Wenn sich am nächsten Samstag kurz nach dem Sonnenaufgang die gigantische Arena mit Menschen füllt, dann knistert es nicht nur im Zuger Steuerparadies. Sondern dann hält die ganze Schweiz den Atem an. Nach dem Singen der Nationalhymne beginnt das grösste Sport-Spektakel, das unser Land zu bieten hat.
Wir suchen einen neuen König. Unseren Schwingerkönig. In einem Land, das nie eine Monarchie war, bei einem Volk, dem Obrigkeiten immer etwas suspekt sind und das Heldenverehrung skeptisch gegenübersteht, ist der Begriff König ja schon gewagt.
Der Schwingerkönig aber geniesst uneingeschränkte Popularität und Sympathie, wie sie sonst nur noch Roger Federer zuteil wird. Und der Schwingerkönig kann sich, ohne rot zu werden, auch Europameister und Weltmeister nennen. Weil es diesen Sport in dieser Form nur in unserem Land gibt. Hier gibt es die Regeln beim Schwingen im Überblick.
56 500 Zuschauer sitzen am Wochenende in der grössten temporären Sportarena der Welt. Dazu einige Zehntausend im Festgelände vor den Grossbildschirmen. Und rund eine Million daheim vor dem Fernseher.
Mehr als ein Woodstock der Landeier
Man hätte auch 300 000 Tickets verkaufen können. Denn das Eidgenössische ist weit mehr als ein Woodstock der Landeier, weit mehr als ein Hort des Simplen, weit mehr als eine gross orchestrierte Rückkehr zum Vaterländischen. Das Eidgenössische Schwingfest ist ein verbindendes Element und überstrahlt damit bald den 1. August. Das Eidgenössische ist zu einem Nationalfeiertag geworden.
Natürlich: Das Schwingen mit all seinen Klischees muss für vieles herhalten. Und wird überladen mit einer riesigen Erwartungshaltung und mit Sehnsüchten an ein Land, das es so längst nicht mehr gibt.
Heile Welt im Schwing-Sport?
Obwohl sich ein Schwingfest immer noch wohltuend abhebt von Exzessen in anderen sportlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Der Fairness-Gedanke ist ausgeprägter, der Umgang unter Sportlern und Zuschauern kollegialer, friedlicher und anständiger als in den Fussballstadien. Der Kuss von Verlierer Christian Stucki auf die Stirn des neuen Königs Matthias Sempach 2013 in Burgdorf BE ist immer noch eine der schönsten Gesten der Schweizer Sportgeschichte. Aber sonst?
Auch beim Schwingen schreitet die Kommerzialisierung weiter und rasant voran. Heile Welt? Wo so viel Geld im Spiel ist, da wuchern auch in unserem Nationalsport Neid und Missgunst. Es gibt Familienfehden, es gibt Gehässigkeiten und es gibt Mauscheleien. Und es gibt sich sonnende Funktionäre nach altem Schrot und Korn, die sich immer wieder ins Deckmäntelchen der traditionellen Bewahrer hüllen. Die aber dann trotzdem nicht verhindern, dass gerade das Eidgenössische Schwingfest zur gigantischen Volkschilbi geworden ist.
Kein Platz für Hornusser
In Zug sitzen auch Fürst Albert von Monaco und König Tupou VI. von Tonga auf der Tribüne. Für die Hornusser ist kein Platz mehr. Der ehemalige Spitzenschwinger Geni Hasler ärgert sich, dass der Klamauk Überhand nimmt und die Sponsoren den echten Schwingerfreunden in der Arena den Platz wegnehmen. Dieser Vorwurf trifft nur bedingt zu. 33 000 Tickets gehen via Verband noch immer an die Klubs und damit an die wahren Fans.
Das Eidgenössische ist immer auch ein Seismograf für die Entwicklung des Nationalsports. Wie offen ist man in diesem Umfeld? In Schwingerkreisen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass sich nach dem Fest in Zug der erste Schwinger zu seiner Homosexualität äussern wird. Ein Tabubruch in einem noch immer patriarchalischen und konservativen Milieu. Aber die Schwingerfamilie ist weit aufgeschlossener und toleranter als viele meinen. Und wird dieses mögliche und mutige Outing gelassen zur Kenntnis nehmen.
Mann gegen Mann fasziniert
Die Zeiten sind vorbei, als 1971 drei Schwinger nicht zum Nordostschweizerischen Schwingfest zugelassen wurden, weil sie ihre Haare zu lang trugen. Otto Brändli, damals technischer Leiter, wusste: «Wer lange Haare trägt, schwitzt mehr und kann weniger denken.» Langhaarige würden den Staatsgedanken vergiften und die Heimatgefühle untergraben, monierte damals der Verband.
Vergessen wird bei aller Symbolik, für die das Schwingen mittlerweile herhalten muss, dass es ganz einfach ein archaischer und spektakulärer Zweikampf ist. Der Kampf Mann gegen Mann hat immer fasziniert. Und wie das Boxen bietet auch das Schwingen die Chance zum sozialen Aufstieg. Die Schwinger kommen halt nicht aus den Slums der Grossstädte, sondern vom Bauernhof. Statt Muhammad Ali gegen Joe Frazier heisst es am Samstag halt Christian Stucki gegen Samuel Giger.
