Es sind beeindruckende Zahlen, die Daniel Yule von seinen Auftritten am Hahnenkamm vorweisen kann. Bei den letzten sechs Kitzbühel-Slaloms hat sich der Walliser viermal in den Top-3 klassiert. Zweimal (2020 und 2023) hat er triumphiert, 2018 und im Vorjahr hat der 31-Jährige den dritten Rang belegt.
Yules Bilanz auf dem selektiven Ganslern-Hang erscheint noch imposanter, wenn man sich an die Worte erinnert, die sein Coach Matteo Joris 2012 in einem Trainingscamp im Aostatal ausgesprochen hat: «Dieser Yule fährt technisch so schlecht, dass er sich im Weltcup nie in den Punkterängen klassieren wird.»
Dass dieser hoffnungslose Bursche aus dem abgelegenen Val Ferret in der Zwischenzeit mit sieben Weltcupsiegen als der erfolgreichste Slalomfahrer in der Swiss Ski-Geschichte da steht, ist zu einem grossen Teil auf die Arbeit von Joris zurückzuführen. Als Slalom-Künstler würde sich Yule aber nach wie vor nicht bezeichnen. Im Gegenteil: «Ich bin immer noch davon überzeugt, dass ich kein guter Skifahrer bin. Ich bin ein guter Rennfahrer, der den Kampf gegen die Uhr beherrscht.»
Yule geht mit dem eigenen Stil hart ins Gericht: «Meine V-Stellung auf den Ski findet man in keinem Lehrbuch. Ich hätte bei der Ausbildung zum Skilehrer ziemliche Schwierigkeiten.»
Der Schlagabtausch mit Kristoffersen
Obwohl er es mit seinem unkonventionellen Stil so weit gebracht hat, gibt Yule auch zu, «dass ich manchmal schon etwas neidisch werde, wenn ich einem Henrik Kristoffersen zuschaue. Seine Technik ist absolut genial, er führt nahezu jeden Schwung perfekt aus.»
Es ist aber noch nicht lange her, dass sich Yule mit dem Norweger anlässlich der Startnummernauslosung in Val-d’Isère einen heftigen verbalen Schlagabtausch geliefert hat. Hintergrund: Nachdem sich der Heisssporn aus Oslo lautstark über die Pistenbedingungen beschwerte, ist ihm der Skigenosse mit den Worten «hör endlich auf zu jammern, Henrik» in die Parade gefahren.
Nach längerem Hin und Her beendete der amtierende Slalom-Weltmeister die Diskussion mit einem lauten «Fuck You, Daniel!»
Wie gehen die beiden seither miteinander um? «Henrik hat mich am Tag darauf angerufen, wir haben die Angelegenheit so bereinigt, wie es sich für zwei erwachsene Menschen gehört», sagt Yule. «Und mit etwas Abstand betrachtet muss ich auch eingestehen, dass ich Henrik an diesem Abend in Val-d’Isère auch etwas gestichelt habe, was in dieser Situation sicher nicht die schlauste Idee war, schliesslich hätte ich ja wissen müssen, wie er mit seinem aufbrausenden Charakter reagiert. Aber ich bin froh, dass wir nun wieder wie zwei erwachsene Männer miteinander umgehen.»
«Das bedaure ich sehr»
Beim Thema Kurssetzung werden sich Yule und Kristoffersen aber wahrscheinlich nie einig werden. Der Wikinger beklagt sich regelmässig, dass die Läufe im Riesen- und im Slalom zu schnell gesetzt werden. Der Romand kontert: «In der Vergangenheit hatten wir im Slalom regelmässig Parcours, in denen die Torabstände mehr als zehn Meter betragen haben. In diesem Winter hatten wir aber ausschliesslich Läufe, in den die Torabstände neuneinhalb bis allerhöchstens zehn Meter betragen habe. Ich bedaure es sehr, dass das Tempo im Slalom immer geringer wird.»
Vor acht Wochen hat Yule geweint. Aber nicht wegen der Torabstände im Slalom, sondern weil sein bester Freund Justin Murisier bei der Abfahrt in Beaver Creek seinen ersten Weltcupsieg gefeiert hat. «Niemand kann genau nachvollziehen, wie viel Leid Justin nach seinen drei Kreuzbandrissen ertragen musste. Aber weil ich schon so viel Zeit mit ihm verbrachte, habe ich zumindest eine kleine Ahnung, was er alles durchmachen musste.» Darum sei auch er selber emotional überwältigt gewesen, als Murisier mit dem Sieg in Beaver Creek endlich für seinen Kampfgeist belohnt wurde. «Ich habe ein paar Tränen vergossen.»
Die spezielle WM-Premiere
Es könnte sein, dass Yule und Murisier bei der kommenden WM gemeinsam Freudentränen vergiessen. In Saalbach steht erstmals die Team-Kombination auf dem Programm. Cheftrainer Tom Stauffer hat sich bezüglich der Mannschaftsaufstellung nicht in die Karten blicken lassen, aber es ist durchaus möglich, dass die beiden Freunde aus dem Unterwallis eines von vier Schweizer-Duos bei dieser WM-Premiere bilden werden. «Es wäre extrem cool, wenn Justin und ich erstmals ein Rennen zusammen bestreiten könnten». Aber würde diese Männerfreundschaft nicht zu sehr darunter leiden, wenn Yule nach einer starken Abfahrts-Vorlage von Murisier im Slalom kurz vor dem Ziel ausscheiden würde? «Wenn Justin sehen würde, dass ich bis zum Ausfall Vollgas gegeben habe, hätte er sicher kein Problem damit.»
Zuvor wird Daniel Yule am Sonntag in Kitzbühel auf seinem geliebten Ganslernhang Vollgas geben. Beim letzten Slalom in Wengen hat der den Sieg um knapp fünf Zehntel verpasst, weil er die beiden Wellen auf dem Männlichen nicht optimal gemeistert hat. Aber die können darauf wetten, dass Yule die zahlreichen Übergänge auf seinem geliebten Ganslernhang wesentlich besser bewältigen wird.