Matthias Glarner, Sie sind der neue König im Land. Was für eine Schweiz wünschen Sie sich in ihrem ersten Amtsjahr?
Matthias Glarner: Eigentlich habe ich gar nicht viel auszusetzen. Ich empfinde es jeden Tag als grosses Privileg, in diesem Land leben zu dürfen. Wir sitzen hier an der Sonne auf einem Berg inmitten der Alpen. Ich lebe und arbeite da, wo andere Leute viel Geld dafür zahlen, dass sie hier Ferien machen können.
Was gefällt Ihnen denn so gut an der Schweiz?
Alles. Ich kann studieren, arbeiten, Sport treiben, meine Meinung frei äussern. Alles, was wir als selbstverständlich empfinden. Aber was in anderen Teilen der Welt überhaupt nicht selbstverständlich ist.
Aber die Welt ist in Aufruhr. Und man hat das Gefühl, der Terror komme immer näher.
Das verfolge ich natürlich auch und es gibt mir auch zu denken. Der jüngste Anschlag in Berlin hat auch mich erschüttert. Wichtig scheint mir, dass wir nicht in Angst erstarren und unser gewohntes Leben fortführen.
Im Haslital ist die Welt ja noch in Ordnung, oder?
Es ist sicher so, dass unser Zusammenleben auf dem Land etwas beschaulicher ist. Und wir gewisse Probleme der grossen Städte nicht haben. Auf der anderen Seite: Eine für uns fremde Welt kann sehr schnell sehr nahe kommen.
Was empfiehlt der König? Soll sich die Schweiz mehr abschotten?
Ich bin grundsätzlich für eine offene Schweiz. Man kann nicht in die Karibik in die Ferien fahren und gegen alles Fremde wettern. Man kann nicht Privilegien geniessen und nichts dafür tun. Diese Doppelmoral stört mich.
Aber Sie sind, wie die meisten Schwinger, ein Patriot?
Ein gesunder Patriotismus ist gut. Das ist ja auch nicht nur in der Schweiz so. Das erlebt man überall. Immer mehr.
Die Schwinger müssen ja herhalten, für das Klischee der heilen Schweiz. Stört Sie das?
Nein. Die Werte, die wir Schwinger leben und vertreten, haben ja eine grenzüberschreitende Komponente. Und das Schwingen hat sich ja geöffnet und ist aufgeschlossener geworden. Das war früher ein engerer Zirkel.
Es gibt jetzt Akademiker wie Matthias Glarner.
Ich habe einmal Polymechaniker gelernt. Und erst später studiert. Akademiker oder Mechaniker, das tönt doch beides gleich.
Aber ein Studium ist für einen Schwinger ungewöhnlich.
Nein, das gab es immer. Ernst Schläpfer, Daniel von Euw, Guido Thürig, Torsten Betschart. Da kommen mir ganz viele Namen in den Sinn. Auch wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft.
Wenn die Schwinger ein Querschnitt der Gesellschaft sind, dann müsste es eigentlich auch homosexuelle Schwinger geben.
Das wird es wohl geben. Jeder wie er will. Aber ich kenne bei den Schwingern keinen.
Was sind denn eigentlich diese viel zitierten Schwingerwerte?
Nichts Aussergewöhnliches. Fairness, Fleiss, ein respektvoller Umgang, eine gewisse Bescheidenheit. Und ein traditionelles Kulturgut pflegen.
Nach dem Gewinn des Königstitels hatte man den Eindruck, als sei das Interesse an Kilian Wenger und Matthias Sempach grösser gewesen bei deren Titelgewinn. Sind Sie ein leiser König ohne Volk?
Ich bin kein spektakulärer Typ. Und bin ja lange im Schatten dieser grossen Namen gestanden und habe das Rampenlicht nie gesucht. Zudem bin ja auch einige Zentimeter kleiner als Wenger und Sempach. Das höre ich immer wieder: Ich hätte mir den Schwingerkönig grösser vorgestellt.
Aber schwer waren Sie ja schon immer. Sonst wären Sie wohl Fussballer geworden, wie ihr Bruder Stefan.
Ja. Ich war mit 17 Jahren schon 110 Kilo schwer. Mein Bruder Stefan hat die Gene der Familie Glarner. Eher zäh und «gädrig». Ich habe die Gene meiner Mutter und die Figur der Familie Anderegg. Der Grossvater Anderegg war ein Haslitaler Kraftpaket. Er war Landwirt. Ihm haben wir zum 70. Geburtstag Hosen geschenkt. Die sind mir heute noch zu gross. Und mein Cousin Simon Anderegg ist ja auch von kräftiger Statur.
