BLICK: Mikaela Shiffrin, spätestens jetzt sind Sie der grösste Star im Ski-Weltcup. Was ging Ihnen beim Rücktritt von Marcel Hirscher durch den Kopf?
Mikaela Shiffrin: Ich musste weinen.
Wirklich?
Es war kein Heulkrampf , aber ich musste schon einige Tränen verdrücken. Es ist so seltsam ohne ihn. In meiner ersten Weltcup-Saison vor acht Jahren gewann Marcel seine erste grosse Kristallkugel. Es folgten sieben weitere. Seit ich also Rennen fahre, gewinnt Marcel. Nun wird alles anders.
Inspirierte er Sie?
Nach Bode Miller am meisten aller Athleten. Die Art, wie er fuhr, dazu seine Mentalität – Marcel war so beeindruckend. Ich habe sogar seine Rennen zwischen meinen Läufen im TV geschaut. Das gab mir das letzte Quäntchen Feuer, das ich für meine zweiten Durchgänge benötigte.
Andere schafften das nicht?
Ich schaue ganz generell den Männern gerne zu. Henrik Kristoffersen und Ramon Zenhäusern sind ebenfalls unglaublich, aber Marcel war speziell. Und nun hört er auf dem Höhepunkt auf – das ist stark.
Warum beeindruckt Sie das?
Der Mensch ist grundsätzlich gierig, will mehr, mehr, mehr. Es ist schwierig, aufzuhören, wenn man siegt.
Sie sind 24 Jahre alt und haben schon praktisch alles gewonnen. Können Sie sich vorstellen, so lange wie Hirscher zu fahren?
Ich weiss nicht, ob ich es schaffe. Nach 30 werde ich kaum noch dabei sein. Aber ich habe keinen Zeitplan für meinen Rücktritt. Es geht wirklich darum, wie ich mich fühle.
Vor einigen Wochen trafen Sie Roger Federer beim Laver Cup in Genf. Wie war es?
Ich war weniger angespannt als vor einem Jahr, denn ich hatte diesmal fast keine Zeit, um nervös zu werden (schmunzelt). Das Gespräch war wunderbar, wir haben 45 Minuten lang geredet. Später, etwa gegen 19 Uhr, hatte er noch weitere Interviews. Doch sogar danach blieb er noch, um weiter mit mir zu reden.
Was bedeutet Ihnen das?
Es ist so cool. Ich konnte kaum glauben, dass sich Roger so viel Zeit für mich nahm. Ich bin ein grosser Fan von Roger, das weiss er. Trotzdem hat er die Fähigkeit, mit den Leuten ganz normal zu sprechen. Nicht jeder Athlet seiner Bekanntheit schafft es, mit jedem sofort einen Draht zu finden. Beeindruckend.
Etwas Spezielles, das Ihnen geblieben ist?
Einige Dinge. Ich weiss nicht, ob ich sie erzählen darf...
Ein Beispiel bitte!
Roger erzählte davon, wie er und seine Familie im März in der Lenzerheide mit dem Auto zum Skifahren gingen. Es war offenbar sehr warm, der Schnee extrem weich. Mirka rief ihn darum später an und sagte: «Wir laufen die Piste runter, es ist furchtbar. Komm und hol uns bitte ab!» Es war offenbar keine gute Idee, an diesem Tag Ski zu fahren (lacht).
Mit Lektionen von Ihnen hätten es seine Kinder vielleicht genossen.
Es wäre grossartig, wenn ich ihnen eines Tages das eine oder andere zeigen dürfte.
Michelle Gisin sorgt sich um die Rettung Gletscher und engagiert sich im Kampf gegen den Klimawandel. Wie denken Sie darüber?
Wenn man die Gletscher über mehrere Jahre anschaut, sieht man: Das Eis verschwindet immer schneller. Es ist traurig daran zu denken, dass es eine Zukunft geben könnte, in der es keine Skirennen mehr geben wird.
Was macht Hoffnung?
Fast jeder fragt sich, was er gegen den Klimawandel tun kann. Wir haben keinen anderen Planeten – es liegt an uns, diesen nicht zu zerstören. Jeder ist mitverantwortlich. Denn: Es stehen Leben auf dem Spiel.
Wie denken Sie über Greta Thunberg?
Sie ist eine Inspiration. Wie sie spricht und sich einsetzt, beeindruckt mich. Sie ist mitverantwortlich für eine Bewegung und motiviert eine ganz neue Generation dazu, Verantwortung zu übernehmen. Für das, was sie selbst tun, aber auch für das, was andere schon gemacht haben. Sie überlegen sich, welche Folgen alle Taten haben.
Greta Thunberg leidet am Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus.
