In der Chamer Allmend erinnert inmitten von modernen Wohnblöcken ein prächtiges Holzhaus an die bäuerliche Vergangenheit in diesem Quartier. In diesem heimeligen Zuger-Huus sind zwar auch keine Kühe mehr im Stall, aber Pirmin, mit zwanzig Lenzen der älteste Sohn des Hauses, gehört heute am Zuger Kantonalen in Hüneberg zu den heissesten Anwärtern auf den Siegermuni Timo.
Pirmin steht in der Küche und schaut verträumt zum Fenster hinaus. Von hier aus kann er den Platz erspähen, auf dem er sich vor bald zwei Jahren mit der Schlussgang-Qualifikation am Innerschweizerischen einen Bubentraum erfüllt hat. Am 6. Juli 2014 bringt der 198 cm lange «Spargeltarzan» mit den vergleichsweise dünnen Beinen sogar den 130 kg schweren Unspunnen-Champion Dani Bösch in Rücklage, ehe er im Endkampf von Reto Nötzli gestoppt wird. Ab diesem Zeitpunkt nimmt diese so traumhaft lancierte Karriere einen alptraumhaften Verlauf. Auf der Rigi bleibt Reichmuth eine Woche danach nach dem Zweikampf mit dem Solothurner Bruno Gisler mit schmerzverzerrter Miene im Sägemehl liegen. Diagnose: Kreuzbandriss am rechten Knie. Sechs Monate später nimmt Pirmin das Training wieder auf und stolpert in einer der ersten Einheiten im Schwingkeller schon wieder über den Verletzungsteufel – rechts ist ein Kreuzband schon wieder futsch!
In dieser Zeit hängt die Fortsetzung von Reichmuths Schwinger-Laufbahn an einem seidenen Faden: «Wenn mein Kreuzband ein drittes Mal kaputt gegangen wäre, hätte ich aufgehört zu schwingen. Vielleicht wäre ich dann Kugelstösser geworden.»
Königlicher Rat: «Mindestens 7 Stunden schlafen»
Doch weil der intelligente Jüngling in seiner zweiten Reha aus den Fehlern vom ersten Comeback-Versuch gelernt hat, wirft er jetzt wieder starke Männer statt Kugeln durch die Luft. «Nach der ersten Verletzung habe ich im Training viel zu früh Vollgas gegeben. Beim zweiten Mal habe ich bis im letzten Februar gewartet, bis ich im Schwingkeller erstmals wieder ans Limit gegangen bin. Zudem habe ich meine Schwingweise etwas verändert. Den Brienzer Rückwärts, der sich mit seinen Drehungen verheerend auf das Knie auswirken kann, wende ich heute nicht mehr an.»
Diese vernünftige und geduldige Denkweise hat sich für den einstigen Jungen Wilden vor zwei Wochen beim Rangschwinget im Muotathal erstmals bezahlt gemacht. Bei seinem ersten Wettkampf nach fast zwei Jahren hat er im Schlussgang den letztjährigen Berner Oberländer Triumphator Matthias Aeschbacher aufs Kreuz gelegt.
Nach diesem glorreichen Comeback meldet sich ein anderer Berner «Mättu» beim Zuger – Matthias Sempach. Der Schwingerkönig adelt Reichmuth am Telefon: «Pirmin, mach weiter so, deine Schwingweise gefällt mir sehr!»
Zum Schluss gibt King Mättu Prinz Pirmin noch einen Tipp mit auf den Weg: «Ich weiss, dass man in deinem Alter gerne bis um Mitternacht mit jungen Mädchen telefoniert oder chattet. Aber du solltest unbedingt darauf achten, dass du vor jedem Wettkampf und Training mindestens sieben Stunden schlafen kannst.»
Pirmin nickt mit einem breiten Grinsen: «Du hast recht. Aber weil ich mit Marion eine wunderbare Freundin habe, muss ich auch nicht nächtelang mit Frauen telefonieren...»
Reichmuth wollte Radio-Moderator werden
Reichmuth hat wie Sempach Metzger gelernt. Seit der erfolgreichen Lehrabschlussprüfung schlachtet er aber keine Tiere mehr. Stattdessen wird er in der Stadtzuger Metzgerei Forster vor allem hinter der Ladentheke eingesetzt. «Als Kind habe ich von einer Karriere als Radio-Moderator geträumt. Jetzt kann ich als Verkäufer im Gespräch mit den Kunden genug reden. Das gefällt mir.»
Trotzdem wird der sympathische „Böse“ beruflich schon bald einen neuen Weg einschlagen: «Nachdem ich im letzten Jahr die Berufsmatura abgeschlossen habe, will ich nach der Rekrutenschule in Magglingen Sport studieren.»
In die RS wird er im Juli einrücken. Seine Vorbereitung auf das Eidgenössische in der letzten Augustwoche sieht er deshalb aber nicht gefährdet. «Weil ich die RS in Thun absolviere, werde ich regelmässig mit den starken Berner Oberländern um Kilian Wenger trainieren können.» Und dann fügt Pirmin augenzwinkernd an: «Ruedi Hunsperger ist 1966 in Frauenfeld auch als Rekrut Schwingerkönig geworden...»
Im selben Atemzug hält der 104 Kilo-Mann aber fest, dass er sich erst beim Eidgenössischen 2019 vor seiner Haustüre in Zug ernsthafte Chancen auf die Krone ausrechne.
Heute will er in Hünenberg erst einmal seinen Vater Peter übertrumpfen, der 1989 am Zuger Kantonalen den Schlussgang bestritt und insgesamt vier Kränze gewonnen hat. Pirmin greift heute nach seinem fünften Eichenlaub.