Mit vier Abfahrts-Triumphen gehört Franz Klammer zum Kreis der grössten Hahnenkamm-Legenden. Einzig Didier Cuche hat auf der sagenhaftesten Abfahrt der Welt noch einen Sieg mehr herausgefahren. Deshalb gehört der 67-jährige Kärntner auch 37 Jahre nach seinem letzten Erfolg auf der «Streif» noch immer zu den gefragtesten Interview-Partnern in Kitzbühel.
Klammer macht im Gespräch keinen Hehl daraus, dass er sich bei den Ski-Übertragungen heute oft langweilt. «Im Vergleich zu meiner Zeit sind zu viele Pisten kastriert worden», stöhnt «Kaiser Franz» und liefert ein konkretes Beispiel: «Früher gehörte der Collombin-Buckel in Val-d’Isère zu den grössten Herausforderungen im Weltcup-Zirkus. Weil heute die Kurssetzung bis zu dieser Stelle eher einem Riesenslalom als einer Abfahrt gleichkommt, bleiben die spektakulären Sprünge aus. Das tut mir echt weh.»
Klammer hat mit dem Ski-Zirkus von heute aber noch ein anderes Problem. «Der Skisport entwickelt sich immer mehr zu einer Zweiklassen-Gesellschaft.» Der Abfahrts-Olympiasieger von 1976 wird nun richtig nostalgisch. «Wir waren damals eine Gruppe von jungen Leuten, die sich zwar auf der Piste bis aufs letzte bekämpft haben, aber daneben hatten wir eine unglaublich gute Kameradschaft. Bei uns gab es keine Sonderbehandlung. Heute werden Top-Stars wie Pinturault mit Privat-Jets herumgeflogen, während andere auf dem Weg zum nächsten Rennen unzählige Kilometer auf der Autobahn zurücklegen müssen. Das ist für die Kameradschaft nicht förderlich.»
War früher wirklich alles so viel besser? Beat Feuz schüttelt den Kopf. «Früher war einfach alles ganz anders. Der Sport ist viel professioneller geworden. Damals gingen die meisten Skirennfahrer in sämtlichen Disziplinen an den Start. Heute fahren die meisten höchstens noch in zwei Disziplinen, weil das Level in den individuellen Sparten derart hoch ist, dass man sich spezialisieren muss.»
Eine Eigenheit würde der Emmentaler aber gerne aus Klammers Epoche in die Neuzeit «beamen»: «Das Unbeschwerte aus dieser Zeit. Die Rennfahrer konnten früher viel mehr Mensch sein. Höre ich die Geschichten von älteren Athleten, waren sie damals nach den Rennen mit ihren Freunden im Ausgang und oft die Letzten, die ins Bett kamen. Wenn ich das heute mache, würde mich sicher jemand mit der Handy-Kamera abschiessen und am nächsten Tag wäre dieses Foto gross in allen Online-Portalen und Zeitungen.»
Aber wäre das denn so schlimm? «Ja, das wäre nicht ideal, denn wir Athleten haben als Person in der Öffentlichkeit eine Vorbildfunktion. Zudem würden es meine Sponsoren und Partner berechtigterweise nicht so lustig finden, wenn die Medien darüber berichten könnten, wie ich ausgelassen auf einem Tisch herumtanze. Es sei denn, ich wäre bei einem Schnaps-Hersteller unter Vertrag...», meint Feuz augenzwinkernd.
In diesem Punkt sind sich der Altmeister und der konstanteste Abfahrer der Gegenwart einig. «Ich muss tatsächlich dankbar sein, dass ich zu einer Zeit Rennfahrer sein durfte, in denen es noch keine Foto-Handys und Social Medias gab», gesteht Klammer mit einem breiten Grinsen. Eine Party ist dem Vater von zwei Töchtern in besonderer Erinnerung geblieben. «Nach meinem Sieg bei der Lauberhornabfahrt habe ich derart lange gefeiert, dass mir nicht mehr viel Zeit geblieben ist, um rechtzeitig an den Slalom-Start zu kommen. Aber im Endeffekt habe ich die Kombination dann trotzdem noch gewonnen.»
Eines hat sich aber zwischen der Ära von Franz Klammer und der Zeit von Beat Feuz nicht verändert: Die Angst vor dem ersten Start auf der «Streif». «Als ich vor meinem Debüt ein paar Fahren am Start zugeschaut habe, sagte ich: Die haben alle einen Vogel, ich fahre da sicher nicht hinunter. Aber nachdem ich mich dann doch überwinden konnte, fand ich die Piste plötzlich extrem cool.»
Unser «Kugelblitz» ist sich bewusst, dass er 2010 vor seinem ersten Mal am Hahnenkamm einen Anfängerfehler begangen hat. «Neben dem Start steht das Athletenhaus mit einem Balkon. Von hier hat man den wohl krassesten Ausblick auf die berüchtigte Mausefalle. Dummerweise habe ich von hier aus dem Mann mit der Startnummer 1 zugeschaut. Das fuhr mir brutal ein. Ich habe mir gedacht, dass man ‹nicht ganz dicht› sein kann, wenn man da voll auf Zug hinuntersticht. Ich habe mir überlegt, ob ich nicht besser mit der Gondel ins Tal fahre.»
Aber natürlich hat sich auch der Bauernsohn von Bumbach-Schangnau keine Blösse gegeben. «Aber ich war bei meinem ersten Streifzug wirklich komplett überfordert. Deshalb habe ich nach dem Ziel auch nicht wie sonst als Erstes auf den Resultat-Monitor geschaut. Meine Zeit war in diesem Moment meine kleinste Sorge.» Klammer nickt: «Die Streif ist und bleibt die schwierigste Abfahrt der Welt. Deshalb gibt es für einen Abfahrer auch kein befriedigenderes Gefühl, als wenn er hier gewinnen kann.»
Seit Freitag weiss auch Beat Feuz, wie gross die Befriedigung nach einem Abfahrts-Sieg am Hahnenkamm ist. Und jetzt könnte ihm das Kunststück gelingen, was Franz Klammer zwischen 1974 und 1978 gelungen ist: vier Abfahrts-Gesamtweltcupsiege in Serie! Aktuell liegt Feuz nach seinem zweiten Streif-Triumph am Sonntag 28 Punkte vor Klammers Landsmann Matthias Mayer. Vier Abfahrtskugeln konnte bisher übrigens nur ein weiter Fahrer gewinnen: Didier Cuche zwischen 2006 und 2011.