Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann sorgt sich um Schweizer Sport
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Corona-Krise und Geisterrennen:Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann sorgt sich um Schweizer Sport

Corona-Krise, Geisterrennen und Solidarität
Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann sorgt sich um Schweizer Sport

Urs Lehmann, Präsident von Swiss Ski, macht sich Sorgen über den nächsten Skiwinter. Und fordert eine stärkere Lobby für den Schweizer Sport. «Wir müssen fordernder und lauter werden», sagt er im Interview.
Publiziert: 09.05.2020 um 15:16 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2020 um 15:24 Uhr
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Swiss-Ski Präsident Urs Lehmann kämpft um den Stellenwert des Sports in unserem Land.
Foto: Sven Thomann
Felix Bingesser

Wer die Räumlichkeiten der Medizinalfirma Similasan betritt, der muss nicht nur die Hände desinfizieren. Sondern muss auch Fieber messen. «Wir haben ein lückenloses Sicherheitskonzept», sagt CEO Urs Lehmann. Doch nun wechselt Lehmann den Hut, respektive das Hemd. Er entledigt sich im Sitzungszimmer seines Hemdes und wird nun im offiziellen Kleidungsstück von Swiss Ski zum Sportfunktionär. «Wenn auf den Fotos die Sponsoren des Skiverbandes nicht zu sehen sind, dann kriege ich wieder Ärger mit unserer Sponsoringchefin», schmunzelt Lehmann. Und dann redet er von seinem geliebten Skisport. Dort gibt es kein umfassenden Sicherheitskonzept. Und obwohl der Sommer erst beginnt, stehen auch die Wintersportler vor einer ungewissen Zukunft. Und vor existenziellen Fragen.

Urs Lehmann, sehen wir im Januar am Chuenisbärgli Geisterskirennen?
Urs Lehmann: Das ist schwierig zu beurteilen und schwer vorstellbar. Aber wir müssen in verschiedenen Szenarien zu denken beginnen. Wenn es keine Alternative gibt, dann sind Rennen ohne Zuschauer besser als nichts. In Lake Louise fahren wir auch vor 300 Zuschauern. Und auch diese Rennen sind für den Skisport von grosser Bedeutung.

Viele Leute bezweifeln, ob im Winter überhaupt Ski gefahren wird.
Der Weltcup ist für die verschiedenen Landesverbände existenziell. Sollte es tatsächlich zum einem solchen Szenario kommen wird es für das gesamte System extrem schwierig. Für den internationalen Skiverband wäre es der GAU, wenn die alpinen Weltmeisterschaften in Cortina und die Nordisch-WM in Oberstdorf ausfallen würden. Wir müssen die Entwicklung abwarten, Szenarien prüfen und hoffen, dass bald ein Impfstoff da ist. Und wir müssen halt auch kreativ werden.

Zum Beispiel?
Es gibt ganz verschiedene Szenarien die wir diskutieren. Zum Beispiel Blockbildung von Wettkämpfen in bestimmten Regionen oder Kontinenten, Rennen mit einer beschränkten Anzahl an Zuschauern, ausgeklügelte Schutzkonzepte für Veranstaltungen, den Weltcup erst später beginnen und im Frühling dafür länger Rennen fahren. Oder ganz am Ende des Spektrums, wenn man immer noch nicht reisen darf und es keine internationalen Rennen gibt, dann muss man national etwas versuchen. Vielleicht sogar eine Lauberhorn-Abfahrt ohne Publikum und nur mit Schweizer Fahrern. Auch daraus könnte man einen guten Event machen. Meine Devise ist: Alles ist besser als gar nichts. Man muss den Sportlern einfach Perspektiven aufzeigen können. Unsere Athleten beginnen jetzt mit dem Training. Sie brauchen Ziele.

Die Österreicher trainieren schon auf Schnee…
Die müssen auch 1000 Punkte aufholen. Spass beiseite: Sie haben ihren Plan, wir haben unseren Plan. Ob man dabei einige Schneetage mehr oder weniger hat ist nicht so entscheidend.

Sie kämpfen schon länger für den Stellenwert des Sports in unserem Land. Trotzdem hat man den Eindruck, der Sport werde derzeit gerade wieder stiefmütterlich behandelt. Was läuft falsch?
Wir vertreten unsere Interessen viel zu wenig gemeinsam. Die verschiedenen Verbände müssen enger zusammenrücken und mit einer Stimme sprechen. Und so die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung bei den politischen Behörden unterstreichen. Wir müssen fordern, nicht immer nur bitten.

