Joel, während Ihren knallharten Trainingseinheiten mit Ihrem Coach Daniel Hüsler ertönt aus den Boxen immer wieder «Sirius» – die Hymne der Chicago Bulls. Ist das Zufall oder gezielt ausgewählt?
Joel Wicki: Das ist kein Zufall. Ich habe mir die Netflix-Serie «The last Dance» über Michael Jordan und die Chicago Bulls immer am Abend im Bett angeschaut. Diese Serie ist mir heftig eingefahren. Basketball-Star Michael Jordan musste als Spieler einen brutalen Druck aushalten. Wie er das getan hat, ist einzigartig. Seine Geschichte und die dazugehörende Melodie verleihen mir im Training zusätzliche Motivation.
Tragen Sie auch wegen Michael Jordan eine so massive Halskette?
Diese Kette trug ich schon, bevor ich 2019 auf Netflix auf Jordan aufmerksam geworden bin. Sie ist wie ein Glücksbringer für mich. Ich habe mit diesem Schmuckstück schon viel Gutes erlebt. Die Silber-Kette begleitet mich in nahezu allen Lebenslagen. Ich trage sie sogar, wenn ich die Gülle ausfahre – dann verändert sie allerdings die Farbe. Wegen des Ammoniaks verwandelt sich das Silber in ein Blau. Ich habe aber noch zwei weitere Glücksbringer.
Wicki greift in sein Portemonnaie und packt einen Zahn aus.
Das ist eine sogenannte Grandel, also der Eckzahn eines Hirschs, den mein Vater erlegt hat. Er hat mir diese Grandel geschenkt, als ich ein Bub war. Ich glaube daran, dass sie mir Glück bringt.
Welches ist Ihr dritter Glücksbringer?
Als mein Vorbild Benno Studer gestorben ist, hat jedes Mitglied meines Schwingklubs Entlebuch ein Andenken an ihn erhalten. Ich habe dieses Andenken bei jedem Schwingfest dabei.
Im Februar jährt sich der Tod von Benno Studer, der bei einem Amoklauf in einer Schreinerei in Menznau erschossen wurde, zum zehnten Mal. Wie oft denken Sie noch an ihn?
Ich fahre mit dem Auto regelmässig durch Menznau. Dort zeigt ein Wegweiser zur Gedenkstätte. Und in unserer Schwinghalle erinnert nach wie vor ein Bild, vor dem eine Kerze brennt, an Benno. Er war ein grossartiger Mensch, der komplett für den Schwingsport gelebt hat.
Wie sieht denn Ihr beruflicher Alltag aus?
Ich führe zusammen mit einem Kollegen ein Baggerunternehmen und werde in naher Zukunft zusammen mit meiner Freundin einen Bauernbetrieb übernehmen, auf dem ich bereits jetzt aushelfe. Weil ich daneben ja auch noch Schwinger, Jäger und Fischer bin, wird mir definitiv nie langweilig.
Joel Wicki wird am 20. Februar 1997 im Entlebuch geboren. Obwohl er meistens einen Kopf kleiner als seine Kontrahenten ist, feiert er mit acht Jahren seinen ersten Erfolg als Schwinger: Beim Buebä-Schwinget in Niederbipp gewinnt er eine Ziege. Kurz nach seinem 17. Geburtstag bodigt Joel auf der Rigi mit Nöldi Forrer erstmals einen Schwingerkönig, ein Jahr später triumphiert er kurz vor seiner Abschlussprüfung als Baumaschinenmechaniker als jüngster Schwinger seit Ruedi Hunsperger am Schwarzsee. Mittlerweile hat Wicki 16 Kranzfestsiege auf seinem Konto. Der 1,83 Meter grosse und 107 Kilo schwere Kraftwürfel absolviert aktuell eine Zweitausbildung zum Landwirt.
Joel Wicki wird am 20. Februar 1997 im Entlebuch geboren. Obwohl er meistens einen Kopf kleiner als seine Kontrahenten ist, feiert er mit acht Jahren seinen ersten Erfolg als Schwinger: Beim Buebä-Schwinget in Niederbipp gewinnt er eine Ziege. Kurz nach seinem 17. Geburtstag bodigt Joel auf der Rigi mit Nöldi Forrer erstmals einen Schwingerkönig, ein Jahr später triumphiert er kurz vor seiner Abschlussprüfung als Baumaschinenmechaniker als jüngster Schwinger seit Ruedi Hunsperger am Schwarzsee. Mittlerweile hat Wicki 16 Kranzfestsiege auf seinem Konto. Der 1,83 Meter grosse und 107 Kilo schwere Kraftwürfel absolviert aktuell eine Zweitausbildung zum Landwirt.
Wo können Sie sich am besten von den täglichen Strapazen regenerieren?
Ich gehe am Abend gerne auf die Jagd. Es ist mir egal, wenn ich drei bis vier Stunden an einem Platz bin und nicht zum Abschuss komme. Ich kann mich in der Natur wunderbar von den Strapazen des Alltags erholen. Es ist für mich eine Wohltat, wenn ich vom Hochsitz aus einem Fuchs beim Mausen zuschauen kann.
Als Jäger müssen Sie aber auch mit viel Kritik umgehen. Immer mehr Menschen verurteilen die Jagd, wenn sie nicht wegen Nahrungsmangel ausgetragen wird. Wie gehen Sie damit um?
