Hirscher möchte gerne in St. Gallen Fussball schauen
«Ich warte auf Hüppis Einladung»

Jetzt ist Marcel Hirscher sogar erfolgreicher als Ingemar Stenmark – zumindest in Adelboden. Der Österreicher überflügelt mit dem sechsten Sieg trotz missglückter Fahrt im Zielhang den bisherigen Chuenisbärgli-Rekordhalter.
Publiziert: 06.01.2018 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:42 Uhr
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Marcel Hirscher dominiert die Ski-Szene wie kein Anderer.
Foto: AFP
Marcel W. Perren (Interview)

Henrik Kristoffersen (23) steht ziemlich hilflos im Zielraum und schaut mit bangem Blick auf die grosse Videowand. Dort taucht mit Marcel Hirscher der reale Albtraum des 23 Jahre jungen Norwegers auf – in Beaver Creek, in Val-d’Isère und in Alta Badia wurde Kristoffersen vom Österreicher in dieser Saison jeweils bei Riesenslaloms auf den zweiten Rang verwiesen.

Auch diesmal spricht bis zu Hirschers Einfahrt in den Zielhang alles für den Österreicher – der Halbzeit-Leader nimmt einen Vorsprung von 49 Hundertsteln mit ins Schlussstück. Doch dann gerät die Maschine Hirscher ins Schleudern. Der Salzburger kommt beim sechstletzten Tor weit von der Ideallinie ab, kann nur mit grösster Mühe einen Ausfall verhindern.Kristoffersen scheint innerlich zu jubilieren. Alles deutet auf Henriks ersten Saisonsieg hin. Doch dann schüttelt der ehrgeizige Wikinger den Kopf. Warum? Hirscher gewinnt das Rennen trotz des Riesenbocks.

BLICK: Marcel, haben Sie auch ein bisschen Mitleid mit Henrik Kristoffersen
Marcel
Hirscher: Der Henrik hat kein Mitleid nötig, schliesslich gehört er zu den besten Skirennfahrern der Gegenwart, und er hat mich ja auch schon ein paar Mal besiegt. Ich habe diesmal nicht mehr daran geglaubt, dass ich ihn noch schlagen kann. Ich kann mich auf jeden Fall nicht erinnern, dass ich in diesem steilen Zielhang schon einmal so schlecht gefahren bin. Deshalb zählt das für mich zu den glücklichsten Momenten meiner Karriere, dieses Rennen trotzdem gewonnen zu haben.

In Zagreb haben Sie mit dem 50. Weltcupsieg den grossen Alberto Tomba eingeholt. Nach Ihrem 51. Triumph fehlen noch drei Siege bis zu Ihrem grossen Jugend-Idol Hermann Maier. Wie viel bedeuten Ihnen solche Marken?
Das ist schon eine andere Hausnummer, als wenn man drei Rennen zu Mitternacht und bei Halbmond gewonnen hat. Eine solche Marke erreicht man nicht von heute auf morgen. Das ist mit viel harter Arbeit verbunden. Wenn ich die 54 Siege von Hermann Maier auch noch schaffen könnte, wäre das für mich eine besondere Ehre.

Hirscher über die Chance, Hermann Meiers Rekord von 54. Weltcup-Siegen zu knacken: «Das wäre eine besondere Ehre.»
Foto: AFP

Sie sind wie Maier im Salzburgerland in sehr einfachen Verhältnissen gross geworden. Hatten Sie als Kind trotzdem immer top Skimaterial zur Verfügung?
Nicht wirklich. Meinen ersten Rennanzug haben vor mir schon drei andere Kinder getragen. Und auch meine ersten FIS-Rennen habe ich mit einem Anzug bestritten, bei dem ich viele undichte Stellen mit weissem Klebeband zusammenschustern musste. Am Ende der Saison bestand dieses Dress mehr aus Klebeband als aus Stoff. Ein wirklich extrem heisses Teil! Heute weiss ich, dass mir meine Eltern auch kein neues Skigewand besorgt hätten, wenn sie mehr Geld gehabt hätten.

Warum?
Sie haben sich immer daran gestört, wenn junge Rennfahrer ohne grossen Leistungsausweis mit den Klamotten des National-Teams durch die Gegend gefahren sind. Mein Papa hat immer gesagt, dass diese Burschen etwas imitieren würden, was sie selber gar nicht sind. Ich denke heute ähnlich. Mir sind schon öfters Kinder über den Weg gelaufen, die fast besser ausgerüstet sind als wir Weltcupfahrer. Das ist ungesund. Und auf mich wirkt es total schräg, wenn ein zehnjähriger Bub mit Sponsoren-Logos herumläuft.

Sie werden Ihre Kinder also nie in einen ÖSV-Dress stecken?
Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.

Ihr Vater gehört nach wie vor zu Ihrem Betreuerstab. Gibt es beim verbalen Umgang zwischen Beruf- und Privatleben einen grossen Unterschied in der Tonalität?
Dieser Unterschied ist tatsächlich sehr gross. Auf der Skipiste ist der Druck derart ausgeprägt, dass Emotionen ausgelöst werden. Und deshalb gibt es natürlich auch Momente, in denen ich auch gegenüber meinem Vater laut werden kann. Aber das kommt jetzt immer seltener vor, schliesslich ist der dreissigste Geburtstag auch für mich nicht mehr so fern. Und in diesem Alter sollte man zumindest in 99 Prozent der Fälle wissen, was sich gehört.

