider. Wir erinnern uns: Als der Ski-Star 2016 in Killington (USA) den Riesenslalom gewann, war Condron erstmals Zielraum eines Weltcuprennens. Shiffrin weinte vor Glück. «Dass sie dies sehen konnte, ist unglaublich. Ich kann es nicht beschreiben. Nie vorher war ich so stolz wie in diesem Moment.»
Shiffrin besuchte ihr Grossmami auch als Profi so oft wie möglich – zuletzt im Frühling. Dabei hinterliess sie bei ihrer Abreise traditionell eine Nachricht auf einer Schiefertafel im Eingangsbereich. «Ich liebe dich», schrieb sie einst mit Kreide – und malte darunter ein grosses Herz. Sie weiss: Es gibt wichtigeres als Skirennen.