Pirmin Reichmuth, vor einem Monat waren Sie ein Geheimtipp, jetzt sind Sie einer der Topfavoriten auf den Königstitel. Was macht dieser kometenhafte Aufstieg mit Ihnen?
Pirmin Reichmuth: Der kümmert mich eigentlich überhaupt nicht,
es spielt keine Rolle, wie mich die Leute im Moment sehen. Ob ich Aussenseiter bin, Geheimfavorit oder ein Königskandidat – ich wollte schon vor dem Beginn der Kranzfestsaison der Beste sein.
Nur haben Sie jetzt Ihre ersten drei Kranzfeste der Saison in eindrücklicher Manier gewonnen. Da kann es Sie ja nicht erstaunen, dass Sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Davon kann ich mir nichts kaufen. Es legt sich gegen mich deswegen keiner gratis ins Sägemehl. Darum blende ich das aus. Sollen die Medien schreiben, was sie wollen. Das Verrückte an meiner Geschichte ist halt, dass ich praktisch von null auf hundert gegangen bin.
Ihnen müssen in den letzten Wochen viele Leute auf die Schultern geklopft haben.
Ja, klar. Aber das kann ich gut einordnen. Ich hatte drei Kreuzbandrisse, habe viel Zeit verloren durch diese Verletzungen. In dieser Zeit habe ich auch gemerkt, wer zu mir steht. Und wer jetzt halt einfach kommt, weils mir wieder läuft.
Einer, der grosse Stücke auf Sie hält, ist Schwingerkönig Matthias Sempach. Lässt Sie sein Lob auch kalt?
Das ehrt mich natürlich schon. Und wenn er so etwas sagt, bedeutet das mir sehr viel. Nur weiss ich gleichzeitig, dass die Saison noch lang
ist. Ich glaube, ich darf das sagen, bei mir ist es keine Floskel: Die Gesundheit ist das Wichtigste. Die richtigen Prognosen im Rennen um den Schwingerkönig kann man erst Anfang August machen.
Sie scheinen trotz Ihrer langen Krankenakte ein unglaubliches Vertrauen in Ihren Körper zu haben. Haben Sie nie mit Ihrem Schicksal gehadert?
Doch, natürlich. In den letzten Jahren immer wieder. Aber momentan fühle ich mich körperlich so gut wie noch nie, das Vertrauen ist
riesig. Ich bin gerade im Flow. Manchmal darfst du da nicht zu viel hinterfragen.
Sie sind 1 Meter 98 gross und
122 Kilogramm schwer, ein Modellathlet. Haben Sie die Konkurrenz immer dominiert?
Ganz früher schon. Bei den Jungschwingern hatte ich zuerst einen Vorteil, weil ich mit meinen Brüdern und Cousins zu Hause früher schon geschwungen hatte. Irgendwann haben die anderen den technischen Rückstand aber aufgeholt, darum war ich später Durchschnitt. Körperlich war ich relativ lange bei den Kleineren, bin erst spät in die Höhe geschossen – und dann hat es noch ein bisschen gedauert, bis ich an Gewicht zulegen konnte.
Sie machen eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, nachdem Sie ursprünglich Metzger gelernt haben. Wie kam es dazu?
Durch meine lange Verletzungsgeschichte bin ich darauf gekommen. Ein toller Beruf bis jetzt. Aber es kann auch ein Fluch sein, weil du manchmal sofort weisst, was es sein könnte, wenn es irgendwo zwickt. Manchmal wäre es eben besser, nicht so viel darüber nachzudenken. Aber gleichzeitig weiss ich eben auch besser als vorher, wann ich eine Pause brauche. Ich weiss, dass sich der Körper erholen muss.
Ein Vorteil, dass Sie noch zur Schule gehen und nicht körperlich arbeiten müssen?
Ein Riesen-Vorteil! Ich schätze es sehr, dass ich tagsüber körperlich nicht gefordert bin. Im Gegensatz
zu anderen Schwingern, die neun Stunden auf dem Bau schuften und dann noch ins Training gehen. Das weiss ich zu schätzen.
Sie wohnen für Ihr Studium drei Tage pro Woche in Landquart, fünf Kilometer von Maienfeld entfernt, wo Königs-Konkurrent Armon Orlik zu Hause ist. Haben Sie schon zusammen trainiert?
Nein, wir haben keinen Kontakt. Ich trainiere immer mit meinen Innerschweizer Kollegen in Einsiedeln oder in Cham. Und das Athletiktraining mache ich bei Tommy Herzog in Beromünster. Herzog ist für mich eine wichtige Vertrauensperson, wenn es um den Sport geht.
Auf Ihrer Homepage geben Sie an, sowohl Ländler als auch
AC/DC zu hören. Wie geht denn das bitte zusammen?
Das geht ausgezeichnet zusammen. Im Training oder auch sonst darfs gerne AC/DC sein oder auch mal Hip-Hop. Und im Auto höre ich dafür gerne mal Naturjutze.
Und am Schwingfest?
Da höre ich gar nichts. Ich mag es nicht, mich vor einem Gang abzuschotten und in meine eigene Welt einzutauchen. Mir ist es wichtig, die Atmosphäre zu spüren, in die Stimmung auf dem Festplatz eintauchen zu können. Das brauche ich, das gefällt mir.