Schwingen oder Jassen?: Jörg Abderhalden im Entweder-Oder-Quiz
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Sind wir ein «Bschisser-Volk»?Schwingen oder Jassen?: Jörg Abderhalden im Entweder-Oder

Interview mit der Schwing-Legende
Abderhalden spricht Klartext: «Ich gegen alle – das hatte schon was»

Jörg Abderhalden (44) polarisiert. Bis heute. Warum der dreifache Schwingerkönig damit kein Problem hat. Weshalb er mehr verdienen wollte. Und wieso er sich um die Zukunft sorgt.
Publiziert: 10.04.2024 um 12:06 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2024 um 12:39 Uhr
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Im Interview spricht Jörg Abderhalden über seine einzigartige Karriere.
Foto: Sven Thomann
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Abderhalden, sind Sie der Johnny Weissmüller der Schweiz?
Jörg Abderhalden: Wie kommen Sie denn da drauf?

Weil Sie für einen Werbespot mal Tarzan gespielt haben.
Stimmt, das habe ich ganz vergessen. Das war so ein typischer Marketing-Furz eines Managers, der das Gefühl hatte, das sei eine lustige Idee. Ich musste halbnackt an einer Liane durchs Bild schwingen. Ich war damals halt noch jung, heute würde ich so etwas definitiv nicht mehr machen.

Apropos jung, wie war der kleine Jörg?
Ein typisches Landei. Wir wuchsen auf einem Bergbauernhof auf, mussten mitanpacken, waren nie richtig in den Ferien und spielten oft draussen in der Natur. Für uns Kinder war das ein Paradies.

Waren Sie schon immer sportlich?
Ja, ich fuhr sehr oft Ski, und später kam dann das Schwingen dazu.

Hätten Sie es auch als Skirennfahrer an die Spitze schaffen können?
Das weiss ich nicht. Irgendwann kam ich ins Kader des Ostschweizer Ski-Verbands, doch weil ich im Schwingen schnell einmal bessere Resultate hatte, entschied ich mich dafür. Mit dem Wissen von heute hätte ich rückblickend versuchen sollen, länger beide Sportarten auszuüben.

Als Schwinger wurden Sie sehr schnell sehr erfolgreich. Bereits als 19-Jähriger waren Sie König.
Ich war damals Schreinerlehrling, wurde am Freitag 19 und holte zwei Tage danach in Bern den Titel. Eigentlich unglaublich, aber das dritte Kranzfest, das ich gewann, war bereits das Eidgenössische.

Jörg Abderhalden

Jörg Abderhalden ist der erfolgreichste Schwinger aller Zeiten. Er wurde dreimal König, gewann Unspunnen und Kilchberg, 51 Kranzfeste und 85 Kränze. 2010 trat er zurück. Heute führt er die AAK Holzmanufaktur (mit 20 Angestellten), ist für SRF als Schwing-Experte tätig und seit über fünf Jahren Schiedsrichter in der TV-Sendung «Samschtig-Jass». Abderhalden ist verheiratet mit Andrea (sie ist OK-Präsidentin des Schwägalp-Schwinget). Das Paar hat drei Kinder.

Jörg Abderhalden ist der erfolgreichste Schwinger aller Zeiten. Er wurde dreimal König, gewann Unspunnen und Kilchberg, 51 Kranzfeste und 85 Kränze. 2010 trat er zurück. Heute führt er die AAK Holzmanufaktur (mit 20 Angestellten), ist für SRF als Schwing-Experte tätig und seit über fünf Jahren Schiedsrichter in der TV-Sendung «Samschtig-Jass». Abderhalden ist verheiratet mit Andrea (sie ist OK-Präsidentin des Schwägalp-Schwinget). Das Paar hat drei Kinder.

Mit welchen Erwartungen reisten Sie damals nach Bern?
Ernst genommen hatte mich damals noch niemand, und ich hatte zuvor auch noch kaum Kontakt mit den Medien. Wir schliefen in Bern in einer Zivilschutzanlage in einem 30er-Schlag, die direkt neben dem Wankdorf-Stadion lag. Als ich dann gewann, war plötzlich alles anders. Die Polizei begleitete mich sogar bis zur Dusche, und alle wollten etwas von mir. Auf einmal hatte ich nur noch Freunde.

