Conradin Cathomen steht auf der Terrasse seiner schmucken Wohnung in Laax GR. In seinen Gedanken absolviert der 64-Jährige mit verträumtem Blick eine Zeitreise in die frühen 80er-Jahre. Dann beginnt er über den Südtiroler Weltcup-Klassiker zu schwärmen, die seine Karriere als Skirennfahrer in besonderer Weise geprägt hat. «Ohne die Abfahrt in Val Gardena wäre mein Leben ganz anders verlaufen», ist der Bündner überzeugt.
Vor dem Saslong-Rennen im Winter 1980/81 stand Cathomen kurz vor dem Rauswurf aus dem Swiss-Ski-Kader. «Ich fungierte zu Saisonbeginn in der Abfahrt-Weltrangliste auf dem 106. Rang. Und Trainer Karl Frehsner setzte mir ein Ultimatum: ‹Du bekommst im Dezember drei Weltcup-Einsätze, wenn du danach nicht in den Top 30 bist, bist du weg!›»
In Gröden rettete er seine Karriere
Die erste Chance bekam der damalige Mädchenschwarm vom «eisernen Karl» in Val-d'Isère. «Aber weil es im Verlaufe dieser Abfahrt immer heftiger gewindet und geschneit hat, bin ich mit meiner 60er-Startnummer weit an den Punkterängen vorbeigefahren.»
Eine Woche später ging Cathomen in Val Gardena mit der 57 ins Rennen. Bei besten Bedingungen. Resultat: Rang 15! «Mit dieser Platzierung habe ich die geforderte Klassierung in den Top 30 vom Abfahrts-Ranking fixiert und meine Karriere war gerettet!»
Kuhfladen in der Ciaslat
14 Monate später hat der gelernte Automechaniker seine Biografie mit dem zweiten Platz bei der WM-Abfahrt in Schladming versilbert. Den ersten von zwei Weltcupsiegen hat er im darauffolgenden Winter eingefahren. Wo? Natürlich in Gröden. Cathomen triumphierte vor den beiden Österreichern Erwin Resch und Franz Klammer.
«Ich habe an diesem Tag auf der Saslong genau die Bedingungen vorgefunden, die ich am meisten geliebt habe», erinnert sich Cathomen. «Die Piste war pickelhart und mit vielen Wellen bestückt. Wirklich genau mein Ding! Wenn es Neuschnee gegeben hätte, wäre ich in den langen Gleitpassagen chancenlos gewesen, weil ich lediglich 75 Kilo auf die Waage gebracht habe.» Zu viel Schnee hatte es zu Cathomens Glück in Gröden praktisch nie gegeben. «Manchmal war die Schneedecke derart dünn, dass man in der Ciaslat unter den Eisblasen die Kuhfladen erkennen konnte …»
Riesenärger mit Müller
Das Zimmer hat sich Cathomen in dieser Phase mit dem Waadtländer Silvano Meli geteilt. Beide gehörten nie zum Freundeskreis von Peter Müller. Und wegen der kollektiven Wut auf den Team-Leader (24 Einzelweltcupsiege) haben sich im Mannschaftshotel sogar lebensbedrohliche Szenen ereignet. «Meli war nicht nur eine talentierter Abfahrer, er war auch ein exzellenter Karatekämpfer», erzählt Karl Frehsner. «Eines Abends kam Silvano zu mir und sagte: ‹Wenn der Müller Conradin und mich noch länger provoziert, werde ich ihn schlagen. Und ich kann nicht versichern, dass er dann jemals wieder aufstehen wird.›» Zum Glück hat Müller danach seine Ruhe gegeben – zumindest für einen Moment.
Viele Jahre später hat der Abfahrt-Weltmeister von 1987 Cathomen noch einmal richtig wütend gemacht. Warum? «Pitsch hat in einem Interview mit dem Tagesanzeiger angedeutet, dass ich ihm in die Ski-Schuhe gepinkelt hätte. Es ist eine Sauerei von Müller, so etwas zu behaupten. Die Wahrheit ist, dass ich ihm nie in die Schuhe gepinkelt habe.»
Rückkehr nach Gröden
Fakt ist auch, dass Cathomen eine eindrückliche Karriere nach der sportlichen Laufbahn gemacht hat. Und zwar als Headhunter. In dieser Woche weilt der zweifache Familienvater wieder an dem Ort, wo sein sportliches Märchen vor vier Jahrzehnten begonnen hat. Cathomen fährt in Gröden mit seiner Lebensgefährtin Ski und wird natürlich auch den beiden Abfahrten (Donnerstag und Samstag) und dem Super-G (Freitag) beiwohnen.