Hätten Sie denn Talent für den Fussball gehabt?
Nein. Bei mir sah das immer komisch aus. Ich musste im Gegensatz zu meinem Bruder Stefan jeden Trick stundenlang üben. Ich bin auch im Schwingen kein grosses Talent. Ich habe mir alles erarbeitet.
Der Büezer im Sägemehl?
Ja. Ich war nie der Spektakelschwinger. Darum war der Gewinn des Königstitels für mich so eine grosse Genugtuung. Der Lohn für 14 Jahre harte Arbeit.
Hat sich ihr Alltag stark verändert?
In gewissen Bereichen schon. Der Königstitel hat schon eine riesige Strahlkraft. Es gibt immer wieder Momente und Erlebnisse, in denen mir bewusst wird, welch ein exklusiver Kreis das ist. Es gibt noch 13 lebende Schwingerkönige. Die lade ich jetzt dann alle mal für einen Skitag nach Meiringen ein. Ich muss ja noch meinen Einstand zahlen.
Das wird ja drinliegen. Der Königstitel bringt eine Million, heisst es.
Das Geld steht nicht im Vordergrund. Ich arbeite weiter bei den Bergbahnen Hasliberg. Und ich habe allen meinen bisherigen Partnern und Sponsoren die Treue gehalten. Denen kann ich jetzt etwas zurückgeben. Und bei neuen Partnern habe ich sehr darauf geachtet, dass es auch zu mir passt.
Zum Beispiel?
Adelbodner Mineralwasser. Oder Glarner Schabziger. Ein Naturprodukt, dass so heisst wie ich. Es ist die älteste eingetragene Marke der Schweiz. Früher sind die Zigermandli noch von Tür zu Tür gegangen und haben ihr Milchprodukt verkauft. Ich habe mir die Molkerei angeschaut und habe mit den Angestellten geredet. Dieses Produkt passt perfekt zu mir.
Kommt eigentlich der Name Glarner aus Glarus?
Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Es müsste wohl so sein, aber ich weiss es nicht genau. Irgendwann möchte ich dies Ahnenforschung aber noch machen.
Heisst Ihre Freundin Claudia auch bald Glarner?
Da ist noch nichts geplant.
Aber irgendwann erleben wir wieder ein königliches Hochzeitsfest?
Das wird wohl so sein.
Wo haben Sie Claudia eigentlich kennengelernt?
Sie war Ehrendame beim Berner Kantonalen 2008. Ich habe dann geschaut, dass ich mit einem Kollegen tauschen konnte und sie mir den Kranz auf den Kopf gelegt hat. So gesehen basiert unsere Beziehung also auf einem «Bschiss».
Wie haben sie Silvester gefeiert?
Im Bett, wie meistens.
Wie bitte?
Wir vertreiben im Haslital in der Altjahrswoche die bösen Geister. Fünf Nächte laufen da verschiedene Treichelzüge durchs Dorf. Ich bin beim Treichelzug Meiringen. Ubersitz nennen wir das. Da sind die Restaurants 24 Stunden offen. Das ist für uns wie die Fasnacht für die Basler. Es dauert vom 26. bis zum 30. Dezember. Und an Silvester sind alle müde.
In diesem Jahr steht der Unspunnen-Schwinget auf dem Programm. Das nächste grosse Ziel?
Natürlich möchte ich auch da ganz vorne mitmischen. Jörg Abderhalden ist ja der Letzte, der als amtierender König den Unspunnen gewonnen hat. Aber es gibt noch andere Ziele.
Welche?
Beispielsweise einmal vor meiner Haustüre den Brünig zu gewinnen. Da habe ich schon zwölfmal den Kranz geholt und stand dreimal im Schlussgang. Zum Sieg hat es noch nie gereicht. Ich plane jetzt mal für die nächsten drei Jahre, bis zum Eidgenössischen in Zug.
Aber die nächste Generation drängt an die Spitze.
Ja. Leute wie Armon Orlik und Samuel Giger schwingen überragend. Auch Remo Käser oder Pirmin Reichmuth. Es kommt da jetzt einfach drauf an, wer von denen in den nächsten Jahren härter arbeitet.
Und verletzungsfrei bleibt?
Ja. Aber das ist auch nicht nur Zufall. Man muss richtig trainieren und sich richtig ernähren. Im Krafttraining habe ich auch Fehler gemacht. Das ist nicht einfach Bodybuilding wie früher. Ein guter Athletiktrainer ist von grosser Bedeutung.