BLICK: Daniel Yule, haben Sie sich als Kind eigentlich oft einsam gefühlt?
Daniel Yule: Wie kommen Sie denn auf diese Frage?
Weil Sie im Unterwallis in einem Weiler mit nur 14 Einwohnern aufgewachsen sind.
Ach so. Nein, einsam habe ich mich wirklich nie gefühlt. Schliesslich bin ich mit einer Schwester und einem Bruder aufgewachsen. Und mein bester Freund hat auch nur fünf Minuten von meinem Elternhaus entfernt gewohnt.
Ihr Vater ist aus Nordengland nach La Fouly ins Wallis ausgewandert, Ihre Mutter ist in Mexiko geboren und in Schottland aufgewachsen. Was ist an Ihnen typisch britisch?
Ich rede mit meinen Eltern und Geschwistern nach wie vor fast ausschliesslich Englisch. Mein Humor ist «very British» und entsprechend schwarz. Und natürlich habe ich auch einen richtig schottischen Sturkopf. Aber stur sind ja bekanntlich auch die Walliser, die keine schottischen Wurzeln haben.
Haben Sie sich auch überlegt, für Grossbritannien zu starten?
Ich habe mich erst 2008, bevor ich die ersten FIS-Rennen bestritten habe, für den Schweizer Pass entschieden. Lange habe ich mir Gedanken gemacht, ob ich diesen Pass wirklich will. Aber nicht, weil ich eine Rennfahrerkarriere unter britischer Fahne in Erwägung gezogen habe. Ich habe gezögert, weil ich keine Lust auf die Schweizer Armee hatte.
Waren Sie in der Sportler-RS?
Nein. Weil ich wirklich ein ganz starker Nachtwandler bin, wurde ich für dienstuntauglich erklärt.
Das haben Sie dem Aushebungs-Offizier doch nur vorgegaukelt.
Können wir bitte das Thema wechseln?
Können Sie als Sohn britischer Einwanderer nachvollziehen, dass Schweizer Fussballer mit albanischem Hintergrund bei der letzten Fussball-WM ihre Tore gegen Serbien mit der Doppeladler-Geste gefeiert haben?
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man zwei Fahnen im Herzen trägt. Ich fühle mich ja selber als richtiger Schweizer und als richtiger Brite. Aber die Aktion mit dem Doppeladler fand ich nicht schlau. Es wäre ungefähr das Gleiche, wenn ich im Ziel des Nachtslaloms in Schladming die österreichischen Gastgeber provozieren würde. So etwas gehört sich nicht für einen Wettkämpfer. Die politische Meinung hat im Sport nichts zu suchen. Ich würde im Schweizer Ski-Dress nie die britische Fahne schwenken.
Warum nicht?
Grossbritannien hat ja nichts gemacht für meine Skikarriere. Dass ich es so weit gebracht habe, ist der Verdienst meines Skiklubs und von Swiss Ski. Deshalb bin ich auf der Skipiste zu hundert Prozent Schweizer. Wenn ich nach der
Saison nach Grossbritannien gehe, fühle ich mich genauso zu Hause.
Ist es denkbar, dass Sie nach der Skikarriere in der Heimat Ihrer Eltern leben werden?
Ich träume oft von einem Wohnsitz in einem kleinen Schloss in Schottland, am besten in der Nähe eines Golfplatzes und des Meers. Ich stelle es mir wunderbar
vor, beim ärgsten Sauwetter in der Schlossbibliothek in einem Ledersessel zu sitzen, zu lesen und einen Whisky zu trinken.
Sind Sie eigentlich auch Fussballfan?
Ich bin kein Fan. Aber als Profisportler verfolge ich natürlich die anderen Sportarten in den Medien. Deshalb weiss ich zumindest, dass YB Schweizer Meister ist und auch ungefähr, wie es dem
FC Sion geht.
Wie gut kennen Sie Sion-Boss Christian Constantin?
Ich habe ihn vor ein paar Jahren
persönlich kennengelernt. Er ist
ein riesengrosser Sportfan und schickt mir immer ein SMS, wenn ich gut gefahren bin. Und wenn ich in Martigny keinen Parkplatz finde, kann ich ihn anrufen.
Waren Sie auch schon bei seiner legendären Sauerkraut-Gala dabei?
Nein. Constantin organisiert dieses Fest immer im Februar. Und weil ich weiss, dass es dort neben Sauerkraut auch viel Wein und Schnaps gibt, gehe ich dort lieber nicht hin. Auch ich trinke zwar gerne ein Glas Alkohol, aber nicht während der Wettkampfsaison.
Constantin hat sich lange für die Olympia-Kandidatur Sion 2026 starkgemacht. Waren Sie sehr enttäuscht nach dem Nein des Walliser Stimmvolks?
Schwierige Frage. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, war ich nicht wirklich enttäuscht. Ich erkenne zwar Bereiche, in denen sich ein Ja positiv auf unsere Region ausgewirkt hätte. Aber es gab eben auch einige negative Punkte.
In welcher Hinsicht hätten Winterspiele der Schweiz gutgetan?
Es gibt bei uns viele Leute, die behaupten, dass wir immer mehr Touristen verlieren, weil der Franken zu stark ist oder weil die Hotelbetriebe in der Schweiz weniger Subventionen erhalten als im Ausland. Aber wenn ich sehe, dass in unseren Restaurants eine mässig schmeckende Portion Spaghetti von einem unfreundlichen Kellner für 25 Stutz serviert wird, komme ich zum Schluss,
dass der Touristenrückgang in der Schweiz wahrscheinlich noch andere Gründe hat. Sehr wahrscheinlich hätte der Zuschlag für die Ausrichtung von Olympischen Spielen dazu geführt, dass wir unseren Umgang mit ausländischen Gästen verbessert hätten.
