Es ist kaum zu glauben: Wendy Holdener (25) stand im Slalom schon 18 Mal auf dem Weltcuppodest, aber noch nie zuoberst. Je neun Mal schauten die Plätze zwei und drei heraus. Auch in Semmering (Ö) reicht es nicht zum Sieg. Platz 3. Eine tolle Leistung – aber eben kein Sieg. Verbittert ist sie nicht. «Ich bin super glücklich. Da fällt mir ein Stein vom Herzen.» Aber wann reicht es mal zum Sieg? «Ich weiss, woran es liegt. Im Training fahre ich am Limit, auf absolut höchstem Niveau. Im Rennen gehe ich manchmal aber zu wenig ‹All In› oder mache einen Fehler zu viel.» In Semmering zeigt Holdener in Durchgang zwei, wie es gehen könnte. Völlig entfesselt rast sie zur Laufbestzeit, ist sogar 58 Hundertstel schneller als Mikaela Shiffrin. «Es war einer der besten Läufe meiner Karriere», sagt Holdener.
Der ewige Zweite macht Holdener Mut
Letztlich lügen die Zahlen aber nicht. Die Schwyzerin hält mit 18 zweiten oder dritten Plätzen den Rekord bei den Frauen. Es gibt nur einen Menschen in der Geschichte des Weltcups, der weiss, wie sich das anfühlt: Hubert «Hubsi» Strolz. Der 56-jährige Österreicher aus Warth brachte es zwischen 1984 und 1993 im Riesenslalom auf ebenso viele Podiums-Platzierungen. «Ich gewann nie. Das bleibt so. Wendy dagegen hat noch Zeit, um es zu schaffen», sagt er schmunzelnd zu BLICK.
Strolz wird nur noch selten auf die brutale Statistik angesprochen. Er gibt aber zu, dass es früher anders war. «Da wurde ich in der Presse oft als ‹ewiger Zweiter› bezeichnet. Aber auch wenn es nie zum Sieg reichte, war ich stolz auf jeden Podestplatz.» 34 davon sammelte er im Weltcup, den einzigen Sieg holte er 1988 in der Kombi von Bad Kleinkirchheim (Ö).
Gäbe es Shiffrin nicht ...
Da ist Holdener weiter. Immerhin vier Weltcuprennen gewann sie schon. Aber eben noch keinen Slalom. «Ohne Mikaela Shiffrin wäre das anders. Aber sie war halt jeweils besser, das muss ich akzeptieren», so die Schwyzerin. Tatsächlich stand ihr der US-Star im Slalom schon sieben Mal vor der Sonne, je einmal waren Frida Hansdotter (Sd) und die zurückgetretene Tina Maze (Sln) schneller.
Für Strolz ist klar: Holdener soll sich nicht verrückt machen lassen. «Sonst verliert sie Energie. Wendy ist eine absolute Weltklasse-Athletin. Ich bin sicher, dass sie irgendwann ihren ersten Slalom-Sieg einfahren wird. Sie soll einfach nichts erzwingen wollen.» Ihm selbst habe wohl der Killerinstinkt gefehlt, mutmasst Strolz. Das empfinde er bei Wendy nicht. Und sowieso: «Sie ist Weltmeisterin und Olympiasiegerin. Und wird es immer bleiben. Das entschädigt bei weitem!»
Strolz weiss, wovon er spricht. 1988 in Calgary (Ka) wurde er selbst Kombi-Olympiasieger – nicht nur, aber auch weil der nach der Abfahrt klar führende Pirmin Zurbriggen (55) ausschied. «Das tat mir leid, denn als Kästle-Markenkollegen unternahmen wir viel gemeinsam. Auch heute noch sind wir gute Freunde», so Strolz. Zurück zu Holdener und der Frage: Wird sie bald alleinige Rekordhalterin? Oder vorher den ersehnten Sieg einfahren? «Ich wünsche Wendy von Herzen, dass sie mich nicht überholt, sondern schon bald gewinnt.» Holdener freuen seine Worte. «Schön, dass er das sagt. So oder so finde ich aber: 18 Podestplätze muss man erst einmal herausfahren.» Kurz darauf ergänzt sie schmunzelnd: «Und wer weiss: Vielleicht gewinne ich ja bald!»