Der schnellste Oldtimer
Im November 2021 hat Thomas Tumler nach unzähligen Rückschlägen die Schnauze vom Skisport derart voll, dass er teamintern seinen Rücktritt verkündet. Olympiasieger Sandro Viletta, der zu diesem Zeitpunkt als Trainer bei Swiss Ski tätig ist, kann den Samnauner in einem langen Gespräch aber dann doch noch zu einem letzten Versuch beim Kontinetalcup in Nordamerika überzeugen. Tumler gewinnt eines dieser Nor-Am-Cuprennen und kommt danach auch im Weltcup wieder richtig gut in Schwung. Das vorläufige Happy End dieser Geschichte dürfte den meisten bekannt sein: Der mittlerweile 35-Jährige krönt in Saalbach-Hinterglemm seine Karriere mit dem Vize-Weltmeistertitel im Riesenslalom. Damit ist Tumler der älteste Medaillengewinner bei dieser WM.
Die schönste Frühlingsfahrt
Sie ist 34 Jahre alt, sprüht aber nur so vor Energie: Federica Brignone. Die Italienerin mit dem Tiger auf dem Helm («Der Tiger ist mein Tier, das bin ich») zeigt beim Riesenslalom das vielleicht beste Rennen ihres Lebens. Sie deklassiert auf dem weichen Frühlingsschnee alle, fährt zweimal Laufbestzeit und nimmt der zweitplatzierten Neuseeländerin Alice Robinson 0,90 Sekunden ab. US-Frau Paula Moltzan hat als Dritte 2,62 Sekunden Rückstand, die 20. (Estelle Alphand) ist fünf Sekunden langsamer. Brignone kündigt danach an: «Ich will beim Après-Ski Gas geben.» Ob ihre Mama Maria Rosa Quario, die sie – wie auch Bruder Davide – stets im Ski-Zirkus begleitet, dann ebenfalls steil gehen wird? Brignone verneint: «Sie ist nicht so das Partygirl wie ich. Manchmal wundert sie sich sogar, ob sie mit uns verwandt ist, da mein Papa, mein Bruder und ich so gern feiern.»
Der verblüffende Überflieger
Franjo von Allmen zählt gerade mal 23 Lenze und hat auf der höchsten Alpin-Stufe erst 28 Wettkämpfe (25 Weltcup, 3 WM) bestritten. In dieser kurzen Zeit erreicht der gelernte Zimmermann das, was die meisten anderen Rennfahrer in ihrer ganzen Karriere nie schaffen: Nach dem Super-G-Sieg am Lauberhorn erkämpft sich der Berner Oberländer in Saalbach mit Loïc Meillard Gold in der Team-Kombination und Gold in der Königsdisziplin Abfahrt. Von Allmen ist damit der jüngste Abfahrts-Weltmeister seit dem Deutschen Hansjörg Tauscher, der 1989 in Vail mit 22 Jahren eine echte Sensation ablieferte. Das hat natürlich auch rasante Auswirkungen auf die nach Franjo benannten Genussmittel. «In den Tagen nach dem Sieg bei der WM-Abfahrt haben wir über 300 Bestellungen für den Franatiker-Likör erhalten», verrät Cedric Rufener, der in Zweisimmen von Allmens Stammlokal Lothar Bar betreibt.
Der unappetitlichste Moment
Es ist kurz nach 10 Uhr am letzten Donnerstag, als sich Camille Rast am Start des Riesenslaloms bereitmacht. Vor ihr steht nur noch Lara Colturi. Das 18-jährige Supertalent, das für Albanien startet, gilt für einige Insider an der WM als Medaillenkandidatin. Bloss: Sie leidet seit Wochen an einer Erkältung. Und dann, kurz vor ihrem Start, kommt alles heraus. Colturi übergibt sich. Die Folgen? Sie sind weniger schlimm als für Rast. «Mir wurde schlecht, weil sie gekotzt hat. Da war ich nicht mehr in meinem Rennen», so die Walliserin. Sie verliert 3,32 Sekunden und verzichtet vor dem zweiten Lauf auf eine Mahlzeit. «Ich bin da mega sensibel», rechtfertigt sich Rast. Am Ende wird sie 11.
