BLICK: Herr Stucki, es gibt eine leidige Parallele zwischen den Altmeistern Eugen Hasler, Niklaus Gasser und Ihnen. Sind Sie sich dessen bewusst?
Christian Stucki: Wir haben alle drei am Unspunnen und am Kilchberger gewonnen, aber die Krone des Schwingerkönigs fehlt dem Geni, dem Chlöisu und mir. Ich hoffe, dass ich das in Zug jetzt ändern kann.
Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Königs-Anwärtern mussten Sie wegen eines Innenbandrisses am linken Knie eine Wettkampfpause von fast drei Monaten einlegen.
Ich denke trotzdem positiv. Ich konnte in den letzten Wochen wirklich sehr gut trainieren. Und während der eine oder andere vielleicht schon etwas müde nach Zug fahren wird, weil er schon einige harte Kranzfeste in den Knochen hat, bin ich jetzt richtig frisch.
Es gibt einige langjährige Wegbegleiter von Ihnen, welche immer wieder betonen, den Stucki Chrigu noch nie derart fokussiert gesehen zu haben wie jetzt. Geben Sie diesen Leuten recht?
Das kann schon sein. Und es liegt wahrscheinlich daran, dass ich – etwas überspitzt formuliert – die letzte Ölung vor meinen Augen habe. Mir ist bewusst, dass sich mir mit meinen 34 Jahren die letzte reelle Chance auf den Schwingerkönigstitel bietet. Deswegen ziehe ich meinen Trainingsplan wirklich mit der letzten Konsequenz durch.
Ihr Konditionstrainer Tommy Herzog behauptet, dass Sie ordentlich Fett abgebaut haben, indem Sie jetzt noch mehr essen als früher. Wie funktioniert das?
Es ist eigentlich ziemlich einfach: Weil ich bis im letzten Jahr kein Frühstück zu mir nahm, hatte ich nach der Arbeit jeweils einen derart grossen Hunger, dass ich am Abend eine riesige Portion Teigwaren verdrückte. Logisch, dass sich das nicht gerade positiv auf mein Gewicht ausgewirkt hat. Aber weil ich jetzt immer ein grosses Müesli zum Zmorge esse, habe ich kaum noch Bedarf nach fett- und kalorienreichen Zwischenverpflegungen. Und am Abend nehme ich eine Mahlzeit zu mir, die viel leichter zu verdauen ist als Pasta mit Sauce.
Trotzdem verkörpern Sie nach wie vor die imposanteste Erscheinung der Sägemehl-Schweiz. Wie oft haben Sie sich schon gewünscht, einen Kopf kleiner und sehr viel schmaler zu sein?
Das kommt immer wieder vor. Grundsätzlich habe ich mich damit arrangiert, dass ich aus der Masse heraussteche. Nachdem ich auf dem Weg zu diesem Termin mein Auto neben dem Campingplatz parkiert hatte, war ich kaum 30 Sekunden ausgestiegen, ehe mich die erste Person um ein Selfie gebeten hat. Wenn ich wie in diesem Fall anständig darum gebeten werde, mache ich das ja auch sehr gerne. Mühsam wird es aber dann, wenn ich in ein Festzelt hineingehe, in dem bei einigen Leuten mit jeder Flasche Bier die Hemmschwelle sinkt – bis sie glauben, sie könnten mich zu einem Hosenlupf herausfordern.
Wie verhalten Sie sich in solchen Situationen?
Ich lasse solche Typen ein paar Mal am Gurt ziehen, bis ich irgendwann ein bisschen ernster dreinschaue und sage: «Du willst es nicht erleben, wenn ich richtig zupacke.» Danach ist in den meisten Fällen wieder Ruhe.
Einige fiese Sprüche mussten Sie sich wegen Ihres Körpers auch während Ihrer Schulzeit anhören. Wie oft haben Sie deshalb Ihre Mitschüler verprügelt?
Ich habe mir ewig alles gefallen lassen, bis mir meine Mutter klarmachte, dass ich mich durchaus zur Wehr setzen darf. Irgendwann habe ich einem Gleichaltrigen nach einer Provokation einen derart heftigen Chlapf gegeben, dass ihm danach ein Zahn fehlte. Das hat mir so leidgetan, dass ich seither nie mehr handgreiflich wurde.
