Es waren diese Stunden im März, als Mikaela Shiffrin (25) mit Mutter Eileen auf dem Weg von Denver nach Hause nach Edwards war. Ein Schneesturm machte aus der eigentlich zweistündigen Strecke im US-Bundesstaat Colorado einen acht Stunden langen Trip.
Eine Alptraum-Fahrt, die zu den Alptraum-Monaten der besten Skifahrerin der Welt passte: Zuerst war «Nana» Pauline gestorben, Shiffrins geliebte Grossmutter, mit 98 Jahren. Und im Februar verunglückte ihr Vater Jeff (65) bei einem Unfall zuhause schwer. Mit einer Kopfverletzung wurde er ins Spital eingeliefert, wo er schliesslich starb.
Als die Shiffrins nach der Fahrt durch den Schneesturm nach Hause kamen, sei es ihr zuhause vertraut und fremd vorgekommen, sagt sie dem «Bleacher Report». Sie kam als ein anderer Mensch zurück an den Ort, als den sie ihn verlassen hatte.
«Hast du gute Schwünge gemacht?»
Die Erinnerungen an den Vater, das Quietschen des Garagentores, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, seine Fragen, nach ihren Rennen. «Nicht, auch welchem Platz du gelandet bist», fragte er sie als Kind. «Darum geht es nicht. Hast du ein paar gute Schwünge gemacht?»
Nie habe er sie gedrängt, viel hat sie von ihm mitgenommen: Den methodischen Ansatz, die selbstbewusste Durchsetzungsfähigkeit, die musikalische Seite.
All das ist in ihrem Elternhaus weiter präsent – auch wenn sie nicht mehr 10-jährig und der Vater nicht mehr da ist.
Einschlafen in Mamas Bett
«Ich wollte nicht alleine sein», sagte sie. «Ich konnte nicht alleine sein.» Auch ihre Mutter konnte das nicht. Weshalb Mikaela im Bett ihrer Mutter zu schlafen begann. Sie tut es heute immer noch. Die Shiffrin-Frauen halten sich dabei in den Armen, besonders wenn Mikaela einen bösen Traum hat.
Eine Angst, die sie dabei hat: Weitere Familienmitglieder zu verlieren. «Was, wenn es meine ganze Familie treffen würde», frage sie sich manchmal, so die 66-fache Weltcupsiegerin. «Was, wenn sie alle mit dem Auto verunglücken? Bei einem Flugzeugabsturz?»
Sprechen wie ein Kleinkind
Was ein bisschen hilft? «Babysprache», sagt Shiffrins Bruder Taylor (28). Wenn sie merke, dass ihre Tochter niedergeschlagen sei, verfalle Mama Eileen, die längste Zeit Mikaelas Trainerin, in eine lautmalerische Sprache, wie man sie mit Kleinkindern spreche. Mikaela antworte auf dieselbe Art, bis beide in Lachen ausbrechen, den Schmerz und den Druck vergessen.
Rennen an Papas Geburtstag gestrichen
Acht Rennen hatte die trauernde Shiffrin nach Jeffs Tod verpasst. Als sie für eine Rückkehr bereit war, wäre sie am 8. März, am Geburtstag ihres Vaters, an den Start gegangen. Bereit, «ein paar gute Schwünge» zu zeigen.
Doch der Schnee fehlte, die Rennen in Deutschland wurden abgesagt und kurz darauf wurde wegen des Coronavirus die Saison abgebrochen.
Jetzt sind die Shiffrins daheim in Colorado, helfen sich gegenseitig in ihrer Trauer. «Du kannst dich jetzt nicht verabschieden», sagte Taylor nach Mikaelas Rückkehr zu seiner Schwester. «Wir schaffen das nicht nur zu zweit. Oder sogar allein.»
Das sei der Moment gewesen, in dem etwas in ihr gedreht habe, sagt Shiffrin. Sie würde stark sein. Und sie würde die Dinge angehen. Zum Beispiel die Steuern der Familie. Etwas, das immer Jeff gemacht hatte.
Kein einfaches Unterfangen, mit Preisgeldern und Einnahmen in US-Dollars, Euros, Schweizer Franken. Lange Tage verbrachte sie damit, die Familienfinanzen zu überblicken. Dazu TV-Abende mit der Familie, Youtube-Tanzlektionen, Gitarren-Üben.
Und ab und zu Babysprache mit der Mutter. Natürlich lässt auch das den Verlust eines Ehepartners, eines Vaters nicht vergessen. Aber ein bisschen hilfts.