Martin Rufener steht auf dem Balkon seines frisch renovierten Eigenheims in Canmore. Von hier aus – eine Autostunde westlich von Calgary – geniesst der erfolgreichste Schweizer Trainer der Neuzeit, der seit 2013 Alpindirektor bei den Kanadiern ist, einen einzigartigen Ausblick auf die «Three Sisters», ein Bergmassiv in den Rocky Mountains.
Noch mehr Freude bereiten dem gebürtigen Berner Oberländer allerdings die drei Frauen in seinem Haus: Rufeners Frau Jacqueline und die beiden Töchter Michelle und Annika. Während die 14-jährige Annika zu den grössten Eiskunstlauf-Talenten in der Provinz Alberta gehört, lieferte die zwei Jahre ältere Michelle letzten Mittwoch eine eindrückliche Talentprobe auf der Skipiste. In Nakiska fuhr sie auf der Olympiastrecke von 1988 beim ersten FIS-Rennen in der Abfahrt im Vergleich mit deutlich älteren Athletinnen auf Rang 2. Klar, dass der Papa vor Stolz fast platzt: «Bis in den Weltcup hat Michelle zwar noch einen weiten Weg vor sich, aber sie steht wirklich sehr gut auf den Ski. Sie ist enorm beweglich, ihr kommt auf der Piste zugute, dass auch sie lange im Eiskunstlauf aktiv war.»
Weil Michelle den kanadischen Pass frühestens im nächsten Jahr bekommt, geht sie immer noch mit einer Schweizer Lizenz an den Start. An Wettkämpfen trägt sie ein Geschenk von Lara Gut. «Letzten Sommer war ich mit Michelle auf dem Gletscher in Zermatt», so Rufener, «da trafen wir Lara in der Gondel. Weil sie der Meinung war, meine Tochter trage einen zu engen Helm, schenkte sie ihr einen aus ihrem Sortiment.»
Ansonsten wird den Rufeners in Kanada nichts geschenkt. Martins «Alpine Canada-Team» wird von heftigen Geldsorgen geplant. «Das Land hat wirtschaftlich schon bessere Zeiten erlebt, deshalb tun wir uns auf der Suche nach Sponsoren sehr schwer. Ski ist hier eine Randsportart.» Offiziell läuft «Rufis» Vertrag bis zu Olympia 2018, doch er ist sich bewusst, «dass ich mich vielleicht schon vorher nach einem neuen Job umsehen muss».
Kommt die Familie dann zurück in die Schweiz? «Das hängt von unseren Kindern ab. Aber momentan habe ich den Eindruck, dass sie ihre Zukunft eher in Nordamerika sehen.»
Deshalb ist der frühere Helikopter-Pilot froh, wird er zumindest kulinarisch an die Heimat erinnert. Fünf Minuten von Rufeners Haus entfernt bietet der gebürtige Obwaldner Walter von Rotz in seiner Metzgerei «Valbella» ausgezeichnete Cervelats, St. Galler Bratwürste, Blut- und Leberwürste an.