In der Karriere von Michela Figini (57) ist viel Champagner geflossen. Zwischen 1984 und 1990 hat die Ausnahme-Athletin aus der Leventina 26 Weltcupsiege, acht Weltcup-Kristallkugeln (zwei Grosse, sechs Kleine), eine Olympia- und eine WM-Goldmedaille eingefahren. Mittlerweile zapft Figini regelmässig Bier. Die einstige Abfahrts-Königin bewirtet mit viel Charme die Gäste im gemütlichen Restaurant des Padel-Tenniszentrums in Biasca, das sie seit über einem Jahr zusammen mit ihrem Geschäftspartner Marlon D'Amico führt.
Während Figini den Hopfensaft gekonnt ins Stangenglas fliessen lässt, verrät sie dem Blick-Reporter, dass die strenge Gesetzgebung im Kanton Tessin ihre Laufbahn als Gastronomin fast verhindert hätte. «Ich wurde nicht zur Wirteschule zugelassen, weil ich keinen Beruf erlernt habe. Nach dieser Absage habe ich die Behörden darauf aufmerksam gemacht, dass ich als Spitzensportlerin eine besonders harte Schule absolviert habe. Doch das hat die Behörden leider nicht interessiert.»
Die Olympia-Sensation
Zu Figinis Glück besitzt ihre Masseurin das Wirtepatent, somit kann der Restaurationsbetrieb in ihrem Padel-Paradies ganz legal weitergeführt werden. Und als versierte Unternehmerin hat «Michi» einen Plan, wie sie in Zukunft noch mehr Leute in ihr Lokal locken kann – im Keller soll ein Tessiner Sportmuseum entstehen.
Hier soll auch der legendäre pink-schwarze Rennanzug ausgestellt werden, mit dem Figini am 16. Februar 1984 als 17-jähriger Teenager Abfahrts-Gold bei den Olympischen Spielen in Sarajevo gewann. Damit ist die zweifache Mama bis heute die jüngste Alpin-Siegerin in der Olympia-Geschichte. «Mein grosser Vorteil war damals, dass ich ohne jeglichen Erwartungsdruck starten konnte. Für mich war es damals bereits ein grosser Erfolg, dass ich mich im letzten Weltcuprennen vor Sarajevo überhaupt für Olympia qualifiziert habe.»
Riesiger Ärger nach WM-Sieg
Zwölf Monate später erbrachte die «Ragazza» aus Prato dann aber den Beweis, dass sie auch mit riesigem Druck spielerisch umgehen konnte. In Bormio krönte sie sich in der Rolle als Top-Favoritin zur Abfahrtsweltmeisterin. Nach diesem Rennen schrieb ein Deutschschweizer Journalist aber einen Artikel, welcher Figini schwer getroffen hat. Unter der Überschrift «Schade, Michela» stand dort, «dass die neue Weltmeisterin nicht oder höchst widerwillig bereit war, ihren schwarzen Wuschelkopf für einen Moment Richtung der Kameras zu drehen. Die Diva aus der Leventina hat nach der Siegerehrung in 30 Sekunden alle abblitzen lassen».
Figini tut es noch heute weh, wenn sie mit dieser Kolumne konfrontiert wird: «Diese Zeilen haben in meinem Leben ein ziemliches Chaos ausgelöst. Weil die Kolumne auch im italienischen Corriere della Sera übersetzt wurden, haben auch meine Eltern darunter gelitten. Und der Artikel war unfair, weil ich den Fotografen und Reportern sehr wohl zur Verfügung gestanden habe. Aber weil zu viele Reporter da waren, konnte ich an diesem Tag keine exklusiven Interviews geben. Und weil mich dieser Journalist nicht in der Gruppe mit den anderen Deutschschweizern, sondern exklusiv interviewen wollte, hat er als Rache einen derart bösen Artikel über mich verfasst.»
Rücktritt in der Blütezeit
Figini hält fest, «dass diese Kolumne mein Verhalten gegenüber den Medien komplett verändert hat. Ab diesem Tag habe ich bis zum Ende meiner Karriere nur noch das Allernötigste mit den Journalisten mitgemacht». Und dieses Karriereende ist sehr viel früher gekommen, als alle erwartet haben. Im März 1990, also ein Monat vor ihrem 24. Geburtstag, erklärte die zweifache Gesamtweltcupsiegerin aufgrund von unüberbrückbaren Differenzen mit dem damaligen Cheftrainer Jan Tischhauser ihren Rücktritt.
«Das System im Schweizer Ski-Team war mir damals nicht mehr genug leistungsfördernd, für mich hat es zu viele Störfaktoren gegeben. Deshalb wollte ich ein Privatteam mit meinem langjährigen Servicemann und Trainer-Legende Karl Frehsner gründen. Aber damit war der Verband nicht einverstanden», sagt sie heute.
Deshalb hat Figini in ihrer sportlichen Blütezeit die Jagd nach weiteren Triumphen aufgegeben und mit dem ehemaligen italienischen Riesenslalom-Spezialisten Ivano Camozzi eine Familie gegründet. Obwohl ihre Ehe in die Brüche gegangen ist, hat Figini diese Entscheidung nie bereut. «Ich habe als Skirennfahrerin alles gewonnen. Und meine Kinder Valentina und Marco bedeuten mit sehr viel mehr als alle Siege zusammen.»
Der grosse Schock im letzten Sommer
Im vorletzten Winter kehrte Figini als Expertin fürs Tessiner Fernsehen in den Ski-Zirkus zurück. Dieses Comeback beinhaltete jedoch eine äusserst schmerzliche Pointe. «Es ist wirklich eine schier unglaubliche Geschichte», schüttelt sie den Kopf. «Nachdem ich als Rennfahrerin von schweren Verletzungen verschont geblieben bin, habe ich mir als TV-Expertin anlässlich der Frauen-Abfahrt in St. Moritz im Besichtigungstempo am linken Knie den Meniskus beschädigt und das Kreuz- sowie das Innenband gerissen!»
Im letzten Sommer erlebte die zweifache Schweizer Sportlerin des Jahres einen weiteren Schock-Moment. «Kurz nachdem ich links eine neue Hüfte erhalten habe, war ich auf einem Auge plötzlich blind. Ich musste eine neuerliche Operation über mich ergehen lassen, bei der mir eine spezielle Linse eingesetzt wurde.» Doch seither hat Michela Figini wieder in jeder Lebenslage den kompletten Durchblick.