Ramon Zenhäusern wurde im letzten Sommer immer wieder mit einer ziemlich unangenehmen Frage konfrontiert: «Wann erklären Sie Ihren Rücktritt?» Im Nachhinein kann der Walliser darüber lachen: «Weil ich nach dem missglückten letzten Winter bei den Kader-Selektionen meinen Platz in der Nationalmannschaft verloren habe, glaubten viele Leute, dass ich nicht mehr bei Weltcuprennen starten darf. Dabei hatte für mich die Degradierung – mit Ausnahme von einem etwas teureren Auto-Leasing – keine Konsequenzen.»
So konnte der 2,02-Meter-Mann den Anschluss an die Weltspitze auch in relativ kurzer Zeit wieder herstellen. Beim Nachtslalom in Schladming war er in der letzten Januar-Woche Zweiter hinter Olympiasieger Clement Noël. Gestern liefert sich der 30-Jährige bei der WM-Hauptprobe in Chamonix erneut ein packendes Duell mit dem Franzosen. Bei Halbzeit liegt Zenhäusern noch 15 Hundertstel zurück. Doch während dem Bürchner im Final ein Traumlauf gelingt, scheidet Noël unmittelbar nach der ersten Zwischenzeit aus – Zenhäusern feiert seinen dritten Weltcupsieg im Slalom.
Zenhäusern schnappt sich Kristoffersen-Ex
Es ist sein erster Triumph seit Dezember 2020. «Es hat lange gedauert, bis im Ziel endlich wieder einmal das sch... Grün hinter meinem Namen aufleuchtete», stöhnt der «Doppelmeter». «Die Kurssetzung des zweiten Laufs war sehr schwierig. Ich war mir deshalb nicht sicher, ob ich Vollgas geben soll. Aber letztendlich habe ich die richtige Mischung gefunden und konnte die Fahrt richtig geniessen.»
Dass bei Zenhäusern nach dem grossen Frust im Vorjahr nun wieder der Genuss im Zentrum steht, ist auch auf einen Ausraster von Henrik Kristoffersen zurückzuführen. Der Norweger schickte im letzten November seinen Servicemann Philippe Youle Petitjean in die Wüste. So konnte der Franzose im Frühling zu Zenhäusern wechseln.
«Im letzten Winter habe ich mich im Materialbereich komplett verzettelt. Jetzt hat mir Youle mit seiner enormen Erfahrung wieder zur passenden Abstimmung verholfen.» Wie verzweifelt Zenhäusern im Vorwinter nach dem passenden Set-Up gesucht hat, beweist sein Versuch beim Weltcup-Final von Courchevel: Innerhalb von eineinhalb Tagen wechselte er da viermal das Ski-Model. «In dieser Saison musste ich den Ski kein einziges Mal wechseln. Youle hat für mich ein Model heraus getestet, welches bei sämtlichen Bedingungen perfekt funktioniert.»
Ski-Grieche zahlt 100'000 Franken und belohnt sich selbst
Gut getan hat Zenhäusern im letzten Sommer auch der Urlaub, den er mit seiner Familie wie jedes Jahr auf der griechischen Halbinsel Peloponnes verbrachte. Und eine griechische Pointe beinhaltet auch der Chamonix-Slalom – Alexander «AJ» Ginnis gelingt im zweiten Durchgang mit einer überragenden Laufbestzeit der Sprung vom 23. auf den 2. Rang! Der 28-Jährige geht als erster griechischer Podestfahrer in die Geschichte des alpinen Weltcups eingehen.
Geboren ist Ginnis in Athen, wo sein griechischer Vater General-Importeur für Fischer-Ski war. Weil der Senior bald ein Sportgeschäft im Salzburgerland übernahm, wuchs der Junior aber im Pinzgau auf. Dank seiner aus Florida stammenden Mutter hat Ginnis auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. 2015 gewann AJ für das US-Team Slalom-Bronze bei der Junioren-WM. Nach drei Kreuzbandrissen wurde er jedoch von den Amis aussortiert, seitdem fährt er für Griechenland.
Weil der griechische Ski-Verband nur geringe finanzielle Mittel verfügt, hat Ginnis gemäss Insidern 100'000 Franken pro Saison aus der eigenen Gönner-Kasse bezahlt. Jetzt wurde dieser aussergewöhnliche Kämpfer erstmals belohnt. Apropos grosser Kämpfer: Daniel Yule kommt mit seinem dritten Rang dem Gewinn der kleinen Kugel einen grossen Schritt näher. Zwei Rennen vor Ultimo liegt der Unterwalliser in der Slalom-Gesamtwertung noch 36 Punkte hinter dem Norweger Lucas Braathen, der aufgrund einer Blinddarm-OP auf den Start in Frankreich verzichten musste.