BLICK: Mikaela Shiffrin, der Höhepunkt des Winters ist die WM in Are (Sd). Da könnten Sie zum vierten Mal nacheinander Slalom-Gold holen. Ihre Gefühle?
Mikaela Shiffrin: Zahlen und Statistiken machen mich nervös. Schon bei der letzten WM sagten mir alle: «Du kannst zum dritten Mal gewinnen!» Ich verstehe, dass die Leute dafür interessieren. Ich habe aber auch so genügend Gründe, diesen Slalom gewinnen zu wollen.
Welche?
Es sind zu viele, um sie aufzuzählen (lacht). Ich lasse es also sein.
Der Wichtigste?
Ich will es für mich und mein Team schaffen.
Sie gewinnen fast jeden Slalom. Ausgerechnet in Pyeongchang im Februar wurden Sie aber nur Vierte.
So schnell kann es gehen.
In ihrer Heimat Amerika erwarteten alle Gold. War der Druck zu gross?
In den USA wird jedem Athleten eingetrichtert: Olympia ist deine grosse Chance. Sonst gibt es nichts. Doch im Skifahren ist das nicht so, auch der Weltcup und die WM sind sehr populär
Aber nicht bei Ihnen zuhause.
Falls ich in Are Erfolg habe, werden sich vielleicht mehr Leute dafür interessieren als früher. Denn Olympia ist noch nicht lange her – Ski vielleicht noch in den Köpfen der Menschen.
Sie haben alles gewonnen: Drei Mal WM- und zweimal Olympiagold, zweimal den Gesamtweltcup, fünf Mal den Slalomweltcup. Trotzdem erbrechen Sie auch mal vor lauter Nervosität. Macht Sie der Druck kaputt?
Ohne Druck kann ich nicht leben. Das wird auch nach meiner Karriere so sein. Ich werde mich nie auf die Couch legen und sagen: Das wars, ich habe keinen Druck mehr.
Das kann ermüdend sein.
Manchmal vergesse ich den Druck. Wenn ich mich gut fühle, positiv bin, im Training stark fahre – dann ist alles nur Spass.
Auch bei Siegen sind sie ab und an unzufrieden. Warum sind Sie so hart zu sich?
Ich will immer das Maximum aus mir herausholen.
Und alle schlagen.
Vor dem Rennen denke ich nie: «Ich hasse diese Mädchen, ich will sie schlagen.» Ich bin nicht mit dem Instinkt geboren, Menschen besiegen zu wollen.
Passierte dies trotzdem schon mal?
Ja. In Flachau im letzten Winter. Vor dem ersten Lauf sagte ich mir: «Schlag sie alle!» Das ging tüchtig in die Hose. Im Zweiten habe ich mich dann nur um mich und die Uhr gekümmert. Alles stimmte. Dieses Gefühl liebe ich.
Haben Sie im Ski-Zirkus Freundinnen?
Sofia Goggia würde ich als Freundin bezeichnen. Die anderen kenne ich nicht gut genug, um sie Freundinnen zu nennen.
Das kann man ändern.
Weil ich in den USA lebe, ist das schwierig. Und im Winter geht es immer hin und her. Dabei würde ich gerne mit allen befreundet sein. So wie Federer – ihn kann niemand hassen, alle lieben ihn.
Sie haben ihn im Sommer in Chicago getroffen. Wie wars?
Ich bin fast gestorben, brachte beinahe keinen Satz raus (lacht). Doch er war so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: Nett, respektvoll, cool.
Ob Tennisturniere, Pferderennen oder Partys: Sie haben im Sommer viel erlebt.
Ich geniesse mein Leben neben dem Skisport immer mehr, erlebe tolle Dinge.
Bei Ihren Strandferien in der Karibik trugen Sie einen Hut mit der Aufschrift «Math's sooo cute», also «Math ist sooo süss.» Eine Liebeserklärung an ihren Freund Mathieu Faivre?
