Orlik nach Horror-Erlebnis in Brugg
«Angst vor einer Querschnittslähmung ist aufgekommen»

Seit dem Horror-Abflug gegen Bruno Gisler wird Armon Orlik von einem Gegner verfolgt, welcher noch hartnäckiger ist als Glarner, Sempach oder Stucki.
Publiziert: 04.06.2017 um 21:21 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:20 Uhr
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Armon Orlik kommt mit dem Schrecken davon.
Marcel W. Perren

Auf den ersten Blick verkörpert der 22-jährige Armon Orlik das Idealbild des modernen Schwingers. Der Bauingenieur-Student aus Maienfeld ist 1,90 Meter gross, sein 110 Kilo schwerer Body kommt einem beeindruckenden Muskelberg gleich. Doch Armons zittrige ­Stimme verrät, dass es hinter ­dieser unzerstörbar anmutenden Fassade einen wunden Punkt gibt.

Der Mann, der letzten ­Sommer mit sechs Kranzfestsiegen und der Schlussgang-Teilnahme beim Eidgenössischen zum König der Herzen avancierte, hat am 7. Mai in Brugg seine Unbeschwertheit im Sägemehl verloren.

Orlik legt an diesem Sonntag am Aargauer Kantonalen in Brugg in ähnlich beeindruckender Manier los, wie in der Woche zuvor bei ­seinem Triumph am Thurgauer Kantonalen. Er bodigt die Eidgenossen Mario Thürig und Patrick Räbmatter. Und auch der Baselbieter Defensiv-Künstler Andreas Henzer und das Aargauer Nachwuchs-Talent Andreas Döbeli haben im Zweikampf mit Orlik das Nachsehen.

Doch dann der grosse Schock im fünften Gang – der ehemalige Judoka wird von Solothurns Altmeister Bruno Gisler (33) mit ­einem perfekt angesetzten Hüfter ausgekontert, Orlik bleibt minutenlang regungslos im Sägemehl liegen. Am nächsten Tag sagt er zu BLICK: «Ich habe rund zwanzig Sekunden lang vom Hals abwärts nichts mehr gespürt. In dieser Zeit ist schreckliche Angst vor ­einer Querschnittslähmung aufgekommen.»

Die Untersuchung im Spital bringt die grosse Erleichterung – an Orliks Körper sind keine gröberen Schäden erkennbar. Die kurzfristigen Lähmungserscheinungen waren das Ergebnis eines durch den Aufprall «schockierten» Nervs im Spinalkanal. Aber die tiefen Narben in der Seele des hochintelligenten Athleten sind noch nicht verheilt.

Nach dem Forfait letzte Woche am St. Galler Kantonalen, wirft ­Orlik auch das Handtuch für das Glarner-Bündner in Niederurnen am Pfingstmontag. «Ich konnte letzte Woche das Training wieder aufnehmen, meine körperliche Leistungsfähigkeit ist gut. Aber mental habe ich die Geschichte noch nicht gänzlich verarbeitet. Der Gedanke, noch einmal in eine solche Situation wie gegen Gisler zu kommen, kann Angst machen.»

Um derart beängstigende Gedanken in den Griff zu bekommen, führt er viele Gespräche: «Ich arbeite schon länger mit einem Mentaltrainer zusammen. Mit ihm versuche ich das Geschehene aufzuarbeiten und abzulegen.»

Mit Adi Laim­bacher (36) gibts ­einen ganz «Bösen», der sich gut in Orlik ­hineinversetzen kann. Der Schwyzer hat 2002 bei ­einem missglückten ­«Brienzer-Vorwärts» eine sogenannte Atlas-Rotation mit kurzfristigen Lähmungserscheinungen erlitten. «Ich bin damals an einem Genickbruch vorbeigeschrammt. Nach der ­ersten Untersuchung hat mir der Arzt mitgeteilt, dass ich nie mehr schwingen könne.»

Die Wende zum Guten kam für Laimbacher im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil: «Dort hat man mir die Hoffnung zurückgegeben. Ein Arzt hat mir versichert, dass ich aufgrund meiner starken Muskulatur wieder langsam mit dem Schwingen anfangen könne. Drei Monate später habe ich dann tatsächlich mein Comeback gegeben.»

In allzu guter Erinnerung hat Laimbacher die Rückkehr ins Sägemehl nicht. «Mein erster Gegner hat gleich zu einem Kopfgriff angesetzt. In meinem Genick hat es richtiggehend geknackst und ich habe zwei Wettkämpfe gebraucht, bis ich die Verletzung in meinem Kopf ­ausblenden konnte. Danach hatte ich aber nie mehr ein Problem und bin im Sägemehl zum Glück auch nie mehr so gefallen, wie bei diesem Beinahe-Genickbruch.»

Orlik nimmt sich Zeit

105 Kränze hat Laimbacher bis zu seinem Rücktritt im Sommer 2015 gewonnen. Welchen Ratschlag gibt er Orlik? «Ich würde an seiner ­Stelle so schnell wie möglich das ­Comeback geben. Je länger man nach einem derart traumatischen Erlebnis mit der Rückkehr wartet, umso schlimmer wird es. Aber im Endeffekt weiss Armon natürlich selbst am besten, wann die Zeit für ihn reif genug ist.»

Orlik selbst hat aber schon ­mehrmals betont, dass er sich auf seinem schwierigen Weg zurück ganz bewusst Zeit nehmen will.

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