Die furchtbare Geschichte von Ex-Swiss-Ski-Coach Guido Suter
«Wenn das nicht hilft, werde ich den giftigen Exit-Cocktail zu mir nehmen»

Guido Suter hat einst die Schweizer Ski-Stars und die HCD-Spieler zu Höchstleistungen getrieben. Heute ist Suter ein Pflegefall. Seine letzte Hoffnung ist eine aussergewöhnliche Chip-Einpflanzung.
Publiziert: 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 07:34 Uhr
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Nach der Jahrtausendwende modellierte Guido Suter als Konditionstrainer aus dem Nachwuchsmann Daniel Albrecht einen Weltklasseathleten.
Foto: Blicksport
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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Guido Suter hat das Schweizer Ski-Team kurz nach der Jahrtausendwende geprägt. Bis zu den Olympischen Spielen 2006 modellierte der Sohn eines Kampfjets-Piloten als Athletik-Trainer Nachwuchshoffnungen wie Daniel Albrecht, Marc Gini und Marc Berthod zu Weltcupsiegern. Im Hinblick auf die Olympiade 2010 in Vancouver hat der zweifache Adelboden-Triumphator Berthod den begnadeten Schleifer aus dem Zürcher Oberland, welcher später auch höchst erfolgreich unter Arno Del Curto als Kondi-Trainer beim HC Davos tätig war, als Individual-Coach verpflichtet.

Wenn am kommenden Wochenende die nächste Riesen-Party am Chuenisbärgli steigt, wird Suter aber nicht dabei sein. Der mittlerweile 48-Jährige ist seit bald zwei Jahren als Tetraplegiker an den Rollstuhl gefesselt und hat schon ein paarmal daran gedacht, Sterbehilfe zu beanspruchen.

Gefährlicher Jobwechsel

Wie ist es so weit gekommen? Im Frühling 2010 verspürte Suter den Drang nach einer beruflichen Veränderung. «Die Zeit mit Berthod war fantastisch, dennoch war mir klar, dass der Skirennsport nichts Lebensnotwendiges ist. Ich wollte etwas tun, was wirklich existenziell ist.» Weil der ehemalige Gebirgsgrenadier schon ein paar Jahre zuvor erfolgreich die Prüfungen für Spezialeinheiten der Schweizer Armee gemeistert hat, war Suter von nun an für das EDA als Sicherheitsberater in diversen Krisengebieten tätig. «Ich war während der Cholera-Epidemie in Haiti, wo ich einen Lastwagen-Anhänger gesehen habe, der mit toten Kindern beladen war. Und ich war fünf Jahre lang in Kabul im Einsatz, bis die Taliban 2021 die Macht übernommen haben. Ich habe in dieser Phase achtmal mein Testament neu verfasst.»

Das gefährlichste Abenteuer absolvierte Suter aber nach seiner Rückkehr aus Afghanistan, als er Island zu Fuss von Osten nach Westen durchquerte. «Als ich den Isländern von meinen Plänen erzählt habe, haben alle den Kopf geschüttelt, weil diese Ost-West-Route auch als ‹Fifty-fifty-Spaziergang› bezeichnet wird. Das heisst: Die Überlebenschance auf dieser Tour beträgt 50 Prozent. Ich habe mich aber von niemanden aufhalten lassen und habe dem Tod auf dieser Route mehrmals tief in die Augen geschaut.»

Das Drama im Familienurlaub

Nach diesem Wahnsinns-Marsch hat Suter einen Entschluss gefasst: «Mir wurde klar, dass ich in Zukunft nicht mehr fünf Jahre am Stück, sondern nur noch die Hälfte des Jahres in Krisengebieten arbeiten möchte, um wieder mehr Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen zu können.» Deshalb reiste er im Februar 2023 nicht in die vom Erdbeben verschütteten Gebiete der Türkei und Syrien, sondern mit den Eltern, der Schwester und Kollegen in den Ski-Urlaub nach Savognin GR. «Die ersten Tage waren grandios», erzählt Guido mit glänzenden Augen.

Doch am Freitag, den 2. März hat sich das Leben dieses aussergewöhnlichen Bewegungsmenschen in dramatischer Weise verändert. «Ich war mit meinem Kumpel Philipp, der in meiner Jugendzeit in der Nachbarschaft lebte, auf der Skipiste. Wir sind am späten Nachmittag in ‹Roggis-Baizli› eingekehrt, welches wir so gegen 16 Uhr verlassen haben. Wir waren nicht betrunken und wir wollten auch nicht demonstrieren, dass wir besonders gut und schnell Skifahren können. Trotzdem hatte ich einen folgenschweren Sturz, an den ich mich nicht erinnern kann.»

Suter kann sich nur noch an eine kurze Sequenz, ungefähr 15 Minuten nach dem Crash erinnern. «Ich weiss, dass ich Philipp gebeten habe, dass er mich ins Bein klemmen soll. Weil ich seinen Klemmer nicht gespürt habe, hatte ich sofort den Verdacht, dass ich Tetraplegiker bin. Ich habe deshalb zu meinem Kumpel gesagt, dass er mir auf der Stelle mit den Handschuhen die Nase zuhalten soll, um mich ins Jenseits zu befördern.» Stattdessen hat der gute Jugendfreund den Helikopter bestellt, welcher Guido ins Krankenhaus flog.

