Seine Stimme hat seit seiner letzten Live-Übertragung vor 37 Jahren kaum an Kraft eingebüsst. Aber gut fühlt sich Reporterlegende Karl Erb mit seinen 91. Jahren auf dem Buckel nicht. «Alt werden ist ein Seich», kommentiert der Mann, der bei den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo mit seinen Reportagen von den goldenen Schweizer Tagen Kultstatus erlangt hat.
Eine sogenannte Makuladegeneration (Verlust der Sehkraft) macht dem grossen alten Meister der Sportberichterstattung das Leben besonders schwer. «Ich habe in meinem Wohnzimmer zwar den grösstmöglichen TV-Monitor. Trotzdem sehe ich bei Ski-Übertragungen nur Bruchstücke.»
Und beim «Fernseh-Hören» treiben ihn die Reporter oft zur Weissglut: «Die Kommentatoren können sich heute im Internet so viel Hintergrundwissen aneignen, dass einige komplett an den Bildern vorbeireden. Und es macht mich wahnsinnig, wenn der Eurosport-Reporter im Radsport bei einer Etappenankunft irgendwelche Randgeschichten vom Sieger erzählt, während vier andere Rennfahrer um den zweiten Platz sprinten.»
Dafür kann man in Erbs kranken Augen eine gewisse Vorfreude auf den kommenden Winter ablesen: «Es sind vor allem die Geschwister Loïc und Mélanie Meillard, die meine Hoffnung auf eine aus Schweizer Sicht erfreuliche Skisaison nähren. Die beiden sind echte Winner-Typen.»
Seit ein paar Jahren bewohnt Erb eine Wohnung unweit vom Bahnhof in Locarno. Seine eigenen vier Wände verlässt er kaum noch. «Ich ertrage mehrere Menschen auf einem Haufen immer schlechter. Deshalb reduziert sich mein Aktionsradius immer mehr auf meine zweieinhalb Zimmer. Ich schaue aber darauf, dass ich pro Tag in meiner Wohnung 1000 Schritte mache, um wenigstens ein bisschen fit zu bleiben.»
Erb hat aber noch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er nicht bis zum ganz bitteren Ende weiterkämpfen will.
«Zurzeit bin ich nach wie vor in der Lage, mir jeden Tag eine warme Mahlzeit zuzubereiten. Aber wenn der Tag kommt, wo ich diese Selbständigkeit nicht mehr habe, werde ich meinem Leben mit Hilfe der Sterbeorganisation Exit ein Ende setzen.»
Das sind herzergreifende Worte von einem Mann, der sich als Kommentator unsterblich gemacht hat.