Das müsste eigentlich Swiss Olympic mit Präsident Jürg Stahl in erster Linie tun.
Ich kenne Jürg Stahl sehr gut. Vielleicht ist er in diesem Bereich zu wenig fordernd und es wäre besser er würde einmal auf den Putz hauen. Es ist ja bei Kindern auch so: Man hört eher hin, wenn ein Kind sagt «Ich will» statt «Ich hätte gern». Wenn der Bundesrat über die Lockerungen spricht und die Tattoostudios und die Coiffeure vor dem Sport thematisiert werden, dann stimmt etwas nicht!

Sind wir überhaupt eine Sportnation?
Natürlich sind wir das. Quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Bei uns ist der Sport aber vorab privatwirtschaftlich organisiert, was halt auch gewisse Limiten mit sich bringt.

Ist das in anderen Ländern anders?
In allen unseren Nachbarländern mit Ausnahme von Liechtenstein ist die staatliche Unterstützung für den Sport viel grösser. Der französische Skiverband ist zur Hälfte vom Staat finanziert. Ein anderes gutes Beispiel: Die Biathlon Infrastruktur in Antholz wird vom italienischen Staat finanziert - in der Lenzerheide ist es eine Privatperson. Solche Beispiele gibt es zuhauf.

Die Lösung soll Staatssport sein?
Nein. Aber eine angemessene Unterstützung. Und dafür kämpfen wir schon seit Jahren. Vielleicht ist diese jetzige Phase auch eine Chance. Allerdings spüre ich das noch nicht. Wir dürfen nicht nur jammern und den anderen die Schuld geben. Wir müssen unsere Hausaufgaben im Sport machen und unsere Interessen einfach viel entschlossener vertreten.

Leidet das Image des gesamten Sports unter den Exzessen, die es bei den Löhnen in grossen Fussball-Ligen und vereinzelt auch bei uns gibt?
Exzesse sind immer schlecht. Und mit solchen Auswüchsen wird natürlich ein Klischee zementiert, das nicht förderlich und zudem völlig falsch ist. Aber ich möchte jetzt nicht behaupten, dass Dario Cologna unter der Transfersumme von Neymar leidet. Gerade im Wintersport gibt es sehr viel Idealismus und sehr viele Sportlerinnen und Sportler, die von der Hand in den Mund leben.

In wenigen Tagen wäre die Wahl des neuen Präsidenten des internationalen Skiverbandes geplant. Sie sind ein Kandidat für die Nachfolge von Gian Franco Kasper. Wie waren die Reaktionen auf ihre Kandidatur?
Ich habe sehr viel positives Feedback erhalten. Auch aus Ecken dieser Welt, aus denen ich es nie vermutet hätte.

Zum Beispiel?
Aus Algerien oder auch aus Puerto Rico beispielsweise. Von dort hat mir David Steel geschrieben. Mit ihm bin ich sogar mal Rennen gefahren. Puerto Rico hat allerdings kein Stimmrecht, dafür ist der Skiverband zu klein.

Wann wird denn diese Wahl nun stattfinden?
Der Plan ist immer noch, dass die FIS Anfang Oktober in Zürich diesen Kongress durchführen wird. Aber auch hier wird man wohl alle Alternativen prüfen müssen. Vielleicht wird es sogar hier ein digitaler Kongress und eine digitale Abstimmung geben.

Werden wir im Winter Skifahren und auch Après-Ski machen können?
Davon gehe ich aus. Doch Après-Ski wie wir es kennen wird es wohl noch lange nicht geben. Aber mit der nötigen Distanz zu anderen Menschen nach dem Skifahren in den Bergen ein Bier trinken, das wird möglich sein. Das ist zumindest meine Hoffnung.

Sie sind nicht nur ein wichtiger Sportfunktionär, sondern auch Chef einer Medizinalfirma. Haben Sie in dieser Funktion Berührungspunkte mit dem Corona-Virus?
Wir forschen und entwickeln, aber nicht im Bereich der Viren. Wir haben viele Produkte zur Stärkung des Immunsystems. Und das ist ja auch ein entscheidender Faktor.

Wie sind Sie mit dem Krisenmanagement des Bundesrates zufrieden?
Die Begriffe Pandemie, Notrecht und Mobilmachung hat man seit vielen Jahrzehnten nicht gehört. Die Verantwortung des Bundesrates war riesig, der Druck enorm. Von daher hat die Landesregierung einen sehr guten Job gemacht. Als einziges hat mir die Aufforderung «zu Hause zu bleiben» nicht so gut gefallen. Denn Bewegung, frische Luft und Sonne unter Wahrung des Social Distancing tut jedem sehr gut. Die Gesundheit hat oberste Priorität, aber jetzt muss mit allen Mitteln und so schnell wie möglich die Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht werden. Die wirtschaftlichen Kollateralschäden sind schon jetzt enorm. Beim Ganzen gibt es halt einen Wermutstropfen.

Welchen?
Wie bereits erwähnt: Wir haben es nicht geschafft, dass der Sport am 16. April in der Kommunikation des Bundesrats auf der Agenda war!

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