Was ist dieses eine Prozent, dass im gereiften Marcel Hirscher den früheren Choleriker wecken könnte?
2016 habe ich beim ersten Lauf des Nachtslaloms in Schladming fast nichts gesehen, weil meine Skibrille aufgrund von einem falschen Glas stark angelaufen ist. In solchen Situationen werde ich wohl auch nach meinem 30. Geburtstag noch cholerisch reagieren …

Sie verdienen heute den grössten Teil ihres Einkommens mit Werbung. Für welches Produkt würden Sie Ihren Namen nie hergeben?
Für einen Damen-Hygieneartikel. Das würde wohl nicht wirklich glaubwürdig rüber kommen.

Haben Sie schon solch bizarre Angebote erhalten?
Nein. Für unseriöse Angebote wirke ich, so glaube ich wenigstens, in meinen öffentlichen Auftritten zu seriös.

«Für einen Damen-Hygieneartikel» wird Hirscher nie werben.
Foto: AP

Und unmoralische Angebote von schönen Frauen?
Auch das ist kein Thema. Die meisten Frauen, die an mir interessiert sein könnten, wissen, dass ich seit vielen Jahren glücklich liiert bin.

Wie grosse Sorgen bereitet Ihnen und ihrer Freundin Laura die Reise zu den Olympischen Spielen nach Südkorea?
Wenn ich in den Medien lese, wie angespannt die Lage in Nordkorea sein soll, stelle auch ich mir manchmal schon die Frage, ob ich da wirklich hinfahren soll? Aber ich kann nicht beurteilen, wie viel von dieser Berichterstattung der Realität entspricht und was von den Medien aufgeblasen wird. Darum fällt es mir ganz schwer einzuschätzen, ob ich mir wegen dieser Reise wirklich Sorgen machen muss. Und weil ich die Handy-Nummer von Kim Jong Un nicht besitze und nicht nachfragen kann, was er wirklich im Schilde führt, muss ich mich in dieser Angelegenheit auf die IOC-Bosse verlassen. Diese Leute sind deutlich näher dran. Ich vertraue ihnen, dass sie diese Spiele nicht mit aller Gewalt durchdrücken werden.

Olympisches Gold ist das letzte Schmuckstück, welches in ihrer Trophäen-Sammlung noch fehlt. Ist es vorstellbar, dass Sie ihre Karriere nach einem allfälligen Olympiasieg im Frühling beenden?
Es ist so: Wenn diese Goldmedaille im Februar noch dazu kommen sollte, ist es wunderbar. Wenn nicht, wird es mein Leben nicht verändern. Und meine Ergebnisse in Südkorea werden sich auch nicht auf die Fortsetzung meiner Karriere auswirken. Ich habe als Skirennfahrer schon noch andere Ziele.

Welche sind das?
Die werde ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Ihr Journalisten müsst ja vor der nächsten Saison auch noch etwas über mich zu berichten haben.

Der fünffache Gesamtweltcupsieger Marc Girardelli wollte in dieser Saison beim Schweizer TV eine Karriere als Co-Kommentator lancieren. Am Freitag wurde er allerdings bereits wieder abgesetzt. Kann sich der sechsfache Gesamtweltcupsieger Hirscher einen solchen TV-Job vorstellen?
Sicher nicht in den ersten zehn Jahren nach meinem Rücktritt. Bis ich einen solchen Job annehmen würde, müssten mindestens 15 Jahre vergehen.

Hirscher kann sich eine Karriere als Co-Kommentator «in den ersten zehn Jahren nach dem Rücktritt» nicht vorstellen.
Foto: KEYSTONE

Hätten Sie unmittelbar nach dem Rücktritt Schwierigkeiten, wenn Sie einstige Rennfahrer-Kollegen live im TV kritisieren müssten?
Nein, damit hätte ich ganz sicher keine Probleme. Aber nach meiner Karriere möchte ich erst einmal ein paar Jahre lang nicht immer am gleichen Tag, in der gleichen Stunde am gleichen Ort sein müssen.

Am 2. März 1989 – knapp zwanzig Tage nach Ihrer Geburt – hat die Schweiz letztmals den Alpinen Nationen-Weltcup gewonnen. Glauben Sie, dass Sie in dieser Wertung noch einmal einen Schweizer Sieg erleben werden?
Freilich, ich erkenne im Schweizer Team sehr grosses Nachwuchs-Potenzial. Ich denke da vor allem an Loic Meillard, in meinen Augen ein absoluter Mega-Skifahrer. Er ist technisch extrem ausgereift, könnte wirklich ein grosser Star werden.

Wem würden Sie die Stimme bei der nächsten Wahl zum Weltsportler des Jahres geben?
Als Skirennfahrer habe ich zum Beispiel keine Ahnung, was man mitbringen muss, um Weltmeister im Curling zu werden. Dafür kann ich zumindest Ansatzweise einschätzen, welch gigantische Leistung ein Biathlet erbringt. Ich habe diese Sportart einmal auf Inline-Skates absolviert und habe beim Schiessen die Scheibe nicht einmal aus einer Distanz von fünf Metern getroffen, weil mein Puls nach der für mich extrem anstrengenden Runde mit den Skates auf 195 oben war.

Stimmt es, dass Sie nach dieser Saison ein Heimspiel des FC St. Gallen besuchen werden?
Nachdem Matthias Hüppi das Schweizer Fernsehen für das Präsidenten-Amt bei St. Gallen verlassen hat, habe ich ihm ausrichten lassen, dass er mich in seiner neuen Funktion gerne einmal zu einem Fussballspiel einladen darf.

Und? Haben Sie bereits eine Einladung erhalten?
Nein, ich warte noch. Aber falls die Einladung kommen würde, werde ich gerne in meiner Agenda nachschauen, ob ich dann auch wirklich Zeit habe.

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