Heute unvorstellbar, aber damals wahr: Der Schlussgang wurde nicht live am TV gezeigt.
In Belgien fand zeitgleich ein Formel-1-Rennen statt. Weil es dort viele Unfälle gab, dauerte das Rennen länger als geplant, und der SRF-Sportchef Urs Leutert entschied dann, es bis zum Ende zu übertragen und den Schlussgang dadurch nicht live zu bringen. Später gab es dann aber eine Entschuldigung.

Auch Sie sorgten nach Ihrem ersten Königstitel für Schlagzeilen, weil Sie die strengen Werbevorschriften nicht akzeptieren wollten.
Ich habe damals trainiert wie ein Profisportler, habe aber noch als Schreiner gearbeitet. Bei meinen ersten beiden Königstiteln war ich noch zu 100 Prozent berufstätig. Um trotzdem allem gerecht zu werden, hatte der Tag einfach zu wenig Stunden, auch zum Schlafen. Zudem war ich längst eine Person der Öffentlichkeit, mit all seinen Schattenseiten. Und was bekam ich dafür? Ein paar Kleider von Adidas und ein Auto, das ich gratis fahren durfte. Das war deutlich zu wenig, ich wollte mehr rausholen. Deshalb habe ich als König den Mund aufgemacht und eine Lockerung der strengen Werbevorschriften gefordert.

Besonders legendär war Ihr Spruch: «Nur für ein Glöggli gehe ich nicht ans Rigi-Schwinget.»
Als Reaktion darauf erhielt ich viele negative Briefe. Das war mir aber egal. Ich wurde ja nicht Schwinger, um geliebt zu werden. Speziell war damals auch, dass mir in Gesprächen viele Schwinger und Funktionäre recht gaben, sie das aber öffentlich nicht zu sagen wagten. Ein Jahr nach meinem Spruch gab es auf der Rigi übrigens für den Sieger erstmals einen Lebendpreis.

Haben Sie mal ausgerechnet, wie viele Lebendpreise Sie gewonnen haben?
Das müssen schon so 70 bis 80 gewesen sein. Dazu natürlich unzählige Glocken, Schellen und Truhen.

Als Folge Ihrer Erfolge und Ihrer Forderung nach mehr Geld waren Sie bei den Konservativen aber nicht sehr beliebt. Hat Sie das nie gestört?
Nein, dass mich viele verlieren sehen wollten, war mir egal. Die Zuschauer klatschen so lange, bis du König wirst. Und dann klatschen sie wieder, wenn du besiegt wirst. So einfach ist das. Ich zog daraus auch Kraft. Und ich hatte auch gar keine andere Wahl. Entweder du gehst daran kaputt, oder du sagst dir: Jetzt erst recht, jetzt zeig ich es denen. Aber ja, Erfolg macht einsam.

Dass Sie mit dem Druck umgehen konnten, haben Sie mehrmals eindrucksvoll bewiesen. So zum Beispiel 2007 in Aarau, als Sie zum dritten Mal König wurden.
Als Schwinger musst du alleine abliefern und kannst dich nicht wie ein Fussballer in einem Team verstecken. Als ich damals für den Schlussgang in die Arena einlief, wusste ich, dass der Grossteil der 50’000 Zuschauer gegen mich, den amtierenden König, sein wird. Da hatte ich schon weiche Knie, gleichzeitig hat mich das aber auch angestachelt. Ich gegen alle – das hatte schon was.

Was beim Blick auf Ihre Karriere auffällt: Gefühlt waren Sie stets entweder verletzt oder siegreich. Dazwischen gab es nicht viel.
Das hat was. Schon 1997 vor meinen ersten grossen Erfolgen hatte ich mir ein erstes Mal das Kreuzband gerissen. Das zweite Mal dann im Mai 2002, in der Saison des Kilchberg-Schwinget.

Das Sie dann aber doch gewannen.
Ich dachte mir: Das Kreuzband ist gerissen, mehr kann ja nicht mehr kaputtgehen. Ich konnte vor Kilchberg kaum Wettkämpfe bestreiten. Dass ich dann als erster Schwinger überhaupt, das Eidgenössische, Unspunnen und Kilchberg gewinnen konnte, war schon eine grosse Genugtuung.

2009 rissen Sie sich dann zum dritten Mal das Kreuzband.
Zum Glück schaffte ich es aber rechtzeitig ans Eidgenössische 2010 in Frauenfeld.

Stimmt die Legende, dass Sie dort vor dem achten Gang gegen Hans-Peter Pellet bereits wussten, dass Sie danach zurücktreten werden?
Ja, ich habe das aber zuvor niemandem ausser meiner Frau Andrea gesagt. Als ich Pellet schlug, wurde deshalb nur er gefeiert, weil er im Gegensatz zu mir zuvor öffentlich seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte. Bei mir wusste das aber niemand.

