Die exklusive «SonntagsBlick»-Enthüllung am 15. März 2015 schockt die Schweizer Ski-Fans aus heiterem Himmel: Abfahrts-Olympiasiegerin Dominique Gisin tritt am Schluss der Weltcup-Saison zurück!
Vier Tage später macht die Engelbergerin tatsächlich Ernst und verkündet in Méribel (Fr) das Ende ihrer Rennsport-Karriere – noch nicht einmal 30 Jahre alt.
Die Schweizer Sportlerin des Jahres 2014 sucht neue Herausforderungen in ihrem Leben abseits der Pisten. In Méribel steigt Gisin am Ende der Pressekonferenz als Pilotin in ein Kleinflugzeug und schwebt symbolisch dem neuen Lebensabschnitt entgegen.
Dieser ist mittlerweile schon drei Monate alt, der 30. Geburtstag vorbei und Dominiques Leben voll gepackt mit Engagements.
Eines davon ist ihre neue Rolle als Botschafterin des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK, wo sie sich für Projekte im Gesundheitsbereich im In- und Ausland einsetzen wird.
Mitte Juni führt sie deshalb eine erste Reise nach Bolivien in ein bergige, abgelegene Region um das Dorf Urifaya, wo die Menschen oft an Armut und Mangelernährung leiden. Während knapp einer Woche ist Gisin mit dem SRK dort unterwegs und tief beeindruckt.
«Ich bin das erste Mal in ein Dorf gereist, wo es den Menschen an fast allem fehlt und die Lebensbedingungen sehr schwierig sind. Es ist extrem abgelegen, auf über 3200 Metern über Meer und die Strasse dorthin auf den letzten 40 Kilometern handgepickelt. Für die Menschen in Urifaya ist es schwierig, mit anderen Regionen in Kontakt zu bleiben, weil die meisten zu Fuss unterwegs sind», erzählt Gisin.
Trotzdem haben die Bolivianer den Willen, ihre Situation zu verbessern. Die Ex-Skirennfahrerin spürt die Freundlichkeit der Bevölkerung auch beim Begrüssungsfest für die SRK-Delegation in Urifaya.
«Die Leute sind sehr herzlich, aber zu Beginn noch scheu. Man spürt, dass sie ein karges Leben führen. Kann man sie aber aus der Reserve locken, dann machen sie Spässe und Witze am Laufmeter. Es hat mich sehr gerührt, dass sie alle am selben Strick ziehen. Die Solidarität ist gross», sagt Gisin.
Monatlich gibt es ein vom SRK unterstütztes Treffen, wo Menschen aus den umliegenden Dörfern zusammenkommen, um über Gesundheitsthemen und Ernährung zu sprechen und die Kinder auch gewogen werden. Auch Gisin ist bei einem solchen Treffen dabei.
«Es wird dort eine Statistik geführt, wo die Gewichte notiert werden. Krass auffällig ist, dass man sofort erkennt, wann die Ernte schlecht ausgefallen ist und die Kinder unternährt sind», ist die berühmte Sportpersönlichkeit beeindruckt.
Haben die Menschen sie in Bolivien als Berühmtheit erkannt? «Sie konnten es sich fast nicht vorstellen, was Skifahren ist. Ich habe ihnen dann auf meinem Smartphone ein paar Videos von meinen Läufen gezeigt. Besonders die Jungen hatten ihre helle Freude daran», berichtet Gisin.
Wie hart das Leben bei kalten Temperaturen unter Null Grad und teilweise in Lehmhütten ist, erlebt sie am eigenen Leib. «Schwierig ist auch die Hygiene, denn es braucht viel Überwindung nach einem harten Arbeitstag für eine Dusche unter kaltes Wasser zu stehen», so Gisin.
Von der Bolivien-Reise wird ihr ein Erlebnis speziell in Erinnerung bleiben. «Wir besuchten einen 14-jährigen Buben, der bei den Grosseltern aufwächst und jede freie Minute fürs Lernen verbringt, um die Situation für sich, seine Familie und sein Dorf in Zukunft zu verbessern. Das berührt mich.»
Auf dem Weg zur Berufs-Pilotenlizenz
Zurück in der Schweiz wird es Dominique auch künftig nicht langweilig werden. Die Inhaberin der Privatpiloten-Lizenz hat die Ausbildung zur Berufspilotin in Angriff genommen.
«Erste Module wie zum Beispiel Nachtflug oder Simulator-Lektionen habe ich bereits abgeschlossen. Ich habe den Vorteil, dass ich mir die Termine selber einteilen kann, versuche aber einen Teil noch vor Studienbeginn abzuschliessen», sagt Gisin.
Richtig gehört! Denn ab dem 14. September beginnt sie an der ETH Zürich auch noch ein Vollzeit-Studium in Physik. Denkt sie ab und zu noch an ihre ehemaligen Ski-Kolleginnen, die schon wieder mitten im Sommertraining stecken?
«Das Konditraining vermisse ich nicht. Aber ich träume fast jede Nacht noch vom Skisport. Mal sind es traurige, mal sind es schöne Träume. Es hat sich viel verändert in meinem Leben», zieht sie eine erste Bilanz seit dem Rücktritt.
Kommenden Winter wird man Gisin auch beim einen oder anderen Weltcup-Rennen als Zuschauerin antreffen. «Ich bin ja durch meine Geschwister Michelle und Marc weiter eng mit dem Skisport verbunden und Januar/Februar sind ja glücklicherweise Semesterferien», blickt sie schon voraus.