Der überraschende WM-König
Mit zweimal Gold (Slalom und Team-Kombi) und Bronze im Riesenslalom geht Loïc Meillard als erfolgreichster Athlet in die Geschichte der Alpin-WM 2025 ein. «Und das, obwohl Loïc im WM-Slalom höchstens halb so gut gefahren ist wie im Training», bemerkt sein Walliser Kumpel Daniel Yule. Selbstverständlich ist Meillard mit einem Preisgeld von 108'000 Franken auch der Top-Verdiener dieser Titelkämpfe.
Der heftigste Seitenhieb
Den Namen spricht Lara Gut-Behrami nicht aus, aber für die meisten ist klar, wen sie meint: Mauro Pini. Der Tessiner, der einst Gut-Behrami und danach das gesamte Schweizer Frauen-Team trainierte, wird verbal attackiert. Wie? Nach dem Gewinn von Team-Kombi-Silber mit Wendy Holdener wird Gut-Behrami von SRF-Moderator Lukas Studer darauf angesprochen, dass dies ihre erste WM-Medaille sei, die sie nicht allein gewonnen hat. Sie meint: «Vor acht oder neun Jahren wären Wendy und ich sicher nicht zusammen an den Start gegangen. Als sie ins Team kam, hat mein Trainer, unser Cheftrainer, alles versucht, um uns gegeneinanderzustellen. Darunter hat meine Beziehung mit vielen Athletinnen gelitten.» Blick versucht, Pini zu erreichen – er soll die Möglichkeit haben, seine Sicht der Dinge darzustellen. Er nimmt das Telefon aber nicht ab.
Der letzte Kick
Bezüglich Skitechnik gibt es bei Alexis Monney (25) schon lange nichts mehr auszusetzen. Dass der Freiburger mittlerweile auch im Kraft- und Ausdauerbereich zu den Besten gehört, ist das Verdienst des ehemaligen Fussball-Nationalspielers Stephane Grichting (45). Der Walliser ist seit 2020 Monneys Athletiktrainer. Monneys körperliche Substanz ist der derart stark, dass er in diesem Winter bei der wohl härtesten Abfahrt in Bormio seinen ersten Weltcupsieg realisiert, auf der berüchtigten «Streif» in Kitzbühel Zweiter wird und bei der WM Abfahrts-Bronze sowie mit Tanguy Nef Silber in der Team-Kombi gewinnt.
Die perfekte Fahrt
In der Abfahrt (Platz 5) und im Riesenslalom (Rang 4) ist Marco Odermatt die Titelverteidigung zwar nicht geglückt, ein ganz dickes Ausrufezeichen setzt der dreifache Gesamtweltcupsieger aber auch in Saalbach-Hinterglemm! Der Nidwaldner knöpft bei seinem Triumph im Super-G dem zweitplatzierten Österreicher Raphael Haaser eine Sekunde ab. Die Experten sind sich einig, dass Odermatt die beste Fahrt in der Geschichte des WM-Super-G geglückt ist.
Das verbotene Wort
Nach Platz 5 im Riesenslalom ist Saalbach für Gut-Behrami Geschichte. Im Gegensatz zur medaillenlosen WM in Méribel 2023 («Es waren zwei Scheisswochen») reist sie mit Team-Kombi-Silber in der Tasche nach Hause. Bevor es so weit ist, stellt sie sich im Interview-Marathon allen Fragen, spricht ausführlich und wirkt gut gelaunt. Eine Mission hat Gut-Behrami aber offensichtlich: Sie will das Wort «Enttäuschung» aus dem Vokabular eines jeden Journalisten verbannen. Warum? Weil es im Skisport um viel mehr gehe, findet sie. «Ich würde nie sagen, ein Athlet habe eine enttäuschende Karriere gehabt, weil er nie eine Medaille gewonnen hat», sagt sie im SRF, obwohl sie weder Moderator Lukas Studer noch Expertin Tina Weirather kritisieren noch das Wort «Enttäuschung» jemals verwenden. «Ich habe es ein paar Mal gehört», wirft die Tessinerin ein, und meint dabei wohl die letzten Jahre. Fakt ist: Egal bei welchem folgenden Medium – Gut-Behrami wiederholt ihre Worte mantraartig.