Dadurch wurden Sie nicht gefeiert, was Ihrer Frau sehr wehgetan haben soll.
Auch das stimmt, aber mir war das völlig egal. Ich hatte damals die Schnauze voll von allem, von den Medien, von den Leuten. Für viele war ich Allgemeingut. Wenn ich mal Nein sagte, hiess es gleich: «Der Abderhalden ist arrogant und meint, er sei was Besseres.» Ich hatte aber während meiner Karriere trotzdem genug Applaus erhalten und wollte deshalb kein «Gschiss» bei meinem Abschied und keinen Riesenrummel. Deshalb gab ich erst ein paar Wochen danach offiziell meinen Rücktritt bekannt.

Offenbar wollte Ihnen aber zwei, drei Jahre später ein Sponsor ein Comeback finanzieren. Wahrheit oder Legende?
Das war so. Der Betrag, den ich dafür bekommen hätte, der hätte mich durchaus gereizt, der Rest aber nicht. Ich habe für meinen Rücktritt den perfekten Moment getroffen. Das können nicht viele Einzelsportler von sich behaupten.

Wie blicken Sie heute auf den Schwingsport? Ist er zu gross, zu kommerziell geworden?
Das Schwingen ist nicht schlecht aufgestellt. Man muss aber schauen, dass das Schwingen am ganzen Drumherum nicht kaputtgeht.

Mittlerweile verdienen Schwinger sehr gutes Geld. Das muss Ihnen doch gefallen, oder?
Im Vergleich zu anderen Sportarten ist das doch noch immer wenig. Ein Schwinger kann während seiner Karriere nicht so viel Geld zurücklegen, dass er danach ein paar Jahre lang nicht mehr arbeiten muss. Ich finde das auch in Ordnung, aber eigentlich ist es doch verrückt: Trotz der vielen Zuschauer und Sponsoren ist es schwierig, bei einem Eidgenössischen eine schwarze Null zu schreiben. Das hat man zuletzt in Pratteln gesehen.

Eine Möglichkeit wäre es, das Verbot von Werbung in der Arena abzuschaffen.
Darüber kann man sich streiten. Man könnte das durchaus lockern und im Gegenzug zum Beispiel den Kampfrichtern, die kaum etwas verdienen, ein bisschen mehr geben. Vielleicht wäre das nötig, denn das Schwingen hat ein Zukunftsproblem.

Wie meinen Sie das?
Wir haben ein grosses Nachwuchsproblem, und uns fehlen die Ehrenamtlichen. Heutzutage lebt man nicht mehr für den Verein. Bei mir früher war das noch anders. Ich ging extrem gerne ins Training, weil ich die Klubkollegen sehen wollte. Das war zu Beginn meiner Karriere genauso wichtig wie meine sportlichen Erfolge. Heute wollen die Jungen zwar gerne Spitzenschwinger sein und viel Geld verdienen, das Vereinsleben aber ist ihnen nicht mehr so wichtig.

Dafür gibt es Mädchen und Frauen, die schwingen. 2007 sagten Sie dazu: «Mache ich Synchronschwimmen? Schwingen ist ein besonders rauer Sport. Ich würde den Sport keiner Frau empfehlen.» Haben Sie mittlerweile Ihre Meinung darüber geändert?
Ich bin kein Verhinderer, aber ich bin noch immer nicht der grösste Fan vom Frauenschwingen. Auch wenn man heutzutage so etwas fast nicht mehr laut sagen darf. Ich finde übrigens auch die Diskussion, ob Ehrendamen noch zeitgemäss sind, völlig unsinnig. Für die Frauen ist das eine grosse Ehre. Warum sollte man das abschaffen? Manchmal frage ich mich schon, in was für einer Welt wir mittlerweile leben.

Eine letzte Frage: Wird der nächste Abderhalden ein Ski- statt ein Schwing-Star?
Das ist nicht wichtig, aber es stimmt, dass mein Sohn Terry Skirennfahrer ist. Ob er es an die Spitze schaffen wird, ist aber nicht entscheidend. Der Sport ist eine Lebensschule, die einem auch später noch zugutekommt. Auch ich bin übrigens mittlerweile mehr im Ski- als im Schwingsport tätig, denn ich bin Präsident des Ostschweizer Skiverbands.

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