Einst herrschte sogar Schwingverbot
Die Ursprünge des Schwingens gehen ins 13. Jahrhundert zurück. Bereits im 18. Jahrhundert, lange vor der Gründung des Schwingerverbandes, wurden Schwingerkönige gekürt. Die Kraft der Bauern vom Land faszinierte bald auch die Städter. Mitten in Zürich gab es um 1890 schon Schwingfeste mit gegen 10 000 Zuschauern. Der Hosenlupf war immer auch umstritten. Der Reformator Ulrich Zwingli empfahl, sich von diesen Kämpfen fernzuhalten, «weil es allzu oft ausartet». Im 16. Jahrhundert wurde in Nidwalden und in Appenzell ein Schwingverbot verhängt. Aber das Schwingen etablierte sich als fester Bestandteil der Schweizer Festkultur.
Und erlebte in den letzten 20 Jahren einen enormen Aufschwung. Viele verbinden das mit der konservativen Wende in der Politik Mitte der 90er-Jahre. Mit der Popularität von Christoph Blocher kam auch der Aufbruch des Schwingens. Die Globalisierung und die Diskussion um Europa beschleunigten die neue Heimatverbundenheit. Edelweisshemden sind plötzlich wieder Mode, man wandert in den Alpen und fliegt nicht in den Süden. Das Hochglanzmagazin «LandLiebe» ist die erfolgreichste Neulancierung im Zeitschriftenbereich der letzten Jahre.
«Auch das Schwingen hat eine Poesie»
Neben der neu entdeckten «Swissness» hat der Aufschwung aber auch mit der ungeheuren medialen Aufmerksamkeit zu tun. 1995 übertrug das Schweizer Fernsehen den Schlussgang beim Eidgenössischen in Chur erstmals live. Mittlerweile kann man jedes Kantonalfest, jedes Teilverbandsfest und jedes Bergfest irgendwo live am TV mitverfolgen. Das Eidgenössische ist gar zum absoluten Quotenrenner geworden.
Der junge Autor Linus Schöpfer beschreibt die Faszination des Schwingens im Buch «Schwere Kerle rollen besser» wunderbar. «Auch das Schwingen hat seine Poesie. Etwa wenn ein Schwinger den anderen ‹reist›, also bestimmt, wohin die gemeinsame Reise, der gemeinsame Flug geht.»
Zwei heben ab, einer landet auf dem Rücken. Und jeder will ein Eidgenosse werden. Ein schönes Bild. Guten Flug!
Vom 26. bis 28. August dominieren Kolosse, Sägemehl und Zwilchhosen die Schweiz – das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 in Pratteln steht an. Hier findest Du alles, was Du über den Mega-Event wissen müssen.
Vom 26. bis 28. August dominieren Kolosse, Sägemehl und Zwilchhosen die Schweiz – das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 in Pratteln steht an. Hier findest Du alles, was Du über den Mega-Event wissen müssen.
Freitag, 23. August
- 11.00 / Eröffnung des Festgeländes
- 13.00 / Fahnenempfang in Zug
- 14.00 / Start Festumzug
Samstag, 24. August
- 7.30 / Einmarsch der Schwinger
- 7.45 / Nationalhymne
- 8.00 / Anschwingen (1./2. Gang)
- 8.00 / Wettkampfbeginn Steinstossen
- 13.30 / Ausschwingen (3./4. Gang)
- 14.00 / Final 20-kg-Steinstossen
- 14.30 / Final 40-kg-Steinstossen
- 17.15 / Ende Ausschwingen
Sonntag, 25. August
- 7.45 / Ausstich (5. Gang)
- 10.30 / Ausstich (6. Gang)
- 13.30 / Kranzausstich (7. Gang)
- 14.45 / Final Unspunnenstein
- 15.15 / Kranzausstich (8. Gang)
- 16.45 / Schlussgang
Freitag, 23. August
- 11.00 / Eröffnung des Festgeländes
- 13.00 / Fahnenempfang in Zug
- 14.00 / Start Festumzug
Samstag, 24. August
- 7.30 / Einmarsch der Schwinger
- 7.45 / Nationalhymne
- 8.00 / Anschwingen (1./2. Gang)
- 8.00 / Wettkampfbeginn Steinstossen
- 13.30 / Ausschwingen (3./4. Gang)
- 14.00 / Final 20-kg-Steinstossen
- 14.30 / Final 40-kg-Steinstossen
- 17.15 / Ende Ausschwingen
Sonntag, 25. August
- 7.45 / Ausstich (5. Gang)
- 10.30 / Ausstich (6. Gang)
- 13.30 / Kranzausstich (7. Gang)
- 14.45 / Final Unspunnenstein
- 15.15 / Kranzausstich (8. Gang)
- 16.45 / Schlussgang