Was sprach gegen Olympia?
Zu viele wichtige Fragen sind nie klar beantwortet worden. Die Kampagne hat nie aufgezeigt, dass wirklich der ganze Kanton profitieren könnte. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir durch Olympia mehr Feriengäste gewonnen hätten. Ich glaube einfach nicht, dass ein Amerikaner Urlaub in der Schweiz bucht, nur weil er im TV Eisschnelllauf in einer Schweizer Halle gesehen hat. Das einzigartige Panorama der Walliser Alpen hätte man bei den Übertragungen nicht gesehen.
Zu Beginn der Saison haben Sie in einem BLICK-Interview viele Ski-Übertragungen im TV als «langweilig» und das Marketing der FIS als «schwach»
bezeichnet. Haben Sie darauf böse Reaktionen erhalten?
Nein. Aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich nicht den Skisport als solchen kritisiert habe. Dieser ist meine Leidenschaft. Aber mir gefällt das Marketing im Skirennsport nicht.
Was würden Sie ändern?
Mir ist klar, dass die Vermarktung nicht einfach ist. Aber wenn man etwas in Bewegung bringen will, muss man es auch klar ansprechen können. Und mir fehlt derzeit
die Bewegung im Marketing der FIS. Dass dieser grossartige Sport ausserhalb der Schweiz und Österreichs ein Imageproblem hat,
haben wir an Neujahr beim Parallelslalom in Oslo gesehen. Im riesigen Stadion am Holmenkollen haben sich knapp 2000 Zuschauer versammelt. In Bormio waren auch nicht mehr Leute, obwohl dort vielleicht die spektakulärste Abfahrt des Winters über die Bühne ging. Das kann einfach nicht sein. Ich will in Zukunft aber nicht mehr nur Kritik äussern, sondern selber aktiv werden.
In welcher Form?
Ich habe ich mich als Athletensprecher der FIS zur Verfügung gestellt. Die Wahl findet während der WM in Are statt. Mein Wahlspruch lautet: «Make FIS great again!» (Lacht.)
Ganz Grosses leistet seit Jahren Marcel Hirscher. Wünscht man sich als Konkurrent, dass er bald seinen Rücktritt erklärt?
Nein, ich hoffe, dass er noch so lange wie möglich weiterfährt. Ein Sieg bei einem Weltcup-Slalom wird nach dem Rücktritt dieses Ausnahmeathleten nicht mehr so viel Wert haben, wie wenn du behaupten kannst, dass du Hirscher in absoluter Höchstform besiegt hast.
Ihr Teamkollege Marc Rochat hat kürzlich in einem Interview bemängelt, dass Hirscher neben der Piste zu brav rüberkommt. Für den Skisport wäre es wichtig, wenn der Seriensieger auch ein Showman wäre. Sehen Sie das auch so?
Was Marcel in diesem Winter bei seinem Sieg im Riesenslalom in Alta Badia aufgeführt hat, ist sportlich nicht mehr zu überbieten. Ich habe vor dem Fernseher vor lauter Staunen meinen Mund fast nicht mehr zubekommen.
Aber ein Showman ist er nicht.
Klar wäre es für den Sport nicht schlecht, wenn ein derart überragender Athlet auch noch ein Showman wäre. Aber in welcher Sportart dominiert zurzeit ein Showman? Federer, Lionel Messi, Marc Marquez sind alles geniale und hart arbeitende Sportler, aber keine Showmen. Auch die weltbesten Golfer verbringen viel mehr Zeit im Kraftraum als in Bars. Das Niveau ist heute im Spitzensport so hoch, dass du dir Extravaganzen neben dem Platz fast nicht mehr erlauben kannst.
Ist Ihnen bewusst, dass Sie am Sonntag (10.30 Uhr 1. Lauf/13.30 Uhr 2. Lauf) mit einem Sieg am Chuenisbärgli zum erfolgreichsten Schweizer Slalomfahrer der Geschichte avancieren können?
Ich weiss einfach, dass es keinen Schweizer gibt, der mehr als
zwei Weltcup-Slaloms gewinnen konnte. Mein ehemaliger Trainer Didier Plaschy gehört dazu, aber ich habe schon jetzt mehr Podestplätze als er auf dem Konto. Deshalb könnte ich schon jetzt mit hoch erhobenem Kopf aufhören, habe ich doch in meiner Karriere bereits zum jetzigen Zeitpunkt mehr erreicht, als es mir meine Trainer vor meinem ersten Weltcup-Einsatz zugetraut haben. Aber natürlich will ich noch lange weitermachen.
Als Sohn schottischer Eltern wuchs Daniel Yule (25) in La Fouly VS auf. Er holte bei den Junioren 2014 WM-Bronze im Slalom. Im Weltcup sorgte er 2016 erstmals für Furore, als er in St. Moritz nach dem 1. Lauf führte, danach aber Elfter wurde. Der Durchbruch gelang in der Saison 2018 mit zwei Weltcup-Podestplätzen. Letzten Dezember holte er für die Schweiz den ersten Slalom-Sieg seit 11 Jahren. Zudem jubelt er über Olympia-Team-Gold 2018.
Als Sohn schottischer Eltern wuchs Daniel Yule (25) in La Fouly VS auf. Er holte bei den Junioren 2014 WM-Bronze im Slalom. Im Weltcup sorgte er 2016 erstmals für Furore, als er in St. Moritz nach dem 1. Lauf führte, danach aber Elfter wurde. Der Durchbruch gelang in der Saison 2018 mit zwei Weltcup-Podestplätzen. Letzten Dezember holte er für die Schweiz den ersten Slalom-Sieg seit 11 Jahren. Zudem jubelt er über Olympia-Team-Gold 2018.