Didier Cuche hat zu Hause vor dem Fernseher darauf gehofft, dass er einen ganz besonderen Titel verliert – den Titel des letzten Schweizer Super-G-Weltmeisters. Seit der Kämpfer aus dem Neuenburger Jura 2009 in Val-d’Isère die Goldmedaille holte, hat in dieser Sparte nie mehr ein Eidgenosse den Titel gewonnen.
Statistisch war die Wahrscheinlichkeit gross, dass sich dies in Courchevel ändert. Schliesslich hat Marco Odermatt in der laufenden Weltcup-Saison vier von sechs Super-G zu seinen Gunsten entschieden. Cuche: «Bevor Marco mit der Nummer 7 ins Rennen ging, konnte ich ziemlich genau nachfühlen, was in ihm abgeht. Vor der Olympia-Abfahrt 2010 haben von mir auch alle die Gold-Medaille erwartet.»
Cuche erklärt das «Wirrwarr im Kopf» der Favoriten
Der fünffache Hahnenkamm-Champion wurde damals in Whistler Mountain als Überfavorit bloss Sechster. Und nun stolpert auch Odermatt in der Rolle des grössten Gold-Anwärters. Als Vierter verpasst er die Medaille um elf Hundertstel. «Dabei ist Marco in meinen Augen ein wirklich gutes Rennen gefahren», sagt Cuche. «Aber es ist halt einfach so, dass du als Top-Favorit vor einem so wichtigen Rennen kaum zur Ruhe kommst. Bei Welttitelkämpfen sind viel mehr Medien vor Ort als im Weltcup. Jede TV-Station will ein Interview mit dir machen, du musst unzählige Male dieselbe Aussage wiederholen. Das macht dich mental müde. Dadurch entsteht ein Wirrwarr im Kopf und darum findet man im Rennen nicht immer das richtige Rezept. Und auch deshalb gewinnen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen immer wieder Aussenseiter.»
So wie in diesem Fall der Kanadier James Crawford (25), der im Weltcup noch nie gewonnen hat. «Ich habe es zweimal erlebt, dass mir bei Grossereignissen Kanadier Gold weggeschnappt haben, obwohl sie zuvor keine überragenden Leistungen gezeigt haben. 2009 wurde ich bei der WM-Abfahrt Zweiter hinter John Kucera, 2011 hat mich Erik Guay bei der Abfahrt in Garmisch vom ersten Rang verdrängt», erinnert sich der mittlerweile 48-jährige «Speedier».
«Er hat ein, zwei Prozent zu wenig riskiert»
Marco Odermatt pflichtet der Analyse seines grossen Jugend-Idols bei. «Ich bin für eine gute Fahrt schlecht belohnt worden. Aber wahrscheinlich hätte ich bei diesem extrem kurzen Super-G mehr riskieren müssen.» Das sieht auch Liechtensteins Ski-Legende Marco Büchel (51, Riesenslalom Vize-Weltmeister 1999) so. «Ich habe das Rennen mehrmals analysiert, Odermatt hat keinen einzigen Fahrfehler gemacht. Aber er hat ein, zwei Prozent zu wenig riskiert. Und das kannst du dir in einem so verdammt kurzen Super-G nicht erlauben.»
Dazu sagt Odermatt: «Ich habe in den letzten Wochen ein paar Mal gemerkt, dass ich auch gewinnen kann, wenn ich ein Prozent weniger riskiere. Aber in diesem Fall hat es definitiv nicht funktioniert.»
Nicht optimal war auch die Abstimmung des Materials. «Ich habe nach dem Super-G in der Kombi ein Wechsel im Schuhbereich vorgenommen. Ich hatte damit ein gutes Gefühl, aber wahrscheinlich hatte ich dadurch, ein bis zwei Zehntel weniger Grund-Speed.»
Und deshalb darf sich Alexis Pinturault nach Gold in der Kombination jetzt auch über Bronze im Super-G freuen. «Pinturault ist auch so ein WM-Phänomen», konstatiert Didier Cuche. «Alexis hatte keine besonders gute Saison. Aber der WM-Titel in der Kombi war für ihn eine derart grosse Erlösung, dass er jetzt wie befreit fährt.» Hoffentlich erfolgt für die Schweizer am Sonntag die WM-Befreiung in der Abfahrt.
In Courchevel und Méribel findet das Ski-Highlight des Winters statt. Hier findest du alles, was du über die Ski-WM 2023 wissen musst.
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