Im Haus von Bea und Beat Gisin in Engelberg OW brennt ein Kerzenlicht. Das tut es immer, wenn sich Tochter Michelle (25) oder Sohn Marc (30) vereiste Pisten hinunterstürzen. Bereits bei Rennen ihres ersten Kindes, der mittlerweile zurückgetretenen Dominique (33), war dies stets der Fall. Das Licht sollte und soll den Kindern Glück bringen. Dabei geht es Bea und Beat weniger um ihr Resultat, sondern um sehr viel Wichtigeres: die Gesundheit.
Auch an diesem Samstag hoffen die Gisins, dass Sohn Marc die berühmt-berüchtigte Saslong in Gröden heil übersteht. Sie wissen, dass er auf der gleichen Strecke schon einmal schwer stürzte – nach dem Mauer-Sprung. Doch diesmal erwischt es Marc etwas später: Vor den Kamelbuckeln verliert er das Gleichgewicht, geht zu Boden und wird fürchterlich durch die Luft geschleudert. Nach dem brutalen Aufprall liegt er regungslos im Schnee, ist lange bewusstlos. Was seine Familie in diesem Moment durchmacht? Man mag es sich nicht vorstellen.
Bereits sehr früh wurden die Gisins mit Verletzungen ihrer Kinder konfrontiert. Dominique musste sich schon als Teenager mehrmals am Knie operieren lassen, verbrachte lange mehr Zeit im Spital als auf der Piste. Das prägte ihre acht Jahre jüngere Schwester Michelle. Und natürlich auch Mutter Bea.
Bereits 2015 stürzt Marc
Unter anderem deshalb versprach ihr Michelle, sich zuerst auf die weniger gefährlichen, technischen Disziplinen zu konzentrieren. Doch da war auch noch Marc, der sich nach einem Start als Slalom-Fahrer bald auf die Speed-Disziplinen fokussierte. Mit seinen 1,98 Meter war er prädestiniert dafür. Er brachte die Masse, vor allem aber auch den nötigen Mut mit.
Doch 2015 erwischte es ihn in Kitzbühel. Beim Super-G auf der berüchtigten Streif stürzte er bei der Hausbergkante. Die Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma. Jahrelang litt Marc an posttraumatischen Folgen, konnte teilweise nicht mehr richtig schlafen, war ständig müde und musste lange pausieren.
Und nun also der nächste Schicksalsschlag. Den gutmütigen, ruhigen Riesen hats schon wieder erwischt. Der Traum von Michelle, dass ihr Bruder 2022 den familieninternen Gold-Hattrick (Dominique und Michelle wurden 2014 respektive 2018 bereits Olympiasiegerinnen) schaffen könnte, ist in weite Ferne gerückt. Wobei Michelle gegenüber SonntagsBlick schon vor zwei Jahren einräumte: «Man kann das Skifahren bei den Männern nicht mit jenem bei den Frauen vergleichen. Die Dichte ist viel grösser. Bei uns fahren die Top 10 sehr gut, danach gibt es ein paar Wilde. Man muss schon extrem gut sein, um es bei den Männern überhaupt in die Top 30 zu schaffen.»
Familie Gisin geht durch dick und dünn
Letztlich muss nicht nur Marc, sondern die ganze Familie Gisin die nächste Hiobsbotschaft überstehen. Dass sie es schaffen – nein, daran zweifelt niemand. Denn sie halten zusammen, gehen durch dick und dünn. Wie dankte doch Michelle vor zwei Jahren im SonntagsBlick ihrer Mutter in einem offenen Brief: «Es gab nicht nur lustige Geschichten, sondern auch schwierige Momente. Dazu zählen alle Verletzungen, die Dominique, Marc und ich erlitten haben, die schwierigen Zeiten danach und andere Tiefs. Dad und du seid immer zu uns gestanden. Ihr habt uns getröstet, motiviert und an uns geglaubt, alles gemacht, damit wir so bald wie möglich wieder auf den Ski stehen und unseren Traum weiterverfolgen konnten und es uns so gut wie möglich ging.»