1. Seit Carlo Jankas Sieg am 5. März 2011 in Kranjska Gora hat nie mehr ein Schweizer Mann vom Podest eines Weltcup-Riesenslaloms gegrüsst. Wird sich das in diesem Winter ändern?
Ja! Zurzeit fungiert mit Justin Murisier zwar nur ein Ski-Genosse in den Top-15 der Riesen-Weltrangliste, aber mit dem im Wallis wohnhaften Neuenburger Loic Meillard besitzen wir das grösste Technik-Talent der Ski-Welt. In Kranjska Gora war der 21-Jährige in der Vergangenheit bereits Achter und Zehnter, jetzt ist der Big Brother von Slalom-Kücken Melanie reif für den ganz grossen Coup. Keine Siege, aber Top-10 Ränge darf man von Marco Odermatt und Gino Caviezel erwarten. Vor allem Caviezels Fahrstil kommen die neuen Riesenslalom-Ski (der Radius wurde von 35 auf 30 Meter reduziert) entgegen.
2. Wird Marcel Hirscher den Gesamtweltcup zum siebten Mal in Serie gewinnen?
Nein. Der Österreicher ist nach seinem Fussbruch im Sommer noch ein ganzes Stück von seiner Top-Form entfernt und muss beim Saison-Auftakt zuschauen. Deshalb dürfte der Gewinn der grossen Kristallkugel in diesem Winter über den Franzosen Alexis Pinturault und die beiden Norweger Henrik Kristoffersen und Kjetil Jansrud führen. Die Schweizer werden im grossen Kugel-Krimi höchstens eine Nebenrolle interpretieren.
3. Wer gewinnt am 20. Januar in Kitzbühel die schwierigste Abfahrt der Welt?
Beat Feuz. Der Abfahrts-Weltmeister fuhr im letzten Winter auf der «Streif» in einer eigenen Liga, bis er am Hausberg kurz vor dem Ziel im Fangzaun gelandet ist. Dass wird dem genialen Emmentaler nicht noch einmal passieren, zumal er sich vor ein paar Wochen mit seinem Jugend-Idol Stefan Eberharter während einer Runde Golf über die ideale Linienwahl unterhalten hat. Und Eberharter hat bei seinem Hahnenkamm-Sieg 2004 über den Hausberg eine Linie gefunden, die von Experten bis heute als bester «Streifzug» der Geschichte taxiert wird.
4. Wie heissen unsere grössten Olympia-Hoffnungen bei den Männern?
Bei der Olympia-Hauptprobe im Februar 2016 hat Carlo Janka auf der von Bernhard Russi designten Strecke den perfekten Lauf erwischt - der Bündner knöpfte dem zweitplatzierten Christof Innerhofer acht Zehntel ab. Ob Janka nach seinem in dieser Woche erlittenen Kreuzbandriss am rechten Knie bis zur Eröffnungsfeier am 9. Februar Fit wird, ist unklar. Gute Erinnerungen mit dem Olympia-Berg in Jeongseon verknüpft aber auch Beat Feuz, der bei der Hauptprobe nur vier Monate nach einem Achillessehnenriss praktisch ohne Training auf den fünften Abfahrts-Rang donnerte. Medaillen-Chancen haben auf der mit vielen Kurven bestückten Piste auch Mauro Caviezel und Patrick Küng. Und dass Luca Aerni ein Mann für die ganz grossen Ereignisse ist, hat der Berner mit Walliser Wurzeln ja im letzten Winter mit Gold in der WM-Kombination bewiesen.
5. Wer ist der härteste Arbeiter im Schweizer Männer-Team?
Gilles Roulin. Der Zürcher Oberländer absolviert neben dem Skirennsport ein Jura-Studium. Im letzten Winter hat er an einem Freitag einen Europacup-Riesen in Val-d’Isère bestritten, am Samstag eine Prüfung in Freiburg geschrieben und am Sonntag einen Europacup-Super-G in Meribel gewonnen. Sein Zimmerkollege Marc Gisin ist beeindruckt: «Gilles Pensum ist wirklich der absolute Wahnsinn, bei ihm ist wirklich jeden Tag, jede Minute verplant. Nach dem Ski-Training büffelt er nach einer kurzen Pause für sein Studium und absolviert dann auch noch die härtesten Konditions-Einheiten, die man sich vorstellen kann!» Roulin hat sich im Vorjahr mit dem Europacup-Sieg einen Fix-Platz im Weltcup gesichert.