Die schreckliche Diagnose

Sein volles Bewusstsein erlangte Suter erst rund sechs Wochen später. «Eine meiner ersten Erinnerungen ist, als mich mein ehemaliger Skiverbands-Cheftrainer Karl Frehsner im Spital besuchte. Karl hat mich in den Zehen gekniffen. Obwohl ich nichts gespürt habe, hat er zu mir in seinem herrlichen Ösi-Slang gesagt: ‹Des kommt scho wieder!› Doch die Ärzte versprühten sehr viel weniger Optimismus.»

Die brutale Diagnose: Die Wirbel C3 und C4 sind beim Sturz in Savognin kaputtgegangen, somit hatte Suter in den ersten vier Monaten nach dem Unfall von der Schulter abwärts kein Gefühl. Den Rollstuhl konnte er lange nur mit einer Kinnsteuerung bedienen. Dennoch legte er kurz nach der Einweisung ins Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU eine erstaunliche Zuversicht an den Tag: «Ich war fest davon überzeugt, dass ich Nottwil zu Fuss verlassen würde.» Dieses Ziel hat Suter trotz einer enormen Willenskraft verfehlt. «Aber immerhin kann ich mittlerweile mein linkes Bein ganz leicht bewegen. Und im rechten Arm habe ich genügend Gefühl, um den Schalter des Rollstuhls und die Maus des Computers bewegen zu können. Somit bin ich wenigstens nicht mehr auf diese mühsame Kinnsteuerung angewiesen.»

Gedanken an den Freitod

Seit dem letzten Jahr lebt Suter in einer Wohnung in Bubikon ZH, wo er von Sonntag bis Donnerstag vom gebürtigen Eritreer Daniel gepflegt wird. «Ich habe Dani angestellt, weil er einer der besten Pfleger war, den ich in Nottwil kennengelernt habe. Er macht einen sensationellen Job», lobt der Patient. An Daniels Freitagen wird Guido von seinen Familienmitgliedern und Freunden betreut. «Aus der Ski-Familie erhalte ich regelmässig von Michi Bont, Marc Gini und Marc Berthod Hilfe, auch meine Ex-Freundin Aita Camastral schaut gelegentlich bei mir vorbei.»

An diesem Tag ist es ein anderer Altbekannter, der mit einem unangemeldeten Besuch aufwartet: Ex-HCD-Meistermacher Arno del Curto bringt Suter Käse, Fleisch und eine Flasche Bacardi mit. Die Wiedersehensfreude ist gross. «Arno, du hast mich damals per Handschlag als Kondi-Trainer beim HCD angestellt, einen schriftlichen Vertrag haben wir nie gemacht. Trotzdem hat alles reibungslos funktioniert. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen.» Del Curto nickt und will wissen, wie es seinem einstigen Kraft- und Konditions-Guru jetzt geht. Suters Antwort geht auch der abgebrühten Trainer-Legende tief unter die Haut: «Ich bin Mitglied bei Exit und wenn sich mein Zustand nicht verbessert, werde ich wahrscheinlich im nächsten Jahr die Sterbehilfe beanspruchen. Ich würde auch nicht mit einem Groll von dieser Welt gehen, schliesslich hatte ich bis zu meinem Unfall ein sensationelles Leben. Ausser dem Flug auf den Mond habe ich alles erlebt, wovon ich als Bub geträumt habe. Und ich glaube auch nicht, dass der Tod etwas Böses ist.»

Die letzte Hoffnung

Im selben Atemzug macht Suter aber deutlich, dass er seit ein paar Monaten den Glauben an ein lebenswertes Dasein im Rollstuhl zurückerlangt hat: «Ich habe die Zusage erhalten, dass ich in Lausanne an einer Studie teilnehmen kann, welche sehr experimentell ist. Ich werde mir übernächste Woche einen grossen Chip ins Hirn und ins Rückenmark setzten lassen. Diese Chips sollten die verletzten Stellen überbrücken. Ich bin vor diesem Eingriff sehr optimistisch, weil bei den Versuchen mit Menschenaffen und Ratten positive Ergebnisse erzielt wurden.»

Mit welchem Endergebnis würde sich Suter zufriedengeben? «Ich könnte mich damit abfinden, wenn ich den rechten Arm wieder so anheben könnte, dass ich selbstständig ein Minipic aus dem Kühlschrank nehmen und eigenhändig aus einem Glas trinken kann. Wenn das nicht möglich sein wird, werde ich den giftigen Exit-Cocktail zu mir nehmen. Eine Woche vorher werde ich aber mit meinen Freunden ein rauschendes Abschiedsfest feiern.» Aber die Hoffnung lebt, dass es diese Abschiedsparty dank den beiden Chips noch lange nicht geben wird.

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