Ihre Energie ist beeindruckend. Die meisten Leute anerkennen das, sind ihr gegenüber positiv eingestellt. Aber es gibt auch viele, wichtige Personen, die sich über sie lustig machen. Dabei ist sie ein Beispiel für mehrere Dinge: Der Glaube an sich selbst, der Kampf für die eigene Überzeugung und gegen Mobbing. Beeindruckend.
Einer der wichtigen Personen, die sich über Greta Thunberg lustig machen, ist Donald Trump...
Er macht sich über alle lustig.
Bislang wollten Sie sich nicht zu politischen Themen äussern. Hat sich das verändert?
Nicht wirklich. Ich habe nicht Politik studiert, es ist nicht mein Beruf. Ich weiss nicht, ob ich in Zukunft häufiger etwas dazu sagen werde.
Wollen Sie nicht Stellung beziehen?
Ich habe meine Meinungen und Überzeugungen zu politischen Themen. Aber ich möchte nicht öffentlich über Dinge reden, die ich nicht genau verstehe. Politik ist nicht meine Spezialität. Ich brauche wohl noch etwas Zeit, ehe sich das ändert (schmunzelt).
Fürchten Sie sich vor Shitstorms?
Früher haben mich negative Kommentare – vor allem auf Social Media – mehr getroffen. Manchmal antworte ich den Leuten, die mich kritisieren, um mich besser zu erklären. Gewisse Kommentare ignoriere ich aber auch. Es gibt einfach Menschen, die verletzende Dinge schreiben. Aber ich bekomme eine immer dickere Haut (schmunzelt).
Sie wurden im letzten Winter Doppel-Weltmeisterin und holten 17 Weltcupsiege, dazu den Gesamtweltcup. Mehr geht fast nicht, oder?
Die Leute schauen vielleicht Fernsehen und denken: Oh, Mikaela hat schon wieder gewonnen... Aber so fühlt es sich nicht an. Jedes Rennen ist ein neuer Kampf.
Danach sieht es nicht aus, wenn Sie auf den Ski stehen...
Die letzte war die stressigste Saison meiner Karriere. Gleichzeitig hatte ich noch nie so viel Spass. Ich habe die Rennen mehr denn je genossen. Mein Team und ich – wir waren eine totale Einheit, perfekt eingespielt. Ich zweifle daran, ob ich nun wieder 17 Rennen gewinnen kann. Gleichzeitig weiss ich: Es ist möglich!
Der Skirennsport hat in den USA traditionell einen schweren Stand. Bewegt sich was?
Ja, dieses Gefühl habe ich. Es bleibt aber schwierig, den Skisport zum Mainstream-Thema zu machen. Wenn ich nach Europa komme, ist das ausgeprägter. Ich spüre das Interesse, die Zuneigung und Wertschätzung – das ist wirklich schön.
Das erzeugt auch Druck. Wie gehen Sie mit ihm um?
(überlegt lange) Ich brauche das Rampenlicht nicht. Aber ich schätze, was die Medien für den Skisport machen. Wie sie das Ganze für die Fans aufbereiten, populär machen. Letztlich ist das der Grund, warum ich diesen Beruf habe. Andere Athleten denken vielleicht nicht so – ich schon.
Sind Sie gerne ein Star?
Ich fühle mich nicht so, aber es ist ein Teil des Geschäfts, so bezeichnet zu werden. Ich akzeptiere diese Rolle, übernehme gerne Verantwortung für den Skisport. Auch andere tun das. Sofia Goggia ist nicht nur auf der Piste spannend, sondern auch bei Interviews. Wendy Holdener und Federica Brignone genauso. Es gibt einige, die Pepp in den Ski-Zirkus bringen. Das ist wichtig. Denn nur wenn wir den Skisport gut verkaufen, hat er auch eine Zukunft.
Ziehen wir den Vergleich zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr. Wo stehen Sie?
Ich denke, ich habe mich verbessert – auch im Riesenslalom. Ich fühle mich wohl, fit, stark.
Tönt wie eine Drohung an ihre Gegnerinnen.
Nein, nein (lacht)! Das heisst nicht, dass ich gewinnen werde – andere Fahrerinnen verbessern sich ja auch. Ich weiss beispielsweise, dass Petra Vlhova viel trainiert hat und ebenfalls stärker wurde – gleiches gilt für Wendy.
Sie gewannen im letzten Winter den Gesamtweltcup mit grossem Vorsprung. Wer kann Ihnen überhaupt gefährlich werden?
Mein erster Gedanke geht in Richtung Petra. Wendy ebenso, als Slalom-Fahrerin war sie sehr stark im Speed und sie wird noch besser.
Michelle Gisin?