6. Holt die Schweiz mehr Olympia- als WM-Medaillen (7)?
Kaum. In St. Moritz schnitten die Skigenossen überdurchschnittlich (7 Medaillen in 11 Rennen) ab, wenn man ihre Ausbeute mit der Weltcupsaison (23 Podestplätze in 73 Rennen) vergleicht. Immerhin darf man sagen: Wer den Druck einer Heim-WM aushält, ist auch für Olympia gewappnet. Der Killerinstinkt ist also da. Und: Bei der WM musste Lara Gut nach dem Super-G (Bronze) und der Hälfte der Kombi (sie verletzte sich beim Einfahren für den Slalom schwer) bereits wieder abreisen. Ist sie in Pyeongchang fit, kann die Tessinerin in bis zu vier Disziplinen Medaillen gewinnen.
7. Welche Swiss-Ski-Athletin wird überraschen?
Mélanie Meillard (19) ist trotz fünf Top-10-Plätzen in der letzten Saison noch lange nicht an ihrem Zenit angelangt. Konditionell ist die Katzen-Liebhaberin noch besser, dazu hat sie neben einem unglaublichen Ski-Gefühl auch die Prise Lockerheit, die es braucht. «Cool» ist eines ihrer Lieblingswörter – und genau so unbeschwert fährt sie auch. Wetten, dass die im Wallis wohnende Neuenburgerin in diesem Winter aufs Podest fährt?
8. Kann überhaupt jemand Mikaela Shiffrin stoppen?
In Bezug auf den Gesamtweltcup wird es schwierig. Lara Gut und Anna Veith (Ö) kehren von schweren Verletzungen zurück. Dazu hat sich mit Ilka Stuhec (Sln) mit einem Kreuzbandriss vom Winter verabschiedet. Der Gesamtweltcup dürfte an Shiffrin gehen. Sofia Goggia (It) fährt zwar in drei Disziplinen stark, das Energiebündel aus Bergamo riskiert aufgrund ihrer Fahrweise aber oft Stürze. Und bei Olympia? Das ist auch das 22-jährige Wunderkind Shiffrin nicht vor Fehltritten gefeit.
9. Holt sich Wendy Holdener endlich ihren ersten Slalom-Sieg?
Bei sechs von neun Weltcup-Slaloms stand die Kombi-Weltmeisterin in der letzten Saison auf dem Podest. Ihr erster Sieg ist also nur eine Frage der Zeit – zumal Holdener ohne Probleme durch den Sommer gekommen ist. Bloss: Shiffrin muss dafür auch mal patzen. Im letzten Winter schied das US-Girl in 9 Rennen (6 Siege) nur ein einziges Mal aus. Genauer: In Zagreb (Kro). Doch genau da erwischte es auch Holdener. Das muss nicht mehr geschehen.
10. Ist Lindsey Vonn wirklich schneller als die Männer?
Nein. Zumindest nicht im Vergleich mit den Top-Abfahrern. Dass die Speed-Queen aus den USA sich trotzdem in einem Wettkampf (nicht vor der Saison 2017/18) mit ihnen messen will, ist nur etwas: Show. Würde dieser nicht auf der «Autobahn» von Lake Louise (Ka) stattfinden, würde Vonn ganz alt aussehen. Bei den meisten Athleten und Trainern kommt der Wunsch der 77-fachen Weltcupsiegerin alles andere als gut an.
11. Wie stark ist Lara Gut nach ihrer Verletzung?
«Ich bin jetzt eine Frau und kein Kind mehr», sagte Gut nach überstandenem Kreuzbandriss an ihrer Comeback-PK. Ihre neue Reife wird sich positiv auf die Karriere auswirken. Dass sie in Sölden startet, zeugt zudem von einem perfekten Heilungsverlauf und einer Blitz-Reha, die ihresgleichen sucht. Am Rettenbachgletscher hat Gut nichts zu verlieren, sie will einfach das Renn-Feeling zurückgewinnen. «Einen Löwen kann man nicht zähmen», schreibt sie auf Twitter. Bleibt zu hoffen, dass sie letztlich nicht überpowert. Noch fehlen der Tessinerin Trainingskilometer. Aber: Physisch und technisch dürfte sie bereits wieder bärenstark sein. Kommt sie ohne Patzer durch, ist ein Podestplatz möglich.