Marc Gisin tönt nicht wirklich gut. Die Stimme des 1,98 Meter langen Abfahrts-Spezialisten erinnert an das verrauchte, im Whisky ertränkten Organ des verstorbenen Motörhead-Sängers Lemmy Kilmister. Dabei hat der Engelberger weder Alkohol getrunken noch gequalmt.
«Ich habe ganz einfach eine Erkältung aufgelesen. Das ist auch der Grund, warum ich in dieser Woche einen Tag früher das Gletscher-Training in Zermatt verlassen habe», erklärt Gisin. Mittelfristig wird diese Erkältung aber Marcs geringstes Problem sein. Die Nachwirkungen des heftigen Schocker vom 15. Dezember 2018 dürften diesen aussergewöhnlich grossen Kämpfer noch länger ausbremsen.
Rückblick: An besagtem Samstag fliegt Gisin bei der Abfahrt in Val Gardena nach einem Verschneider auf der Anfahrt zu den Kamelbuckeln derart böse ab, dass er bei der Landung 16 Brüche am Rippenbogen, Verletzungen an der Lunge und an der Hüfte erleidet. Der Bruder von Dominique und Michelle muss zeitweise künstlich beatmet werden und kann die Intensivstation erst nach sechs Tagen verlassen.
«Ich kann auf den Ski nicht ans Limit gehen»
Körperlich erholt sich der 31-Jährige dank seiner enormen Willenskraft zwar schnell von diesem brutalen Niederschlag. «Meine physischen Werte sind wieder genau so gut wie vor dem Sturz in Gröden.» Dass er in den jüngsten Trainings in Zermatt trotzdem ordentlich Zeit auf seine Teamkollegen eingebüsst hat, führt Gisin auf sein Unterbewusstsein zurück. «Ich kann derzeit auf den Ski nicht ans Limit gehen. Ich habe das Gefühl, dass mein Unterbewusstsein gewisse Bewegungen blockiert, die mich schneller machen würden.»
Obwohl Gisin schon vor dem Abflug auf der «Saslong» schwere Stürze hatte, ist die jetzige Situation neu für ihn. «2015 habe ich beim Super-G in Kitzbühel ein Schädel-Hirn-Trauma inklusive Hirnblutung erlitten. Damals hat es aber nicht lange gedauert, bis ich wieder ans Limit gehen konnte. Deshalb konnte ich zwölf Monate später auf der Streif den fünften Abfahrtsrang bejubeln.»
Fragezeichen hinter Saisonstart
Aber diesmal läuft alles sehr viel harziger ab. Gisin setzt deshalb ein Fragezeichen hinter seinen Start bei der ersten Abfahrt dieses Winters. «Es ist zwar nach wie vor mein Ziel, dass ich am 30. November in Lake Louise dabei bin. Aber ich werde für dieses Ziel sicher nicht die Brechstange auspacken. Ich werde in Kanada nur dann starten, wenn ich bis dahin wieder voller Überzeugung angreifen kann.»
Aber wie gedenkt Gisin diese Blockaden zu lösen? «Ich kenne keinen Trick, mit dem ich mein Unterbewusstsein überlisten könnte. Deshalb brauche ich jetzt vor allem Geduld. Und ich muss darauf hoffen, dass ich in den nächsten Wochen viele Trainingskilometer zurücklegen kann.» Gisin hofft, dass er seinen Blockaden bereits nächste Woche beim Gletscher-Training in Saas Fee ein wenig davon fahren kann.