Die Diskussion ist so alt wie der Boom im Schwingen. Verliert unser Nationalsport seine Unschuld? Geht der Geist des Schwingens, der respektvolle Umgang, diese exemplarische Fairness und dieser bodenständige Bezug zur heimischen Scholle im grossen Trubel verloren?
Und immer, wenn ein Fest mit eidgenössischem Charakter auf der Agenda steht, keimt die Diskussion wieder auf. So auch jetzt vor dem Jubiläumsschwingfest in Appenzell.
Die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens macht die bangen Fragen zum Thema und ist auf der Suche nach kritischen Stimmen fündig geworden. Ausgerechnet die Medien geisseln eine Entwicklung, die sie selber vorangetrieben haben und von der sie profitieren.
Die Doppelmoral schreit zum Himmel. Das SRF überträgt mittlerweile jedes grössere Fest in stundenlangen Livesendungen und schwimmt zuoberst auf der Erfolgswelle. Auch Blick und SonntagsBlick haben ihre Berichterstattung über das Schwingen in den letzten 15 Jahren massiv ausgebaut.
Die Kritik ist wenig glaubwürdig
Muss man jetzt am Ast sägen, auf dem man selber sitzt?
Natürlich nicht. Weil es dazu auch keinen Anlass gibt. Wenig glaubwürdig ist auch, wenn die Schwinger selber die zunehmende Kommerzialisierung geisseln. Waren es nicht sie selber, die auf die Lockerung des Werbeverbots gedrängt haben, um mehr Einnahmen zu erzielen und damit die Professionalisierung der eigenen Karriere voranzutreiben? Sind es nicht die Schwinger, die zunehmend und zu Recht auch Forderungen an die Infrastruktur der Feste haben? Auch hier greift die galoppierende Doppelmoral um sich.
Und was, um Himmels willen, wettert man gegen sogenannte «Modefans»? Es ist arrogant, wenn man jetzt erwartet, dass jemand einen Brienzer von einem Wyberhaken unterscheiden können muss, damit er sich an den Sägemehlrand setzen darf. Jahrzehntelang hat man das Brauchtum in einem engen Zirkel gepflegt. Und hat jahrelang um eine Öffnung und das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit gekämpft.
Fan-Diskussion ist Blödsinn
Und jetzt sind die Massen da. Und es ist auch wieder nicht recht. Doppelmoral! Die Diskussion um «Modefans» ist nichts weniger als ein Blödsinn. Die Sportart, die Fans den Zutritt verwehrt und ihre Entwicklung selber begrenzt, die muss erst erfunden werden.
Steht das Schwingen am Scheideweg? Nein. Die Entwicklung ist in weiten Teilen weiterhin grossartig. Natürlich: Die Einnahmen der Schwinger sind auf 3,2 Millionen im Jahr gewachsen. Zieht man hier aber die Beträge für die drei, vier absoluten Topcracks ab, dann ergibt sich für den Rest durchschnittlich eine Entschädigung, für die ein Fussballer in der Challenge League nicht einmal die Schuhe bindet.
Natürlich gibt es ab und zu Pfiffe, die nicht angebracht sind. Natürlich wird etwas überschwänglich gejubelt, wo der Jubel eher irritierend ist. Und natürlich gibt es im Überschwang des Booms auch den einen oder anderen jungen Schwinger, der etwas divenhafte Starallüren entwickelt.
Aber Vergleiche zum überdrehten Fussballbusiness zu bemühen, ist viel zu weit hergeholt.
Solange nicht die ersten Böller und Petarden aus dem Sektor der Berner in den Sektor der Innerschweizer fliegen und solange der Parkplatz vor dem Schwingplatz nicht mit Ferraris und Porsches zugeparkt ist, ist schwingerische Gelassenheit angesagt.