Wir schreiben den 5. Mai 2020. Erika Hess (58) und ihr Ehemann Jacques Reymond (†69) feiern ihren 32. Hochzeitstag. Der Rahmen ist alles andere als schön, liegt Reymond doch im Spital auf der Intensivstation. Im März wurde er positiv auf Corona getestet, eine Woche später lag er im Koma und wurde künstlich beatmet.
«Jacques hatte schon länger Probleme mit seinem Herz. Vor mehr als zehn Jahren wurde ihm ein Defibrillator implantiert», erzählt Hess in der «Schweizer Illustrierten». Die ehemalige Weltklasse-Skifahrerin und Reymond, der sie zu Beginn ihrer grandiosen Karriere trainierte, hoffen trotzdem. Reymond geht es manchmal besser, manchmal schlechter. Er bleibt im Spital, das Paar hält zusammen.
Einen Tag nach ihrem Hochzeitstag telefoniert Hess noch mit ihrem Liebsten. Zwei Stunden später klingelt ihr Telefon erneut. Doch diesmal ist es nicht Jacques, der am anderen Ende dran ist, sondern ein Arzt. Er teilt Hess mit, dass ihr Ehemann verstorben ist. Reymond hat den Kampf gegen Corona verloren. «Mein Alltag hat sich seither enorm verändert, Jacques und ich waren eins. Wir hatten gemeinsame Pläne, beruflich, privat, waren 24 Stunden zusammen. Heute bin ich alleine und muss meine Zukunft selber planen», so Hess.
Ein Traumpaar – auf und neben der Piste
Die Nidwaldnerin aus Wolfenschiessen und der Westschweizer Reymond. Vor 35 Jahren kommen sie zusammen. Sie, das Supertalent und er, der Coach im Schweizer Frauen-Team. Die Liaison sorgt auch Missstimmung, der Verband versetzt Reymond zu den Männern. Hess bleibt top, sie holt in ihrer Karriere sechs WM-Titel, 31 Weltcupsiege (nur Vreni Schneider hat mit 55 mehr) und hamstert zweimal die grosse Kristallkugel für den Gesamtweltcup. Nachdem sie 1987 in Crans-Montana Gold in Kombination und Slalom holt, hängt Hess mit nur 25 Jahren die Ski an den Nagel. Kurz darauf gründet sie mit Reymond eine Familie.
Heute ist Hess mit 58 Jahren schon Witwe. «Wir waren fassungslos, denn obwohl wir wussten, dass die Situation kritisch war, hatten wir die Hoffnung nie aufgegeben», so Hess. Mit «wir» meint sie ihre drei Söhne Fabian (32), Nicolas (30) und Marco (26). Jeder habe auf seine eigene Art den Gefühlen freien Lauf gelassen, so Hess. «Wir haben versucht, uns zu trösten.»
«Seine Organe haben den Schock nicht ertragen»
Auf die Frage, was sie seit dem Tod ihres Ehemanns am meisten vermisst, sagt Hess: «Seine Präsenz, seine Liebe, sein Wissen, seine grosse Ausstrahlung. Er war mein Halt, meine Rückendeckung. Ich bin ihm so unendlich dankbar für all das, was er mir auf den Weg mitgegeben hat.» Sie betont, dass die Ärzte alles unternommen hätten, um Reymonds Leben zu retten. «Aber seine Organe haben den Schock dieser unberechenbaren Krankheit nicht ertragen.» Hess betont, dass es ihr trotz des Schmerzes gut geht. Etwas belastet sie aber immer noch: «Ich durfte ihn in den sechs Wochen im Spital bis zu seinem Tod gerade dreimal besuchen.»
Hess wohnt weiterhin in St. Légier am Genfersee. Sie ist frisch gebackene, zweifache Grossmutter. Nach Chloé kam vor wenigen Tagen Eva auf die Welt. Hess: «Ich gehe den Weg weiter, will meinem Leben auch künftig einen Sinn geben. Es bleiben für mich noch etliche Aufgaben. So mögliche ich weiterhin eine gute und hilfsbereite Mutter sein, und die Rolle als Grossmami füllt mich gänzlich aus.»