Dem ersten Kapitel in Christian Stuckis Lebensgeschichte fehlt die ganz grosse Pointe – als der Chrigeli am 10. Januar 1985 im Berner Seeland das Licht der Welt erblickt, entspricht er mit 52 Zentimetern und vier Kilo bezüglich den Körpermassen einem helvetischen Durchschnitts-Baby.
Doch ab dem neunten Lebensjahr entwickelt sich der Sohn der Briefträgerin Daniela und vom ehemaligen Kranzschwinger Willy zumindest in körperlicher Hinsicht abnormal. An seinem zehnten Geburtstag ist Chrigu 170 cm gross und hat Schuhgrösse 44. Weil er ein Jahr später auch seinen Vater Willi überragte, trägt der Senior die Klamotten weiter, die dem Junior zu klein geworden sind.
Fussball-Karriere mit 14 beendet
«Die Wanderschuhe, die ich dem elfjährigen Chrigu für eine Schulreise gekauft habe, hat mein Mann danach zehn Jahre lang ausgetragen», erzählt Mama Daniela. In dieser Zeit macht Stucki nicht nur als talentierter Jungschwinger, sondern auch als Kopfball-Ungeheuer beim FC Diessbach auf sich aufmerksam. Mit 14 muss er seine Fussball-Karriere aber beenden, weil sein Fuss auf die Grösse 51 angewachsen ist. Und in dieser Grösse gibt es Ende der 90iger Jahre in der Schweiz keine Fussball-Schuhe.
Umso mehr Gas gibt der Big Foot im Sägemehlring. Mit 16 feiert er als Forswart-Lehrling am Seeländischen seinen ersten Kranzgewinn, mit 19 gewinnt er den Berg-Klassiker am Schwarzsee. Und nachdem der mittlerweile 2008 am Kilchberger erstmals bei einem Wettkampf mit Eidgenössischem Charakter gewinnen konnten, waren sich die Experten einig: Stucki wird schon bald Schwingerkönig.
Weil der mittlerweile 198 cm lange, 150 Kilo schwere Gigant bei den drei letzten Eidgenössischen Schwingfesten seine Widersacher in den entscheidenden Momenten aber oft zu sanft angepackt, ist die Königs-Krone noch nicht in der Vitrine von seinem Einfamilienhaus in Lyss.
«Bin doch nicht so ein komischer Vogel»
Dass er jetzt aber in königlicher Manier den Unspunnen gewonnen hat, ist nicht zuletzt das Verdienst vom Ex-Bob-Pilot Tommy Herzog. Der renommierte Athletik-und Mental-Trainer arbeitet seit Mai mit Stucki zusammen. «Tommy hat in den Gesprächen mit mir die richtigen Worte gefunden, damit es in meinem Hirn klick gemacht hat», sagt Chrigu. Anders ausgedrückt: Herzog hat im sanften Riesen den bösen Bären geweckt.
Zumindest auf dem Schwingplatz. Daheim bei seiner Frau Cécile und den Buben Xavier (4) und Elia (2) zeigt sich Chrigu ausnahmslos von seiner gefühlvollen Seite. «Ich kann mir als Mann und Vater meiner Kinder keinen besseren vorstellen als Chrigu», sagt Cécile und drückt ihrem Unspunnen-Helden einen dicken Schmatz auf die Lippen.
Chrigu grinst wie ein grosser Spitzbub: «Bevor Cécile und ich 2010 zusammen gekommen sind, hat sie mich ein paar Mal abblitzen lassen. Sie hat rund drei Jahre gebraucht um zu merken, dass ich doch nicht so ein komischer Vogel bin, wie sie anfänglich glaubte.» Mensch Stucki, du bist wirklich ein ganz Grosser.