Macht mir diese verdammte Kälte alles kaputt? Ramon Zenhäusern hat sich diese Frage vor seinem Abflug nach Schweden mehrmals gestellt. «Mir ist zwar egal, ob eine Piste weich oder knallhart ist. Aber sobald die Temperaturen in den Minus-20- Bereich fallen, habe ich ein ernsthaftes Problem. Bei frostigem Wetter habe ich noch nie richtig Betriebstemperatur erreicht. Deshalb hatte ich vor dieser Weltmeisterschaft ernsthafte Bedenken.»
Doch jetzt spaziert der Doppelmeter mit einem Lächeln durch Are. Das ersehnte Gold hat er mit dem Team bereits gewonnen. Und am Tag vor dem Slalom werden im WM-Ort sogar Plusgrade gemessen. Zahlreiche Experten tippen heute erneut auf eine Medaille für den Doppelmeter aus Visp VS.
«Ramon kann bei grossen Rennen die Ruhe bewahren»
Der deutsche Frank Wörndl, seines Zeichens Slalom-Weltmeister 1987, sagt stellvertretend für viele Kenner dieser Sparte: «Viele Rennfahrer beginnen bei Grossanlässen zu spinnen. Aber Ramon hat mir schon bei den letzten Olympischen Spielen mit Slalom-Silber bewiesen, dass er bei solch grossen Rennen die Ruhe bewahren kann und den Spass am Skifahren nicht verliert. Zudem wird er mit seinen langen Beinen auf dem eher flachen und welligen Slalom-Gelände hier in Are besonders schnell sein.»
Den letzten Teil dieser Expertise hört Zenhäusern allerdings nicht so gerne: «Wegen meiner Körpergrösse werde ich von vielen Experten immer noch auf meine Qualitäten in den Flachstücken reduziert. Dabei habe ich ja nicht zuletzt mit meinem Podestplatz in Kranjska Gora bewiesen, dass ich auch in Steilhängen sehr schnell fahren kann.»
Zenhäusern läuft auf seinem Nachmittagsspaziergang Luxemburgs Ski-Legende Marc Girardelli in die Arme. Der fünffache Gesamtweltcupsieger verneigt sich bei der Begrüssung vor der grössten Schweizer Slalom-Hoffnung: «Ramon, ich bin wirklich ein grosser Fan von dir. Ich hätte es vor dir nicht für möglich gehalten, dass ein so grosser Mann so schnell mit den kurzen Slalom-Ski fahren kann.»
Slalom mit zwei Meter langen Skis
Zenhäusern bedankt sich artig für die Worte des grossen Altmeisters und packt darauf ein kleines Geheimnis seiner gigantischen Entwicklung aus: «Mein Mentor Didier Plaschy hat mich früher im Training mit über zwei Meter langen Abfahrts-Latten durch die engen Slalom-Parcours geschickt. Danach ist mir das Fahren mit den kurzen Ski viel leichter vorgekommen.»
Das leuchtet Girardelli ein. Trotzdem sei ihm die Frage erlaubt: «Ist die Abfahrt denn überhaupt kein Thema für dich? Deine körperlichen Voraussetzungen wären wirklich ideal für die schnellen Disziplinen!» Zenhäusern winkt ab: «Vor dem Hahnenkamm-Slalom in Kitzbühel habe ich mich einmal auf der Abfahrtspiste eingefahren. Als ich diese steile, teilweise komplett vereiste Streif gesehen habe, schwor ich mir, dass ich meine Gesundheit niemals auf derart gefährlichen Abfahrten aufs Spiel setzten werde.»
Girardelli nickt verständnisvoll und wechselt das Thema: «Weisst du eigentlich, dass mein grösster und treuester Fan eine Frau aus deinem Heimatort Bürchen ist?» Zenhäusern lacht und sagt augenzwinkernd: «Ich weiss, welche Frau du meinst. Sie und ihre Tochter sind auch Fans von mir!» Ramons Fangruppe könnte sich heute durch den Gewinn der Goldmedaille noch einmal vervielfachen. Denn: Seit Georg Schneider 1950 gab es nie mehr einen Schweizer Slalom-Weltmeister.
Höchste Zeit also, dass sich da endlich was dreht.