Sie zählten lange zu den Besten ihres Fachs. Tina Weirather (33), die Ex-Skirennfahrerin aus Liechtenstein. Und Mark Streit (45), der Berner NHL-Pionier. Sie beendete ihre Karriere vor drei Jahren, bei ihm sind es fast fünf. Wir treffen die beiden während des Musikfestivals Zermatt Unplugged. Als Verwaltungsratsmitglieder der Uhrenmarke Norqain weilen Weirather und Streit im Walliser Skidorf – sie halten Reden, treffen Partner, sprechen mit Weggefährten und ehemaligen Fans.
Waren Sie schon mal auf dem Matterhorn?
Weirather: Ich habe durch die vielen Trainingslager wohl umgerechnet fast ein Jahr meines Lebens hier in Zermatt verbracht. Den Wunsch, aufs Matterhorn zu klettern, hatte ich aber nie. Vielleicht ändert sich dies während der Midlife-Crisis (schmunzelt). Einen Traum hätte ich aber.
Welchen?
Weirather: Ich würde es gern mit dem Gleitschirm umkreisen. Das ist ja ein grosses Hobby. Allerdings habe ich zuletzt erfahren, dass Chrigel Maurer sich das als Ziel gesetzt hatte und es dann auch gemacht hat – er ist ja absolute Weltklasse. Offenbar ist es also nicht so einfach (lacht).
Streit: Ich habe es schon umkreist, allerdings nur mit dem Helikopter. Das war ein Hochzeits-Geschenk für einen Kumpel – es war sehr cool. Ich kann meine Nächte in Zermatt übrigens an zwei Händen abzählen, letztmals war ich hier, als mein Cousin 40 wurde, da haben wir ihm zwei Skitage geschenkt. Eine witzige Story.
Erzählen Sie.
Streit: Es waren fünf Leute dabei, und wir hatten abgemacht, uns im Dorf zu treffen. Allerdings war ich der Einzige, der die Ski tatsächlich dabei hatte! Sie haben sich mehr auf das Après-Ski konzentriert. Ich war auch dabei, ging aber vorher schon noch auf die Piste.
Während Ihrer Karriere war das nicht möglich, oder?
Streit: Ich habe 25 Jahre lang aus Verletzungsgründen darauf verzichtet. Es ist das Einzige, das ich stets vermisst habe. Dabei bedeutete mir das Skifahren schon als Kind sehr viel. Ich fuhr selbst viel und erinnere mich an eine Abfahrt der Frauen in der Lenk, mit Maria Walliser und Michela Figini – das hat mich fasziniert. Und meine Schwester Priska und ich durften früher nur vor dem Fernseher Mittag essen, wenn Skirennen liefen.
Haben Sie als Kind Eishockey gespielt, Tina?
Weirather: Tatsächlich, ja. Wir hatten eine Wohnung in Malbun, direkt am Lift. Mit meinen Brüdern fuhr ich den ganzen Tag Ski, am Abend ging es aufs Eisfeld. Auf der einen Hälfte machten die Mädchen Figuren, auf der anderen spielten die Jungs Eishockey – ich war dort bei ihnen. Gut war, dass man mich als Mädchen nie umgemäht hat, ich konnte also allein bis vors Tor fahren.
Mark, Sie waren Verteidiger, aber kein Raufbold. Wie viele Schlägereien hatten Sie?
Streit: Eine, aber die habe ich verloren (lacht).
Weirather: Was ist passiert?
Streit: Es war bei einem Vorbereitungsspiel mit den New York Islanders gegen New Jersey. Andrew Peters, einer ihrer härtesten Spieler, hat einen Steilpass in der Mittelzone angenommen. Peters war 1,93 Meter gross und über 100 Kilo schwer. Und ich hatte die blendende Idee, ihn zu checken – er fiel um wie eine Tanne. Es kam zu einer wüsten Keilerei, jemand sprang mich an – es war aber nicht schlimm. Zwei Tage später spielten wir wieder gegen New Jersey. Unser «Tough Guy» sagte mir: «Dich wird er nicht mehr anfassen.» Auf dem Eis berührte mich dann jemand leicht, und mein Teamkollege vermöbelte ihn – aber es war der falsche Mann.
Wie tönt das für Sie, Tina?
Weirather: Ich finde es richtig cool, wie ein Team zusammenhält – man geht füreinander durch dick und dünn, feiert zusammen und muss auch gemeinsam unten durch. Im Skisport ist das anders. Ich war stets mit Swiss-Ski unterwegs, auch wir hatten es gut. Aber letztlich läuft es in einem Rennen jemandem super, dem anderen medium und anderen miserabel – ich hätte es gern mal wie Mark gehabt.
