Lara Gut-Behrami wird im April 29 Jahre alt. Und blickt bereits auf eine ereignisreiche Karriere zurück. Mit vielen Hochs – aber auch Tiefs. Im Interview mit dem «Tagesanzeiger» nimmt die Tessinerin vor den Rennen in Garmisch-Partenkirchen (De) kein Blatt vor den Mund.
Lara Gut-Behrami über ...
... das Umgehen mit Kritik:
«Egal, was einer gewonnen, geleistet hat, wenn es heute nicht passt, meint jeder, er könne kritisieren. Für diese Leute sieht es aus, als wäre alles ganz leicht. Ich habe hart dafür gearbeitet, dass ich zehn Jahre lang vorne mitmischen konnte. Und dann verläuft eine Saison dermassen katastrophal, dass ich nur noch fünzehntbeste Skifahrerin der Welt bin – und sollte aufhören? Ich war unprofessionell? Das geht zu weit!»
... ihr Feuer für das Skifahren:
«Mir ist nun klar, dass ich auf Sachen verzichten muss in meinem Leben. Mit 18 war mir das egal, ich wusste, dass ich nicht ein Leben führe wie die anderen Teenager. In den Ausgang zu gehen, habe ich nie vermisst, in der Schule ging ich einen anderen Weg. Jetzt bin ich bewusster weg von zu Hause, weil ich es liebe, Ski zu fahren. Aber ich vermisse etwas. Valon (Behrami) und ich wären auch lieber drei Tage zusammen als nur einen Tag. Doch wir wissen, dass diese Zeit nicht ewig dauert. Wenn ich 24 Stunden am Tag nur ans Skifahren denke, verbrenne ich. Ich gewann alles und war gleichzeitig total am Ende. Fertig mit der Welt! Nun kann ich es voll geniessen, wenn ich zu Hause bin, dann gehe ich mit Energie in den Kraftraum, hinterher liege ich drei Stunden auf dem Sofa und sehe fern. Das ist ein Leben, wie ich es vorher nicht kannte.»
... einen Rückblick auf ihr Leben:
«Wenn ich immer nur zurückschaue, geniesse ich gar nicht, was ich habe. Was bringt es, darüber nachzudenken, was ich die letzten fünf Jahre hätte tun können. Das stürzt mich nur in eine Depression. Ich habe nicht geweint die letzten fünf Jahre, ich hatte Erfolg, erlebte Unglaubliches. Aber ja: Ich wollte immer mehr und verletzte mich.»
... mangelnden Respekt gegenüber Frauen im Skisport:
«Ich wurde zu einem Roboter, um mich zu schützen. Aber persönlich hat mich das gebrochen. Ja, gerade als Frau muss man sich andauernd rechtfertigen. Alle Trainer sind Männer. Als Frau zu sagen: So ist es! Das war nicht leicht. Und ich muss noch eines sagen: Wir sind Frauen! Wird über uns geredet, hiesst es: Ja, ja, die Mädchen. Ich glaube, bei den Männern käme es nicht gut an, würde sie jemand Buben nennen. Die Athletinnen müssen immer genau beweisen können, dass sie recht haben. Ich glaube, wenn jeder verstehen würde, dass wir alle hier sind, um das Beste zu geben in diesem Sport, dann wäre das schon ein wichtiger Schritt. Wenn ich mit etwas nicht zufrieden bin und darüber rede, heisst das nicht, dass ich herummotze. Sondern ich sage: Hier müssen wir ansetzen, ich habe einen Vorschlag. Wenn aber alle denken: Das ist doch ein Mädchen, zickig, es hat seine Tage – darauf kann man doch nicht aufbauen. Logisch höre ich das – und das viel zu oft. Athletinnen trauen sich dadurch von Anfang an weniger zu. Wenn sie mit 15 nicht animiert werden, ihre Meinung zu sagen, tun sie das auch mit 25 nicht. Höre ich Leute, die meinen, sie wüssten alles besser als wir, hat das nichts mit Kritik zu tun – es ist einfach nur Blödsinn. Wie kann das jemand sagen, der noch nie dabei war im Training? Ich sei faul, müsse mehr trainieren, den Trainer wechseln – was soll das!»
... Verletzt werden durch Kritik:
«Besonders Mühe habe ich, wenn sie sich erlauben, über uns als Menschen zu urteilen. Wenn gesagt wurde, meine Eltern sollen mich nicht mehr begleiten, wissen diese Leute nicht, was es heisst, mit 16 immer unterwegs zu sein. Ich hatte das Riesenglück, meinen Vater dabeizuhaben. Denn auch wenn alle in einem Team unterwegs sind: Wir Athletinnen sind einsam. Gerade, wenn es nicht läuft.»
... Privatsphäre ihrer Familie:
«Wenn ich daran denke, was alles über meinen Vater geschrieben wurde ... An solche Themen sollte sich keiner trauen. Jemandem vorzuschreiben, was er zu tun hat mit seiner Familie, ist für mich tabu. Da lass ich auch nicht gelten, dass wir das als öffentliche Personen hinzunehmen hätten. Ich bin eine öffentliche Person wegen des Skifahrens. Also reden wir über das – aber nicht über den Rest.»
... Gründe, warum sie sich eingeigelt hat:
«Ich habe nicht alles richtig gemacht, führte Kriege mit Zeitungen, weil ich mich unwohl fühlte, missverstanden. Nur: Einmal redete ich zu wenig, dann zu viel, dann bin ich ausgerastet, dann war ich schlecht gelaunt und sagte nichts, weil ich dachte, es kommt ohnehin nur Mist heraus. Rede ich nicht, bin ich arrogant. Erkläre ich, was ich weshalb tue, muss ich mich rechtfertigen, kommen von allen Seiten Inputs. Mir ist der Respekt für meine Familie das Wichtigste. Meine Privatsphäre. Erst recht, sollten wir dereinst Kinder haben. Es ist unser Leben, es gehört uns.»