Facebook? Hatte er noch nie. Twitter? Nein. Instagram? Sowieso nicht. «Für viele Fussballer ist Social Media viel zu wichtig. Ich kommuniziere lieber direkt mit den Leuten. Das war schon immer so», sagt Stéphane Grichting. Genau das tut er auch jetzt mit der 17-jährigen Elise Hitter, einer Ski-Nachwuchsathletin. «Aggressiv! Mehr Dynamik! Allez!», ruft er ihr im Fitnessstudio entgegen. Und nachdem Hitter die Sprungkraftübung hinter sich gebracht hat: «Cool, gut gemacht!»
Dreieinhalb Jahre ist es her, seit Grichting seine Fussballer-Karriere beendet hat. «Die Luft war draussen», gibt der ehemalige Innenverteidiger von Sion, Auxerre und GC offen zu. «Endlich nicht mehr reisen, endlich nicht mehr um die halbe Welt fliegen. Ich war 19 Jahre auf Achse, das reicht.»
«Ich war immer ein Arbeiter»
Zu Hause in Savièse VS freuen sich Frau Valériane, die Söhne Ilan (13), Elias (8) und Tochter Zora (15), dass er sich so entschied. Und doch stellte sich Grichting 2015 die bohrende Frage: Was jetzt? «Ich habe gut verdient, keine Frage. Aber auch viele Steuern bezahlt. Und die Schweiz ist sehr teuer», sagt er lachend. «Aber darum geht es nicht. Ich war immer ein Arbeiter und kein Künstler, hatte nicht viel Talent. Es ging nur durch Schweiss. Das mochte ich. Daher war es für mich immer klar, dass ich nach dem Fussball eine neue Herausforderung suchen würde.»
Diese hat er gefunden. Grichting arbeitet zu 30 Prozent als Fitness-Instruktor und seit Mai zu 40 Prozent als Kondi-Trainer von fünf Ski-Talenten. Dazu macht er sein Diplom in Magglingen BE – die Ausbildung dauert ein Jahr. Es gibt also viel zu tun. Patrick Flaction ist überzeugt, dass Grichting alles meistern wird. Der Kondi-Trainer von Lara Gut-Behrami, Daniel Yule und den Meillard-Geschwistern stellte ihn genau darum als Kondi-Trainer bei seiner Firma Elitment ein: «Stéphane ist ein Kämpfer, er geht ans Limit, will das Maximum. Und als ehemaliger Spitzensportler weiss er, was es braucht, um zu gewinnen.»
Fussballer werden bezahlt, Ski-Fahrer bezahlen
Grichting, der Kämpfer. Der Walliser Haudegen, dem nichts geschenkt wurde. Sieht er sich wieder in den jungen Skifahrern, die er zur Topform trimmt? «Ja. Auch wenn ich eine andere Sportart ausübte.» Gleichzeitig hat er Mühe mit dem hochstilisierten Fussball-Mechanismus. «Die jungen Spieler werden bezahlt, um zu trainieren. Hier ist es umgekehrt – die Skifahrer zahlen uns, damit wir sie trainieren», so Grichting. Das wirke sich auf die Mentalität aus: Skifahrer müssten härter arbeiten, um nach oben zu kommen – egal, wie talentiert sie sind. «Wenn man 16 Jahre alt ist und mit 120 km/h die Piste herunterdonnert, muss man physisch top sein. Im Fussball dagegen kann man physische Defizite durch Begabung kompensieren.» Dazu kommt, dass der Skisport teurer sei. «Vor allem zu Beginn muss man oft Sponsoren selbst suchen. Das ist hart, aber eine gute Lebensschule.»
«Die Versuchung im Fussball ist gross»
Grichting gefällt es, dass seine jungen Athleten genau diese Qualitäten haben. Gleichzeitig wird verständlich, warum er das Wort «Star» nicht mag. Und «Starallüren» sowieso nicht. Vor allem im Fussball gäbe es beides aber oft. «Die jungen Spieler rutschen da oft hinein. Autos, Frauen, Geld – die Versuchungen im Fussball sind viel grösser als beim Skifahren.»
Der übertriebene Glamour des Fussballs war Grichting seit jeher suspekt. Darum sagt er heute: «Die Welt der Skifahrer ist eher meine Welt.» Er schliesst zwar eine Rückkehr in die Welt des runden Leders nicht kategorisch aus, doch Grichting geniesst es, am Abend und an den Wochenenden zu Hause zu sein. «Auch den Druck, die Medien und die Interviews vermisse ich nicht.» Man merkt: Grichting fühlt sich pudelwohl in seiner Haut. Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – er nicht mehr im grellen Scheinwerferlicht des Fussballs steht.