Einer guter Kollege von mir macht solche Hüte mit persönlichen Botschaften. Math und ich wollten das auch. Es war lustig – lächerlich, aber lustig.
Und doch steckt viel dahinter. Was gibt ihnen ihr Freund?
Es ist unglaublich, Math an meiner Seite zu haben. Wir ticken gleich, freuen uns und trösten uns gegenseitig. Mit Math kann ich Dinge teilen, die ich sonst niemandem anvertraue. Er fühlt es, wenn mich etwas Persönliches belastet.
Sie sehen sich im Winter fast nie.
Genau darum könnte ich keine «normale» Beziehung haben. Wenn ich eine hätte, würde es heissen: «Warum bist du nie zuhause? Warum reist du immer ab?»
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Als er im Dezember 2016 den Riesenslalom in Val d'Isère gewann, habe ich ihm gratuliert. Eine Woche später gewann ich in Sestriere, er schickte mir ein SMS. So fingen wir an zu schreiben. In Aspen beim Weltcupfinal, wo Männer und Frauen zusammen sind, hab ich ihn dann geschrieben: «Wollen wir uns nicht treffen?»
Wie ging es weiter?
Er schrieb nicht zurück! Dabei hatte ich meinem Coach Jeff Lackie gesagt: «Ich glaube, ich werde mich verlieben.»
Wieso antwortete er nicht?
Vielleicht sah er die Nachricht nicht sofort, ich weiss es nicht mehr. Ich war auf jeden Fall wütend und schrie: Ich schreibe ihm nie mehr! Kurz danach haben wir uns getroffen (lacht).
Sie kokettierten lange mit ihrer Liebe. Es gab ein Bild von Faivre in Paris mit Ihnen, doch ihr Gesicht sah man nicht.
Wir hatten unseren Spass. Alle fragten sich: Wer ist die Blonde? Doch so gings nicht weiter. Ich wollte schliesslich mit niemand anderem mehr zusammen sein als mit Math. Er empfand das Gleiche. Ich habe das Gefühl, ihn schon mein ganzes Leben lang zu kennen. An seiner Seite fühle ich mich wohl.
Folgen Heirat und Kinder?
Oh nein, so weit sind wir noch nicht!
Sehen Sie sich eines Tages als Mutter?
Ja. Ich liebe Kinder. Zumindest jetzt. Doch wer weiss, wenn ich mal ein Kind habe. Vielleicht flehe ich es dann an: «Hör bitte auf zu weinen!» (lacht)
Als Donald Trump Sie nach ihrem Olympiasieg im Riesenslalom ins Weisse Haus einlud, folgten Sie nicht. Warum?
Ich war in einem Trainingscamp in Kalifornien.
Es wurde mancherorts als Zeichen des Protests interpretiert.
Ich bin nicht in Politik gebildet, habe es nicht studiert. Ich masse mir nicht an, über die Regierung oder unseren Präsidenten zu urteilen.
Sie haben Ihre eigene Meinung?
Klar. Aber wer sagt, dass diese die Antwort auf alles ist?
Ihr Wort hat Gewicht.
Ich will gehört werden. Aber bei Dingen, die ich verstehe. Ich versuche zu zeigen, wie toll Skifahren ist. Und ich will ich ein Vorbild sein für jüngere Athleten. Dazu gehört auch, mich gegen Mobbing einzusetzen.
Lindsey Vonn ist offensiver, sie kritisierte Trump öffentlich.
Und hat damit einen Shitstorm generiert. Ich finde es gut, wenn sie für ihre Meinung einsteht. Ich aber könnte mit den Folgen eines Shitstorms nicht umgehen.
Warum nicht?
Als ich im Weltcup begann, war ich wirklich scheu, schämte mich für alles. Dann habe ich gelernt, dass ich nicht weit komme, wenn ich mir immer überlege, was andere von mir halten.
Aber?
Wenn ich etwas auf Instagram stelle, es 80 nette und einen bösen Kommentar gibt, trifft mich die eine negative Bemerkung.
Sie lesen alle Kommentare?
