Kurz vor seinem achten Geburtstag betrat Marco Odermatt erstmals Didier Cuches «Wohnzimmer». «Ich weilte mit meinen Eltern im Sommer 2005 in Kitzbühel. Bei dieser Gelegenheit haben wir die berühmte Streif-Abfahrt besichtigt, auf der mein Idol Cuche fünfmal gewonnen hat», erinnert sich Odermatt. «Ich schaute aus dem Starthaus Richtung Mausefalle. Ein Ausblick, der mir heftig eingefahren ist. Trotzdem war mir in diesem Moment klar, dass ich eines Tages wie Didier im Renntempo über derart steile Hänge donnern will.»
Nur zwei Jahre später durfte der kleine Marco erstmals mit dem grossen Cuche auf die Skipiste. «Der Sieger des Silvano-Beltrametti-Rennens in Lenzerheide gewann in der damaligen Zeit als Preis einen Skitag mit Didier Cuche. Dreimal triumphierte ich bei diesem Rennen, so kam ich in meiner Kindheit in den Genuss mehrerer Skitage mit Didier.»
Die erste Fahrt am Bügellift in Zermatt blieb Marco in besonderer Erinnerung: «Bei der Begrüssung habe ich vor lauter Ehrfurcht kaum ein Wort über meine Lippen gebracht. Aber Didier hat mit seiner sehr herzlichen Art das Eis ganz schnell gebrochen. Ich konnte mich mit ihm bestens unterhalten. Und er hat mir skitechnisch einige sehr wertvolle Tipps gegeben.»
Mittlerweile fährt der in Buochs aufgewachsene Odermatt derart stark, dass er bereits Erfolge vorweisen kann, von denen der junge Didier Cuche nur träumen konnte. Während Cuche bei Junioren-Weltmeisterschaften nie eine Medaille gewinnen konnte, holte Odermatt im letzten Winter in Davos bei der Junioren-WM gleich fünfmal Gold! Und: Odermatt hat auch im Weltcup früher eingeschlagen als sein Idol.
Rückkehr nach Sölden
Als Cuche mit 19 bei der Abfahrt in Bormio erstmals ein Weltcup-Rennen bestritt, belegte er mit einem Rückstand von 6,46 Sekunden den 57. Rang. Nur ein Fahrer war an diesem Tag noch langsamer – der Chilene Nils Linneberg. Die ersten Weltcup-Punkte hat Cuche mit 21 in Gröden (Rang 21) eingefahren.
Odermatt war 19-jährig, als er 2016 erstmals beim Weltcup-Riesen in Sölden antreten durfte. Als 17. (12. nach dem ersten Durchgang) fuhr er auf Anhieb in die Punkteränge. Und beim Weltcup-Final 2018 in Are verblüffte er bei seinen ersten beiden Speed-Einsätzen auf der höchsten Stufe die Fachwelt mit den Plätzen 11 (Super-G) und 12 (Abfahrt).
Heute kehrt das Allroundtalent nach Sölden zurück. Sein Trainer Helmut Krug kündigt den nächsten Exploit an: «Loic Meillard hat eine sehr starke Form an den Tag gelegt. Dennoch hat Marco in den letzten Trainingsvergleichen bei sehr schwierigen Bedingungen Bestzeiten aufgestellt. Seine Entwicklung ist absolut phänomenal!»
Das klingt ganz danach, dass die Schweizer Riesen-Flaute (kein Riesenslalom-Podestplatz seit März 2011) bald zu Ende gehen wird.
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Didier Cuche im Interview
BLICK: Didier, wie gut können Sie sich noch an den ersten Skitag mit Marco Odermatt erinnern?Didier Cuche: Ziemlich genau. Er war damals ein sehr kleiner Bub. Das grosse Talent war bei ihm aber schon mit zehn Jahren deutlich zu erkennen. Bei ihm musste ich skitechnisch fast nichts korrigieren, einzig die Position seiner Arme musste ein wenig gerichtet werden.
Haben Sie zu Marco regelmässig Kontakt?
Regelmässig nicht, aber wir schreiben uns ab und zu ein SMS. Und als der Nidwaldner Skiverband im letzten Mai eine Feier für seine fünf Goldmedaillen bei der Junioren-WM organisiert hat, habe ich für Marco eine Videobotschaft geschickt. Und natürlich verfolge ich seine Entwicklung über die Medien ganz genau, sein Auftritt beim letzten Weltcup-Final hat mir enorm imponiert. In den Jahren zuvor haben viele Junioren-Weltmeister bei ihrem ersten Auftritt auf der ganz grossen Ski-Bühne ein paar Mal leer geschluckt, weil sie aufgrund eines riesigen Zeitrückstandes feststellen mussten, dass der Niveau-Unterschied zwischen dem FIS- und Europacup-Bereich zum Weltcup gewaltig ist. Deshalb ist es wirklich aussergewöhnlich, dass Marco bei seinem ersten Weltcup-Final in drei Disziplinen in die Top-15 gefahren ist.
Einige Experten sehen Odermatt längerfristig eher in den Speed- als in den technischen Disziplinen. Sie auch?
Ich traue Marco zu, dass er in Zukunft in drei Disziplinen sehr stark fahren kann: im Riesenslalom, im Super-G und in der Abfahrt.
Sie sind im September durch die Geburt von Amélie zum zweiten Mal Vater geworden. Fährt Ihr bald drei Jahre alter Sohn Noé schon Ski?
Mein Bub hat im letzten Frühling seine erste richtig kontrollierte Fahrt über eine ziemlich flache Piste gemacht. Das hat mich sehr berührt.