Er verzieht sein Gesicht, wie wenn ein Metzgermesser in seinem Rücken stecken würde. Dabei will Mauro Caviezel doch nur einen Stein vom Boden aufheben. «Tami, de Stai isch ja u huara schwer», flucht der Bündner. Es ist ein Duplikat des 83,5 Kilo schweren Unspunnen-Steins, welches dem 87 Kilo schweren und 181 cm grossen Mauro das Leben gerade unheimlich schwer macht.
Im Endeffekt hebt der Bruder von Riesen-Spezialist Gino Caviezel diesen Koloss bis zu seiner Gürtellinie. «Für mich ist es aber unvorstellbar, dass man dieses Ding über Kopf heben und dann ein paar Meter weit stossen kann.»
Der Interlakner Peter Michel (198 cm, 125 Kilo) beherrscht genau das meisterhaft. Der ehemalige NLB-Handballer hat den Unspunnen-Stein bereits auf 3,90 Meter gewuchtet und drei Mal das Eidgenössische gewonnen. «Ich bewege in einem Krafttraining in 25 Minuten mindestens 13 Tonnen und habe seit dem Jahr 2004 rund 2500 Mal einen Stein gestossen», erklärt Michel.
Damit nun auch Caviezel zum ersten Mal in seinem Leben einen Stein richtig stossen kann, hat ihm der Michel «Pesche» den kleinen Bruder des Unspunnen-Kolosses mitgebracht – der sieht zwar genau so aus wie das Original, bringt aber nur 22 Kilo auf die Wage.
«Ok, damit müsste auch ich eine ordentliche Weite erzielen können», glaubt Mauro. Michel steht ihm als Coach zur Seite und zeigt ihm, wie man einen Stein richtig «lesen» kann: «Der Unspunnen-Stein liegt am besten in den Händen, wenn die eingravierte Jahrzahl nach oben schaut. Beim Stein, der bei den Wettkämpfen in der Innerschweiz benutzt wird, tue ich mich dagegen leichter wenn die Zahlen nach unten schauen.»
Noch wichtiger ist aber die richtige Anlauflänge. «Ich habe zwei fixe Anlauflängen. Wenn ich bei 10,70 Meter starte, sind meine Stösse zu 99 Prozent gültig. Wenn ich von 11,90 Meter anlaufe, stehe ich nur jeden dritten Versuch, weil ich mit bedeutend mehr Tempo zum Abstossbalken kommen. Dafür fliegt der Stein fünf bis sechs Zentimeter weiter», erklärt Michel.
Caviezel schmunzelt: «Passt, dann nehme ich jetzt einen Anlauf von zwölf Metern!»
Mauro setzt sein Vorhaben in die Tat um und stösst den 22-Kilo-Stein beim ersten Versuch auf fünfeinhalb Meter. Das erste Urteil von Grossmeister Michel: «Mauro, das ist für den Anfang ganz ordentlich. Ich muss dir aber sagen, dass ich eine solche Weite aus dem Stand heraus mit einer Hand erziele.»
Angespornt von diesen Worten will der Mann von der Lenzerheide noch einen obendrauf setzen. Und tatsächlich: Diesmal geht der Stein über sechs Meter hinaus. Das reicht, schliesslich will Caviezel seinem Körper nicht mit einer weiteren Hau-Ruck-Aktion noch mehr Schaden zu fügen.
2011 ging es ihm derart schlecht, dass Mauro wegen einer kaputten Schulter und einem völlig demolierten Knie kurzzeitig sogar im Rollstuhl Platz nehmen musste. Die Ärzte haben Caviezel damals prophezeit, dass er nie mehr richtig Sport betreiben könne.
Doch dank seinem eisernen Willen und einem begnadeten Therapeuten aus der Innerschweiz fährt er nun aufs WM-Podest.
Ein wirklich steinharter Typ, dieser Mauro Caviezel.