Würden Sie trotzdem bejahen, dass die Schwingerwelt längst nicht so heil ist, wie sie sehr oft dargestellt wird?
Warum?
Auch Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass ein ehemaliger Kranzschwinger zu den berüchtigten YB-Hooligans gehört hat und dass dem Berner Oberländer Niklaus Zenger vor drei Jahren nach dem Sieg am Gauverbandsfest der Emmentaler die Autoreifen zerstochen wurden.
Ja, das habe ich auch mitbekommen. Und auch ich selber werde immer wieder mit Neid und Missgunst konfrontiert. Aber das ist überall so, wo Menschen sind. Trotzdem würde ich sagen, dass die Schwingerwelt alles in allem nach wie vor in einem guten Zustand ist. Es werden viele Werte gepflegt und gelebt, die in meinen Augen sehr wichtig sind. Nur etwas stösst mir richtig sauer auf!
Was denn?
Es sind nach wie vor in erster Linie die Schwinger, welche an einem Eidgenössischen die Massen anziehen. Wir setzen für dieses Spektakel unsere Gesundheit aufs Spiel. Vor allem dank uns wird viel Geld umgesetzt. Es ist gut und recht, dass wir uns in dem sehr gut bestückten Gabentempel einen schönen Preis aussuchen dürfen. Was in meinen Augen aber gar nicht geht, ist die Tatsache, dass wir Aktivschwinger nicht automatisch Anrecht auf ein Ticket haben. Von den 56 500 Plätzen müssten mindestens 1000 Plätze für die Angehörigen der Schwinger reserviert sein.
Heisst das, dass Ihre Frau und Ihre beiden Buben für das Eidgenössische in Zug kein Ticket haben?
Ich habe zum Glück vom Schwingklub Unteres Seeland welche erhalten, aber viele andere Schwinger haben für ihre Liebsten keine Karten. Das darf nicht sein.
Ihr ältester Sohn Xavier wurde beim letzten Eidgenössischen in Estavayer zum heimlichen Star, weil er im Mini-Schwingerhemd und in Zwilchhösli vom Platzrand aus seinen Papi unterstützt hatte. Wird er bald sein erstes richtiges Schwingtraining absolvieren?
Das weiss ich nicht. Xavier ist mittlerweile sechsjährig, sein Interesse für den Schwingsport ist zwar nach wie vor da, zuletzt hat ihn Fussball aber fast noch ein bisschen mehr begeistert. Das ist vor allem auf die beiden Meistertitel von YB zurückzuführen. Und seit er aus dem YB-Fanshop ein Hoarau-Duschgel erhalten hat, würde er sich am liebsten 20 Mal am Tag waschen.
Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihren Kindern?
In unserer Familie ist der Freitag der Vatertag. Da bin ich auch zuständig für die Zubereitung des Mittagessens.
Was haut Stucki in die Pfanne?
Keinen Junkfood! Ich lege Wert auf eine vielseitige Ernährung, Gemüse darf auf unserem Speiseplan nicht zu kurz kommen. Ich persönlich kann fast alles essen – ausser Feta- und «Stinkkäse» wie Roquefort.
Entdecken Sie bei sich selber auch immer noch eine kindliche Seite?
Ja, vor allem wenn ich mit meinen Buben Trickfilme schaue. Da verrecke ich manchmal schier vor lachen.
Wollen Sie sich nach dem Eidgenössischen in Zug noch mehr Zeit für Ihre Familie nehmen?
Ich möchte noch ein paar Jahre weiterschwingen, schliesslich stehen in den nächsten drei Jahren grosse Highlights auf dem Programm. 2020 wird in Appenzell der Eidgenössische Jubiläums-Schwinget ausgetragen, 2021 der Kilchberger, und 2022 gibts in Pratteln schon wieder ein Eidgenössisches.
Vom 26. bis 28. August dominieren Kolosse, Sägemehl und Zwilchhosen die Schweiz – das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 in Pratteln steht an. Hier findest Du alles, was Du über den Mega-Event wissen müssen.
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