Fast alle. Ich weiss, ich muss damit aufhören. Denn es kann hart sein.
Zurück zum Sport. Sie träumten als Kind davon, alle Weltcup-Kristallkugeln in einer Saison zu gewinnen. Ist das überhaupt realistisch?Nicht für mich. Ich sehe mittlerweile, wie schwierig es ist, für jede Disziplin zu trainieren. Es ist extrem ermüdend.
Was streben Sie an?
Ich möchte in jeder Disziplin einmal ein Rennen gewinnen. Noch fehlt mir der Super-G.
Und in Bezug auf die Gesamtwertungen?
Ich will den Slalom-, den Riesenslalom- und den Gesamtweltcup gewinnen.
Wer sind für Letzteres ihre härtesten Gegnerinnen?
Wendy Holdener und Michelle Gisin werden im Speed immer besser, sie sind gefährlich. Auch Ilka Stuhec dürfte eine harte Gegnerin werden, wenn sie sich von ihrem Kreuzbandriss gut erholt hat.
Lara Gut verzichtet dagegen künftig auf Kombinationen und Slaloms.
Sie hatte eine normale Vorbereitung und ist sicher zurück bei alter Stärke. Es scheint mir, als sei sie sehr zufrieden mit ihrem Leben. Via Social Media habe ich von ihrer Beziehung mit Valon Behrami gelesen und gesehen, dass sie bei der Fussball-WM in Russland war. Cool!
Mikaela Shiffrin, mit 16 Jahren debütierten Sie im Weltcup. Jetzt sind Sie 23. Wie lange gehts weiter?
In dieser Form wie bisher sicher keine weitere zehn Jahre. Irgendwann muss ich kürzer treten. Vielleicht höre ich sogar vor 30 auf.
Was ist danach?
Politikerin werde ich wohl nicht (lacht). Vielleicht mache ich etwas in Richtung Ski-Coaching. Ich werde dem Sport immer verbunden bleiben. Vielleicht gehe ich auch zurück zur Schulde und studiere Physik – so wie einst Dominique Gisin. Und wie sie Flugzeug-Pilotin zu sein, wäre auch cool!
Mikaela Shiffrin ist Tochter eines Anästhesisten (Jeff) und einer ehemaligen Skifahrerin (Eileen). Sie wuchs in Vail, Colorado, auf. Mutter Eileen coachte sie von früh auf – auch heute ist sie mit «Miki» und ihrem Privatteam unterwegs. Shiffrin gilt als Wunderkind, schon mit 18 Jahren wurde sie Slalom-Weltmeisterin in Schladming. Bis heute hat sie 43 Weltcupsiege angehäuft, in der ewigen Siegerinnen-Liste liegt sie auf Rang 10 und liegt (noch) 12 Siege hinter Vreni Schneider, der besten Schweizerin. Für viele Experten ist klar: Shiffrin wird dereinst als beste Skifahrerin überhaupt in die Ski-Geschichte eingehen. Beim Weltcup-Auftakt in Sölden am kommenden Samstag ist sie die grosse Favoritin.
Mikaela Shiffrin ist Tochter eines Anästhesisten (Jeff) und einer ehemaligen Skifahrerin (Eileen). Sie wuchs in Vail, Colorado, auf. Mutter Eileen coachte sie von früh auf – auch heute ist sie mit «Miki» und ihrem Privatteam unterwegs. Shiffrin gilt als Wunderkind, schon mit 18 Jahren wurde sie Slalom-Weltmeisterin in Schladming. Bis heute hat sie 43 Weltcupsiege angehäuft, in der ewigen Siegerinnen-Liste liegt sie auf Rang 10 und liegt (noch) 12 Siege hinter Vreni Schneider, der besten Schweizerin. Für viele Experten ist klar: Shiffrin wird dereinst als beste Skifahrerin überhaupt in die Ski-Geschichte eingehen. Beim Weltcup-Auftakt in Sölden am kommenden Samstag ist sie die grosse Favoritin.