Ich muss diese Leute immer wieder daran erinnern, dass wir nicht nur in den Wald gehen, um zu schiessen. Wir Jäger hegen und pflegen den Wald. Aber klar: Der Abschuss eines Wildtieres gehört auch dazu. Und es gibt ja gar kein gesünderes Fleisch als das von einem Tier aus der heimischen Jagd. Ein solches Tier wird nicht Hunderte von Kilometern durch die Weltgeschichte gekarrt, ehe es in einem Schlachthof getötet wird. Es lebt stressfrei in seiner Freiheit, bis es vom tödlichen Schuss getroffen wird.
Lassen Sie uns über Ihre «tödlichen» Schwünge reden. Welche Gesamtnote würden Sie sich für Ihre Leistungen in dieser Saison geben?
Die Notengebung überlasse ich anderen. Im Frühling ist es mir bei den Rangfesten sehr gut gelaufen. Bei den ersten Kranzfesten hat es dann aus verschiedenen Gründen etwas geharzt. Aber wenn man sich zehn Monate in intensiver Manier auf ein Eidgenössisches vorbereitet, vier- bis fünfmal pro Woche trainiert und in dieser Zeit immer unter der vollsten Belastung steht, ist es meines Erachtens auch nichts Abnormales, wenn man zwischendurch mal einen Gang verliert. Für mich ist die Gewissheit wichtig, dass ich mich im Verlaufe dieser Kranzfest-Saison steigern konnte.
Kommt durch Ihr dicht gedrängtes Programm im Alltag der Schlaf oft zu kurz?
Gemäss meiner Freundin dauert es am Abend nach dem Ins-Bett-Gehen oft nur eine Minute, bis ich tief schlafe. Und es kommt auch vor, dass ich an einem Wettkampf zwischen zwei Gängen schlafe.
Wie oft haben Sie in den letzten Jahren geträumt, dass Sie den eidgenössischen Gang gegen Christian Stucki nicht verloren, sondern gewonnen haben?
Das ist schon vorgekommen. Ich habe aber viel öfter von den sechs Gängen geträumt, die ich bei diesem Wettkampf gewonnen habe. Für mich überwiegen die positiven Gedanken an diese zwei Tage ganz klar. Trotz dem verlorenen Schlussgang habe ich ja diesen Anlass punktgleich mit Stucki gewonnen. Und ich bekomme jedes Mal Hühnerhaut, wenn ich daran zurückdenke, für welch grandiose Stimmung das Publikum in dieser Arena gesorgt hat.
Was würden Sie anders machen, könnten Sie den Schlussgang in Zug von 2019 gegen Stucki noch einmal bestreiten?
Ich würde wohl nicht mehr so früh in die Arena einlaufen. Ich habe einige Minuten am Brunnen gewartet, bis Chrigel aus der Garderobe gekommen ist. Wahrscheinlich hatte ich in dieser Phase zu viel Zeit zum Studieren. Aber das ist jetzt ja gar nicht mehr wichtig. Ich muss jetzt einfach schauen, dass ich es beim nächsten Mal noch etwas besser mache.
In der komplett «schwingverrückten» Innerschweiz und insbesondere bei Ihnen im Entlebuch sind die Erwartungshaltungen vor einem Eidgenössischen besonders gross. Wie gehen Sie damit um?
Auf der einen Seite ist es wunderschön, dass man an einem Schwingfest besonders viele Zuschauer aus dem Entlebuch antrifft. Das verleiht mir immer wieder zusätzliche Kraft. Es ist aber schon auch so, dass bei uns der Schwingsport manchmal etwas gar verbissen betrachtet wird. Ich bitte deshalb die Leute immer wieder, mit mir über etwas anderes zu reden als übers Schwingen. Vor allem, wenn ich auf dem Bau arbeite. Denn bin ich bei dieser Tätigkeit in Gedanken beim Schwingen, kann leicht ein Unfall passieren. Als ich mich vor dem Stoos-Schwinget mit einer Trennscheibe in die Hand geschnitten habe, war ich mit dem Kopf auch nicht ganz bei der Sache.
Erfahren Sie in Ihrem Alltag auch Neid und Missgunst?
Neid ist sicher die grösste Schattenseite meines Erfolges. Und manchmal vermisse ich auch eine gewisse Freiheit. Ich kann in der Innerschweiz nirgendwo unerkannt einkaufen. Und wenn ich mit meinen Freunden in den Ausgang gehe, werde ich mit zahlreichen Selfie-Wünschen konfrontiert. Ich erfülle diese eigentlich sehr gerne. Aber im Ausgang kommt es halt immer wieder vor, dass die Wünsche der Leute mühsamer werden, wenn sie einen über den Durst getrunken haben. Einige haben sich dann so viel Mut angetrunken, dass sie mit mir schwingen wollen. Aber da mache ich nie mit. In solchen Momenten trete ich vorzeitig die Heimfahrt an.
Sie mussten in Ihrer Karriere schon ein paar Fehlentscheidungen von Kampfrichtern akzeptieren. In dieser Saison wurde Ihnen am Schwarzsee der Sieg gegen Michael Ledermann «geklaut». Stefan Strebel plädiert seither in seiner Rolle als technischer Leiter des ESV immer wieder für einen Pilot-Versuch mit dem Video-Schiedsrichter. Wie stehen Sie zum VAR?
Ich sage zum jetzigen Zeitpunkt nicht Ja und nicht Nein dazu. Ich finde es wichtig, dass wir auch im Schwingsport über solche Neuerungen diskutieren. Vielleicht merken wir schon während einer intensiven Diskussion, dass ein Video-Schiedsrichter nicht das Richtige für uns ist. Vielleicht kommen wir aber auch zum Schluss, dass wir es zumindest einmal ausprobieren sollten.