Lieber Mättu
Du hast mich ja schon in der Vergangenheit im Sägemehl ein paar Mal auf dem falschen Bein erwischt. Aber jetzt hast du mich mit deinem Rücktritt wirklich total überrascht. Ich bin bis gestern fest davon ausgegangen, dass du mindestens bis zum nächsten Eidgenössischen im kommenden Sommer in die Zwilchhosen steigst. Aber ich habe ja auch nicht gewusst, dass du neben den Rückenproblemen nun auch noch von einem Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich geplagt wirst. Deshalb kann ich mit etwas Abstand sagen, dass du alles richtig gemacht hast. Du hast in unserem Sport ja fast alle grossen Titel gewonnen.
Im Gegensatz zu mir darfst du dich Schwingerkönig nennen. Am Unspunnen hast du, anders als ich, zwar nie gewonnen. Aber diese Scharte hättest du wahrscheinlich sowieso nicht mehr auswetzen können, schliesslich findet der nächste Unspunnen-Schwinget in Interlaken erst in fünf Jahren statt.
Deshalb ist dein Rücktritt nach der jüngsten Diagnose deines Arztes ganz sicher die einzig richtige Entscheidung. Denn hättest du unter diesen Voraussetzungen weitergemacht, hättest du eine noch gröbere Erkrankung riskiert. Ein solches Abenteuer hätte vielleicht sogar im Rollstuhl enden können. Aber jetzt kannst du mit hoch erhobenem Haupt abtreten.
Und ich denke zurück an viele ganz besondere Momente, die ich in den letzten fast drei Jahrzehnten mit dir erleben durfte. Wenn ich mich richtig erinnere, sind wir uns erstmals im Frühling 1993 an einem Buebe-Schwinget begegnet. Ich kann dir nicht mehr sagen, wer damals gewonnen hat. Ich weiss aber, dass ich dir körperlich überlegen war. Durch die zahlreichen Duelle an Jungschwinger-Tagen sind wir uns auch menschlich nähergekommen. Ich habe ein paar Mal in deinem Elternhaus auf dem Sofa übernachtet, nachdem wir beide im Ausgang die Nacht zum Tag gemacht haben. Legendär ist unsere Fasnachtsparty in den frühen 2000er-Jahren, bei der ich als Frau verkleidet aufgetreten bin.
Im Sport sind wir uns auf eidgenössischer Ebene nichts schuldig geblieben. Ich durfte mich 2008 nach dem gestellten Schlussgang mit dir als Kilchberg-Sieger feiern lassen, du hast 2013 nach dem Schlussgang-Sieg gegen mich den Thron erobert. Der «Muntsch», den ich dir in diesem Moment auf die Stirn gesetzt habe, ist ein Beleg dafür, dass unsere Freundschaft nie unter unseren intensiven Zweikämpfen im Sägemehl gelitten hat. Genervt hast du mich in all den Jahren eigentlich nur dann, wenn du auf gemeinsamen Autofahrten nur Jodel-Lieder hören wolltest, während ich mir lieber Rockmusik reingezogen hätte.
Aber zusammenfassend darf ich sagen: Mättu, äs isch geil gsi mit dir.
Dein Chrigu