Als SRF-Expertin sind Sie bekannter als zu Ihrer Aktivzeit. Einverstanden?
Weirather: Ja, das stimmt. Ich werde auch mehr angesprochen, aber das geht tipptopp. Früher war das anders: Als Liechtensteinerin bekam ich früher nicht so viel Beachtung wie die Schweizerinnen. Wenn ich schlecht fuhr, schrieb das Volksblatt vielleicht «schade», mehr aber nicht.
Mit Ihren Erfolgen wären Sie in der Schweiz und Österreich ein Star gewesen.
Weirather: Klar, das hätte mir wohl mehr Geld eingebracht. So aber hatte ich meine Ruhe, das war mir fast lieber.
Streit: Meine erste Station in der NHL war Montreal, eine eishockeyverrückte Stadt. Zu Beginn fand ich es cool, in die Stadt zu gehen – jeder kannte mich. Ich dachte, ich sei eine mega Nummer (beide lachen). Mit der Zeit hat sich dies geändert, ich war jeweils froh, im Frühling aus dieser Welt zu entfliehen und zurück in die Schweiz zu kommen.
In der NHL sind die Löhne öffentlich. Hatten Sie Mühe damit, dass bekannt wurde, wie viele Millionen Sie im Jahr verdienen?
Streit: Ich nicht, aber für meine Eltern und meine Schwester war es nicht einfach. Da gab es schon Neid und Missgunst, viele fragten sie, ob sie überhaupt noch arbeiten würden.
In Nordamerika war das anders?
Streit: Als ich nach Auswärtsspielen jeweils mein Auto abholte, sprach ich gern noch mit Angestellten vom Parking. Die hatten eine riesige Freude, wenn wir gewonnen hatten. Oder sie haben mich aufgemuntert, wenn wir verloren hatten. Wir Spieler verdienten Millionen, und sie hatten teilweise drei Jobs und kamen gerade so über die Runden. Dennoch gönnten sie uns alles.
Gab es nie Anfeindungen?
Streit: In meiner ersten Saison lief es mir nicht so gut. Da rief mal jemand zur Bank runter: «Go back to fucking Switzerland!» Ich solle also wieder abhauen. Da dachte ich: «Scheisse …» Aber ansonsten kam ich ganz gut durch.
Mark spielte bis 39, Sie fuhren nur bis 30 – warum eigentlich, Tina?
Weirather: Im Herbst vor meinem letzten Winter habe ich meinen Estrich aufgeräumt. Da fand ich ein Buch, wo ich als 17-Jährige alle meine Ziele aufgeschrieben hatte. Es war eine Zielpyramide. Zuoberst stand, was ich gewinnen wollte: eine Kristallkugel, eine Olympia- und eine WM-Medaille, dazu Weltcupsiege in drei Disziplinen. In diesem Moment kamen mir die Tränen.
Sie haben alle Ziele erreicht, teilweise mehrfach.
Weirather: Ab diesem Moment habe ich nichts mehr gewonnen. Mein inneres Feuer nahm immer mehr ab. Gemerkt habe ich dies erst später. Der Kopf will noch, aber tief im Inneren fehlt die Risikobereitschaft. Ich fuhr jeweils mit vollem Ehrgeiz los, aber wenn es darum ging, eine schwierige Kurve auf Zug zu fahren, setzte ich einen Drift. Ich wollte alles riskieren, doch mein Körper machte nicht mit – mein Unterbewusstsein stellte sich quer.
Wie schwer fiel Ihnen der Übergang ins Leben nach dem Sport?
Weirather: Ich hatte keine grossen Entzugserscheinungen. Allerdings hat es mir auch mega geholfen, dass ich rasch beim SRF einen Job gefunden habe, bei dem ich doch noch im Ski-Zirkus dabei bin. Er war und ist meine zweite Familie, und einige Freundschaften sind fast noch enger als davor.
Streit: Ich war bis zum Ende extrem motiviert und habe mir vorher keine Gedanken gemacht, was danach kommt. Als man mir dann in Montreal mitgeteilt hat, dass es fertig ist, war das ein kleiner Schock. Mein Glück war, dass meine Frau Fabienne da war und wir eine Tochter hatten. Sie fingen mich auf. Und irgendwann war ich einfach nur dankbar, dass ich mein grosses Hobby so lange ausüben durfte.