Im Wallfahrtsort Einsiedeln herrscht eine hochexplosive Stimmung. Die ländliche Idylle wird von der Sirene und dem Blaulicht des Polizeiautos gestört, weil auf der Kantonalbank-Filiale soeben Bombenalarm ausgelöst wurde.
Drei hochkarätige Sportler verfolgen diesen Krimi vom Parkplatz der Sprungschanzen-Anlage aus: der vierfache Olympiasieger Simon Ammann (35), Schwingerkönig Nöldi Forrer (37) und Andi Ulrich (30), im Vorjahr Sieger beim Rigi-Schwinget.
Forrer legt seinen Arm auf Ulrichs Schulter und posaunt: «Falls wir unsere Aktion mit Simon überleben, können wir beide ja danach auf der Bank für Ruhe und Ordnung sorgen.» Ulrich quittiert diesen Vorschlag mit einem leicht gequälten Lächeln – den Schwyzer Spitzenschwinger bringt die von Nöldi angesprochene Aktion mit Simon Amann enorm ins Schwitzen.
Wie Forrer will Ulrich von Ammann betreut den Sprung über die 28-Meter-Schanze wagen. Aber der Riesen-Töter (180 cm, 100 kg), der beim letzten Eidgenössischen im Kampf um den dritten Rang den 14 Zentimeter grösseren und 17 Kilo schwereren Forrer aufs Kreuz gelegt hat, fühlt sich schon vor dem Gang hinauf zur Mini-Schanze nicht wohl. «Simon hat mir einen Sprunganzug gegeben, der für meinen Körper eher knapp bemessen ist. Ich habe brutal heiss in diesem Ding!»
Forrer hat es diesbezüglich – dank seinen überdurchschnittlichen Körpermassen – ein bisschen einfacher. Er passt in den unbequemen Sprunganzug gar nicht rein. Für den Toggenburger gibt es auch keine passenden Sprungschuhe. Das grösste Sprungschuhmodel auf dem Markt ist mit der Nummer 48 versehen, Nöldi trägt aber Schuhgrösse 52.
Deshalb kann er im Gegensatz zu Ulrich die Mutprobe mit seinem gewohnten Skischuhwerk und herkömmlichen Alpin-Latten springen. Trotzdem wird auch der 142- fache Rekordkranzer bei jedem Schritt in Richtung Absprung-Balken nervöser. Beim Blick auf den Schanzen-Tisch fragt er seinen Edel-Trainier Ammann mit Angst geschwängerter Stimme: «Wie hoch wird mein Tempo sein, wenn ich am Absprungpunkt ankomme?»
Simon antwortet staubtrocken: «Es bringt rein gar nichts, wenn ich dir das jetzt sage – du wirst in diesem Moment dann sowieso nicht mehr bremsen können...»
Mit entsprechend hohem Puls setzt sich der sonst so coole Nöldi auf den Absprung-Balken. Dann gehts los!
Auf ein kräftiges Abstossen verzichtet Forrer, er zittert sich regelrecht in die Keramik-Spur und kommt deshalb auch mit geringem Tempo zum Schanzentisch – ein Sprung von knapp zehn Metern ist das Ergebnis. Nach einer problemlosen Landung schreit Nöldi erleichtert zu Andi hinauf: «Das ist ja überhaupt kein Problem, Schwingen mit dem Stucki Chrigel ist viel gefährlicher...»
Ulrich schüttelt den Kopf: «Nöldis Sprung war wirklich rein gar nichts!» Im breiten Gersauer Dialekt erklärt Andi, wie man es richtig macht: «Mä muess uf der chlinä Schanzä viel chächer afahrä als der Nöldi!»
Tatsächlich schiebt sich Ulrich trotz den ungewohnt wackligen und langen Sprung-Ski sehr viel «chächer» vom Absprung-Balken weg als Nöldi. Aber auch er landet nach ungefähr zehn Metern und im Auslauf wirft es den siebenfachen Kranzfestsieger platt auf den Rücken.
Was ist schief gelaufen? Ulrich ist auch bei der Beantwortung dieser Frage überfordert: «Ich habe mich so sehr auf den Absprung konzentriert, dass ich mich danach an nichts mehr erinnern kann.» Ulrich weiss in diesem Moment nur eines: Er will jetzt noch ein Sprung oben drauf setzten. Und zwar von der 50-Meter-Schanze.
Kollege Forrer hat den gleichen Plan und markiert erneut den Vorspringer. Im Gegensatz zu seinem Jungfern-Hüpfer auf der Kinderschanze stösst er sich jetzt richtig mutig ab und springt fast dreissig Meter weit. Ammann ballt auf dem Trainer-Turm die Faust: «Dieser Sprung bewiest, dass jeder Toggenburger zum Skispringen geboren ist – da gibt es technisch wirklich fast nichts auszusetzten.»
Aber in Ulrichs Augen war Nöldis zweiter Sprung jetzt fast ein bisschen zu «chäch» – er verkürzt den Anlauf um zwei Luken.
Ammann nimmt ihn noch einmal ins Gebet: «Andi, denk bitte daran: Du musst nach der Landung im Auslauf auf die Ski-Enden absitzen. Nur so kannst du auf dem Gras sauber bremsen. Genau das war nach deiner Landung das Problem.»
Absprung und Landung gelingen erneut perfekt und Andi setzt sich danach auch wie von Ammann gefordert sauber auf die Ski-Enden. Dummerweise steht er aber erneut vor dem totalen Stillstand auf und deshalb spickt es ihn zum zweiten Mal Kopfvoran auf den Rasen.
Der Körper des furchtlosen Landwirts bleibt aber unversehrt und am Ende gibts ein Lob von Meister Ammann: «Ihr seid beide unerschrocken auf die Schanze los gefahren und habt bezüglich Absprung und Landung technisch sehr saubere Sprünge gezeigt – Bravo!»
In der Zwischenzeit hat sich übrigens auch die explosive Stimmung in der Kantonalbank entschärft. Der unter Bombenverdacht sehende Gegenstand im «Güsel-Chübel» hat sich bei der Prüfung des Wissenschaftlichen Forschungsdienstes als verpackter Abfall entpuppt ...