Michelle Gisin liebt das Skifahren. Das führt dazu, dass die Worte bei Interviews nur so aus ihrem Mund sprudeln. Doch nun ist alles anders. Die Frohnatur aus Engelberg OW macht nach dem Horror-Sturz ihres Bruders Marc eine harte Zeit durch. Deshalb bittet sie um Verständnis, dass sämtliche Kommunikation über den Skiverband läuft.
«Ich habe viel um die Ohren», schreibt sie BLICK. Und: «Wir möchten uns im Moment auf unsere Familie konzentrieren.» Das ist mehr als nur verständlich. Genauso verständlich wäre es, wenn Michelle auf die Speed-Rennen in Gröden (Dienstag und Mittwoch) verzichten würde.
Oder wären Starts auf jener Piste, die ihren Bruder am Samstag so fürchterlich abwarf, für die mentale Verarbeitung sogar nützlich? Die Entscheidung ist offen.
Dass es so weit kommen würde, hat niemand erwartet. Rückblick. Vor zehn Tagen sitzt Michelle Gisin mit ihren Teamkolleginnen im Kleinbus von Swiss Ski. Die Stimmung ist gut, es wird geplaudert, gescherzt – und spekuliert. Denn zu diesem Zeitpunkt ist unklar, wo die abgesagten Speed- Rennen von Val-d'Isère (Fr) nachgeholt werden. «Vielleicht in Santa Caterina. Oder in Bormio», spekuliert Gisin. Teamkollegin Priska Nufer (26) wirft ein: «Oder in Gröden!» Gisin antwortet: «Wenn es Gröden ist, sage ich dir schon jetzt: Über die Kamelbuckel springe ich nie im Leben!»
Weniger als zwei Wochen später weilt Michelle genau in diesem Gröden. Die FIS wählte das Dolomiten-Tal als Ersatz. Damit werden die Ski-Girls erstmals überhaupt über die berühmte Saslong brettern. Montag Training, Dienstag Training, im Anschluss dann die Abfahrt. Und am Mittwoch der Super-G.
Gisin freute sich riesig auf ihre Saslong-Premiere. Doch nun hat sich die Ausgangslage verschoben. Genau über die von Michelle angesprochenen Kamelbuckel stürzte Marc, ehe er bewusstlos im Schnee liegen blieb. Ein Schock. Für Gisin, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Bruder pflegt, war er besonders gross. Diesen Schmerz muss sie zuerst einmal verdauen. Oder – sollte sie tatsächlich an den Start gehen – gar für je zwei Minuten vergessen.
Girls umfahren Kamelbuckel
Dass Michelle wie alle anderen die Kamelbuckel umfahren wird, dürfte eine untergeordnete Rolle spielen. Es geht bei ihr um viel mehr. Immerhin: Die Frauen-Saslong wird einfacher zu fahren sein, als dies viele zu Beginn befürchteten.
Davon ist Cheftrainer Beat Tschuor überzeugt. «Ich denke nicht, dass das Rennen extrem schwierig wird. Auch die wellige Ciaslat-Wiese wird nicht mit so viel Tempo befahren werden. Dafür werden die Kurssetzer sorgen.»
Trotzdem: Für Gisin wird die Herausforderung riesig. Vielleicht ist es eine der grössten im bisherigen Leben als Rennfahrerin.