Die bittersten Tränen
Justin Murisier und Daniel Yule verbindet seit vielen Jahren eine tiefe Freundschaft. Logisch, dass die beiden Walliser auch bei der WM-Premiere in der Team-Kombination ein Duo bilden. Nach einer soliden Abfahrtsleistung von Beaver-Creek-Champion Murisier geht der siebenfache Weltcupsieger Yule im Slalom volles Risiko ein. Das wird nicht belohnt, der 31-Jährige fädelt mit einer Top-Zwischenzeit ein. «Es ist das erste Mal, dass ich nach einem Skirennen bittere Tränen vergiesse», gesteht Yule. Beide bleiben auch in den Einzelrennen unter ihren Erwartungen: Murisier beendet die Abfahrt als Achter, Yule scheidet im Slalom fast an derselben Stelle aus wie in der Kombi.
Das grösste Theater
Lindsey Vonn wollte die Team-Kombi unbedingt mit Mikaela Shiffrin fahren. «181 Weltcupsiege vereint. Das wäre grossartig», kündigte die 40-Jährige an. Ein Märchen, wie es die Amerikaner lieben? Es kam anders: Shiffrin kündigte an, mit Abfahrtsweltmeisterin Breezy Johnson zu fahren. «Warum bin ich nicht überrascht?», stichelte Vonn danach auf X. Sie kritisierte die Kommunikation innerhalb des US-Verbands scharf. Nach Platz 16 in der Team-Kombi-Abfahrt («Ich fuhr wie eine Schildkröte») zeigt sie sich teilweise reuig. Letztlich holen Shiffrin und Johnson Gold, Vonn und Partnerin AJ Hurt werden 16. (von 21 Teams).
Die grösste Sensation
Österreichs Raphael Haaser war im Weltcup zwar schon viermal Zweiter im Super-G, im Riesenslalom war er vor dieser WM aber noch nie besser als auf dem siebten Rang klassiert. Deshalb kommt es einer echten Sensation gleich, dass der 27-jährige Tiroler in Hinterglemm nach Silber im Super-G vor den Schweizern Tumler, Meillard und Odermatt Riesen-Gold einfährt.
Der beste Materialwechsel
Ein Winter lang ist Rast bei Salomon unter Vertrag. Es klappt nicht. Darum zieht sie im Frühling 2023 die Reissleine und wechselt zurück zu Head. Die Folge? Rast kommt immer besser in Fahrt, nähert sich in der Material–Comeback-Saison der Spitze. Im zweiten Winter schlägt sie zu, holt ihre ersten Weltcupsiege und nun den Weltmeistertitel. Dabei beweist sie auch Mut zu kurzfristigen Entscheidungen. «Der neue Ski war eigentlich erst für den Weltcup in Sestriere vorgesehen. Aber Camille fuhr flüssiger mit ihm im Training und hat ihn nun gleich auch für die WM benutzt», so ihr Trainer Denis Wicki.
Der grösste Pechvogel
Österreichs Riesenslalom-Spezialist Stefan Brennsteiner (4 Podestplätze im Weltcup) ist in Niedernsill knapp 34 Kilometer von Saalbach entfernt aufgewachsen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen des 33-Jährigen vor der Heim-WM. Doch Brennsteiners Traum von einer Medaille endet bereits nach wenigen Toren. Doch nicht, weil er einen Fehler begeht, sondern weil sich die Bindung seines rechten Skis öffnet.«Ich bin eigentlich recht sprachlos, ich kann mir das nicht erklären. Bei dem Schwung habe ich gemeint, dass ich gut stehe, doch auf einmal ist der Ski weg». Was Brennsteiner besonders wehtut: Bereits die WM zuvor in Courchevel ist für ihn mit dem vierten Rang unglücklich zu Ende gegangen.
Der Kamera-Karajan
Eine Gold-Medaille hätte sich auch ORF-Regisseur Michael Kögler verdient. Der 60-Jährige hat bei dieser WM mit seiner Crew die TV-Bilder produziert, welche in über 50 Ländern übertragen wurden. Kögler dirigiert seine Kameras ähnlich virtuos, wie das der legendäre Herbert von Karajan in der Arbeit mit den Symphonieorchestern getan hat.