Genau, auch sie! Ich darf niemanden unterschätzen.
Mikaela Shiffrin (24) ist Tochter eines Anästhesisten (Jeff) und einer ehemaligen Skifahrerin (Eileen). Sie wuchs in Vail, Colorado, auf. Ihre Mutter coachte sie von früh auf – auch heute ist sie stets an der Seite ihrer Tochter. Shiffrin schaffte es bereits mit 16 aufs Weltcup-Podest, mit 17 holte sie ihren ersten Sieg und mit 18 Jahren WM-Gold im Slalom. Bis heute feierte Shiffrin 60 Weltcupsiege, nur Annemarie Moser-Pröll (Ö, 62 Siege) und Lindsey Vonn (USA, 82 Siege) liegen vor ihr. Shiffrin gewann zuletzt drei Mal in Serie den Gesamtweltcup und stand letzte Saison 17 Mal auf dem obersten Treppchen – Rekord. Für viele Experten ist klar, dass Shiffrin einst als grösste Skifahrerin in die Geschichte des Sports eingehen wird.
Mikaela Shiffrin (24) ist Tochter eines Anästhesisten (Jeff) und einer ehemaligen Skifahrerin (Eileen). Sie wuchs in Vail, Colorado, auf. Ihre Mutter coachte sie von früh auf – auch heute ist sie stets an der Seite ihrer Tochter. Shiffrin schaffte es bereits mit 16 aufs Weltcup-Podest, mit 17 holte sie ihren ersten Sieg und mit 18 Jahren WM-Gold im Slalom. Bis heute feierte Shiffrin 60 Weltcupsiege, nur Annemarie Moser-Pröll (Ö, 62 Siege) und Lindsey Vonn (USA, 82 Siege) liegen vor ihr. Shiffrin gewann zuletzt drei Mal in Serie den Gesamtweltcup und stand letzte Saison 17 Mal auf dem obersten Treppchen – Rekord. Für viele Experten ist klar, dass Shiffrin einst als grösste Skifahrerin in die Geschichte des Sports eingehen wird.
Winter Nummer 1 nach der Ära Marcel Hirscher. Auch als Schweizer Fan muss man sagen: Er wird fehlen. Anderseits erstickte seine Dominanz jahrelang oft jede Spannung. Nun wird ein Nachfolger gesucht. Die Pferde im Rennen um die grosse Kistallkugel scharren in ihren Gattern bereits mit den Hufen: Pinturault (Fr), Kristoffersen (No), Mayer (Ö), Jansrud (No) und Paris (It). Und wer weiss, ob unser Supertalent Marco Odermatt da auch noch mitmischt.
Womit wir schon bei den Schweizern sind. Was bringt die Saison? Sicher ist: Wir dürfen uns freuen. Die Truppe um Odermatt, Meillard und Murisier hat sprichwörtlich ein Riesen-Potenzial. Das gilt auch im Slalom für Doppelmeter Zenhäusern und Podest-Garant Yule. Und dann ist noch Speed-Gigant Feuz – er will endlich seinen ersten Kitzbühl-Sieg einfahren.
Bei den Frauen dürften die Shiffrin-Festspiele weiter gehen. Die Schweizer Girls haben trotzdem viel vor: Holdener will nach 22 Slalom-Podestplätze endlich ihren ersten Sieg. Gisin möchte in der Abfahrt die Beste sein und Gut-Behrami zeigen, was noch in ihr steckt. Und dann ist da noch Corinne Suter – sie hat das Zeugs zum Star.
Gefühlt ist die kalte Jahreszeit noch weit weg. Es ist nur ein Gefühl. Der Ski-Winter kann kommen!
Winter Nummer 1 nach der Ära Marcel Hirscher. Auch als Schweizer Fan muss man sagen: Er wird fehlen. Anderseits erstickte seine Dominanz jahrelang oft jede Spannung. Nun wird ein Nachfolger gesucht. Die Pferde im Rennen um die grosse Kistallkugel scharren in ihren Gattern bereits mit den Hufen: Pinturault (Fr), Kristoffersen (No), Mayer (Ö), Jansrud (No) und Paris (It). Und wer weiss, ob unser Supertalent Marco Odermatt da auch noch mitmischt.
Womit wir schon bei den Schweizern sind. Was bringt die Saison? Sicher ist: Wir dürfen uns freuen. Die Truppe um Odermatt, Meillard und Murisier hat sprichwörtlich ein Riesen-Potenzial. Das gilt auch im Slalom für Doppelmeter Zenhäusern und Podest-Garant Yule. Und dann ist noch Speed-Gigant Feuz – er will endlich seinen ersten Kitzbühl-Sieg einfahren.
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