Didier Cuche ist genauso konzentriert wie vor einem Weltcuprennen. Doch diesmal steht er nicht im engen Rennanzug im Starthaus der Kitzbüheler Streif, sondern im Fleischerkittel in der Boucherie-Charcuterie Scheurer in Dombresson NE. Für einmal muss er nicht die starken Österreicher «panieren», stattdessen gilt es, ein Rinderhinterviertel zu zerlegen.
Vor 18 Jahren hat er bei der Lehrabschlussprüfung als Metzger eine solche Aufgabe genauso souverän gemeistert wie den Ritt über die Hausbergkante. Aber jetzt muss sich der Super-G-Weltmeister von 2009 vor dem Start bei Metzgermeister Daniel Scheurer erkundigen, welches die Ideallinie auf dem Weg zum edelsten Fleischstück ist. «Weil ich seit 1993 nie mehr als Metzger gearbeitet habe, bin ich nicht mehr sattelfest», sagt Cuche. «So habe ich die Rezepturen für die feinen Würste vergessen, und ich bin mir auch nicht mehr ganz sicher, wie man das Filet auslöst, ohne es zu verletzen.»
Nach einem kurzen Auffrischungskurs mit dem Maître Boucher führt der «Speedier» wieder die feine Klinge. Für das Ausbeinen vom Hals braucht er zwar ein paar Minuten länger, als bei der LAP erlaubt sind, dafür löst er die Knochen derart lehrbuchmässig aus, dass sie schneeweiss (ohne Fleischreste) im Abfalleimer landen. Während er das Nierstück vom Stotzen trennt, kommen im erfolgreichsten Abfahrer der Gegenwart Erinnerungen an seine Jugend auf: «Mein Vater war auch Metzger, und weil es mich als Kind immer fasziniert hat, wenn ich ihm bei der Arbeit zuschauen durfte, habe ich diesen Beruf ebenfalls ergriffen.»
Dann erzählt der Schweizer Sportler des Jahres 2009 nicht ohne Stolz: «Ich habe meine Ausbildung mit der Note 5,2 abgeschlossen und war damit der beste Metzger-Stift von meinem Jahrgang im Kanton Neuenburg. Ich muss aber hinzufügen, dass in meiner Abschlussklasse nur vier Metzger-Lehrlinge waren.» Viel wichtiger als die Abschlussnote ist für Cuche aber die Tatsache, dass ihm sein alter Beruf die nötige Härte für den Spitzensport mitgegeben hat: «Wenn du es gewohnt bist, bei eisiger Kälte 80 Kilo schwere Rinderviertel herumzuschleppen, kommt dir ein Leben als Skirennfahrer nicht extrem hart vor.»
Deshalb lehnt der Champion mit 17 Weltcupsiegen dankend ab, als ihm der 60-jährige Metzger Daniel Scheurer für die Zeit nach der Ski-Karriere den Chef-Posten in seiner Metzgerei anbietet: «Das wäre mir viel zu anstrengend, schliesslich ist man als Metzger praktisch den ganzen Tag gestresst. Als Skirennfahrer habe ich mich jetzt daran gewöhnt, dass ich nur während den zwei Minuten im Rennen Stress habe.»
Wenn Didier Cuche das Rad der Zeit aber noch einmal zurückdrehen könnte, würde er allem Stress zum Trotz erneut einen handwerklichen Beruf vor der Ski-Karriere erlernen. «Aber vielleicht wäre es diesmal nicht der des Metzgers, sondern der des Schreiners. Nicht zuletzt wegen der Nachhaltigkeit. Wenn dir als Schreiner ein schönes Möbel gelingt, hat dieses über Jahrzehnte Bestand. Eine gute Wurst verschwindet aber meistens ein paar Tage nach der Produktion in irgendeinem Magen …»
Weil der Rennfahrer Cuche im Gegensatz zu einer Wurst kein Ablaufdatum besitzt, spricht einiges dafür, dass er uns bis zu den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi mit feinster Ski-Kost verwöhnen wird. Cuche stapelt tief: «Weil ich seit 1993 nie mehr als Metzger gearbeitet habe, bin mir nicht mehr ganz sicher, wie man das Filet auslöst.» Lead